Ypsilantis Weg zur Wand:Rennen bis es kracht

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Die Hessen-SPD will am Mittwoch entscheiden, ob sich Andrea Ypsilanti zur Wahl stellen soll. Die Sache hätte gleich mehrere Haken.

Thorsten Denkler, Berlin

Mit dem Kopf gegen eine Wand zu rennen, ist ja an sich nicht verwerflich - es hängt eindeutig von der Beschaffenheit der Wand ab, ob die Aktion zu nachhaltigen Kopfschmerzen oder zum Durchbruch führt. Ob die Wand, für die gerade Andrea Ypsilanti in Hessen Anlauf nimmt, durchbruchreif ist, wird sich erst noch zeigen müssen. Und selbst wenn sie es schafft, ist die Chance groß, dass sie mit Kopfscherzen wird leben müssen.

Andrea Ypsilanti will es noch mal wissen. (Foto: Foto: AP)

Ypsilanti will es jetzt wissen. Sie will der geschäftsführenden Landesregierung unter ihrem Erzfeind Roland Koch ein Ende bereiten und sich mit Hilfe der Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Das wollte sie schon vor wenigen Monaten. Die Sitze von SPD, Grünen und der Linkspartei zusammengerechnet, hätte sie zwei Stimmen mehr als nötig.

Mit Dagmar Metzger aber sitzt eine Totalverweigerin in ihren eigenen Reihen. Bleibt eine Stimme mehr in einer verunsicherten Fraktion. Das Risiko war zu hoch. Ypsilanti hat den ersten Anlauf abgebrochen, bevor es zum Zusammenstoß mit der Wand kommen konnte.

Neuer Anlauf in Wiesbaden

Jetzt also der neue Anlauf. Er soll professioneller sein, besser vorbereitet. Ypsilanti will alle Entscheidungsträger aus Fraktion, Partei und Gewerkschaften einbeziehen. Wenn es ginge, sie würde jedes Parteimitglied einzeln in ihrem Büro vorsprechen lassen.

Der Rückhalt soll so groß wie irgend möglich sein. Darum soll auf Regionalkonferenzen das Stimmungsbild eingefangen werden, auf einem kleinen Parteitag soll dann die Aufnahme von Gesprächen mit der Linkspartei abgesegnet werden und schließlich soll ein Parteitag ihr mit großer Mehrheit Rückendeckung geben für die anstehende Wahl, die noch im November stattfinden könnte.

Klingt alles sehr vernünftig. Hat aber gleich mehrere dicke Haken:

Haken eins: Die Bundesspitze der Partei liegt ihr weiter im Nacken, die Idee fallenzulassen. Sie befürchtet negative Wirkungen für die anstehenden Wahlkämpfe, vor allem den Bundestagswahlkampf 2009. Offizielle Linie ist: Die SPD-Landesverbände dürfen selbst entscheiden, mit wem sie Koalitionen eingehen. Im Bund aber werde es aber kein Bündnis mit den Linken geben.

Damit die Wähler das auch glauben, wäre es jedoch kontraproduktiv, wenn es in Hessen zu Bündnisabsprachen zwischen Linken und SPD kommen würde.

Die Argumente müssten Ypsilanti eigentlich einleuchten, aber weder die Bundesspitze der Partei noch sie selbst haben eine halbwegs passable Alternative zum erneuten Anlauf auf Lager.

Neuwahlen würden den vermeintlichen Erfolg bei den Landtagswahlen zunichtemachen, bevor Ypsilanti auch nur einen Tag regiert hätte. In Umfragen liegt ihre SPD gut zehn Prozentpunkte hinter dem Achtungserfolg vom Frühjahr. Neuwahlen gelten deshalb als größtmögliche Bedrohung der Hessen-SPD.

Weitermachen wie bisher geht aus Sicht Ypsilantis auch nicht. Es gibt zwar eine linke Mehrheit. Aber die geschäftsführende Landesregierung sitzt an den Hebeln der Macht - und macht damit im Grunde weiter wie bisher.

Eine große Koalition ist undenkbar. Der hessische SPD-Landesverband ist links dominiert. Die CDU in Hessen ist so konservativ wie nirgends sonst. Für Ypsilanti ist das Wahlversprechen, Koch abzulösen, weit mehr wert, als das Versprechen, nicht mit der Linkspartei zu paktieren.

Haken zwei: Alle sagen, sie wählen sie und am Ende fehlt doch eine Stimme. Die Wahl zur Ministerpräsidentin ist geheim. Es wäre ein Leichtes, Ypsilanti in Sicherheit zu wiegen und ihr am Wahltag den Dolch in den Rücken zu stoßen. Als mögliche Täter kommen gleich mehrere Personen in Verdacht.

Zum einen: Jürgen Walter, Ypsilantis innerparteilicher Gegenspieler vom konservativen Flügel der Hessen-SPD, könnte sich damit den Weg frei machen, in eine große Koalition als stellvertretender Ministerpräsident einzutreten.

Das würde auch den Konservativen und den Netzwerkern in der Bundes-SPD entgegenkommen, die Parteichef Kurt Beck loswerden wollen. Gewinnt die Wand das Duell gegen Ypsilanti, dürfte es heißen, dass für den Schaden auch Beck verantwortlich sei.

Viele in der Partei sehen in ihm ohnehin den Hauptschuldigen für die Misere. Er hatte erst gesagt, mit der Linken werde es keine Zusammenarbeit im Bund und in westlichen Ländern geben. Dann hat er den Ländern plötzlich freie Hand gelassen. Der Wortbruch wird vor allem ihm angelastet.

Stimmverweigerer könnten auch aus der Linken kommen. Das Kalkül könnten Neuwahlen sein, aus denen die Linke noch stärker hervorgeht.

Lesen Sie weiter, welche Haken es noch gibt

Haken drei: Die knappe Mehrheit macht Ypsilanti erpressbar. Das macht sich schon bemerkbar, bevor die Wahl überhaupt stattgefunden hat. Wolfgang Gehrke von den Linken etwa, Bundestagsabgeordneter aus Frankfurt und ehemaliges DKP-Mitglied, kann sich nicht vorstellen, Jürgen Walter in ein Ministeramt zu wählen. In Hessen werden die Minister einzeln vom Parlament gewählt. Mit einer Stimme Mehrheit wird so jede Abstimmung zur Nagelprobe.

Die Konservativen in der SPD wiederum formulieren einen Bedingungen-Katalog, den die Linke zu erfüllen habe, damit die als Minderheitenpartner akzeptiert werden würde. Sie solle etwa erklären, zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu stehen oder zum Verfassungsschutz.

Letzteres dürfte der größte Hemmschuh sein. Jürgen Walter hat schon mal gefordert, die Linke müsse auch in Hessen vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

Sicher scheint, dass die Linke solche Bedingungen nicht ohne Gegenleistung akzeptieren wird.

Haken vier: Ypsilanti wird nicht gewählt. Dann ist ihre politische Karriere beendet, bevor sie richtig begonnen hat. Der Schaden wäre immens. In Hessen würde es wohl zu Neuwahlen kommen, bei der die SPD eine schlimme Niederlage zu befürchten hat.

Gerade deswegen dürfte aber auch eine große Koalition mit der CDU schwerfallen, die dann aus einer Position der Stärke heraus die Bedingungen einer Koalition diktieren könnte.

Aus Berliner Sicht ist die Lage für die SPD inzwischen zu einer Lose-lose-Situation geworden. Wenn nicht vorher jemand dem Treiben Ypsilantis ein Ende setzt, gibt es nichts zu gewinnen. Gewinnt Ypsilanti die Wahl, verliert die Bundes-SPD ihre Glaubwürdigkeit. Verliert sie, wird der Parteispitze um Kurt Beck Missmanagement vorzuwerfen sein.

Kurt Beck, der sich schon für den Posten des Kanzlerkandidaten disqualifiziert hat, dürfte dann auch als Parteichef nicht mehr tragbar sein. Jeder andere Spitzen-Genosse, der sich nicht explizit gegen das Experiment ausgesprochen hat, könnte ebenso für die Niederlage mitverhaftet werden.

Das gilt insbesondere für Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der höchstwahrscheinlich die Kanzlerkandidatur übernehmen wird. Die Aussichten im Bundestagwahlkampf dürfte das nicht verbessern.

Es war SPD-Chef Kurt Beck, der gesagt hat, dass man nicht mit dem gleichen Kopf zweimal gegen die gleiche Wand rennen solle. Vergangenen Donnerstag hat er Ypsilanti noch mal eindringlich gebeten, von einem Bündnis mit der Linken Abstand zu nehmen.

Sie hat nicht auf Beck gehört. Aber warum sollte sie auch? Trotz des hohen Risikos: Andrea Ypsilanti hat nichts mehr zu verlieren. Aber alles zu gewinnen. Beck geht es genau umgekehrt.

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