Youtube:Verwertungsmaschine

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Die Videoplattform verschärft ihre Geschäftsbedingungen. Das macht klar: Youtube ist kein buntes Archiv, das nebenher ein bisschen Geld verdienen muss. Sondern ein mächtiger Entertainment-Konzern mit einer ganzen Armee von Scheinselbständigen.

Von Jens-Christian Rabe

Youtube ist ein Geschenk des Internets an die Menschheit. Die Videoplattform ist das größte Bewegtbild- und Tonarchiv, das es je gab, und es ist für jeden Nutzer jederzeit mit einem einzigen Klick verfügbar. Mit Allgemeinplätzen wie diesen kommt selbst dann immer noch durch, wer kein Ureinwohner der digitalen Welt ist. Sie sind ja auch nicht falsch. Der Dienst ist eine kulturhistorische Fundgrube, und das auch noch weiter jeden Tag etwas mehr. Es ist alles da: von den ersten Werken der Gebrüder Lumière aus dem Jahr 1896 über den ersten Tonfilm mit Thomas Mann 1929 bis zu den jüngsten Auftritten des gesamten Personals der Gegenwart.

Andererseits ist Youtube ein Problem, weil es als Leitmedium der Bewusstseinsindustrie der Gegenwart noch immer notorisch unterschätzt wird. Meldungen aus seinen geschäftlichen Eingeweiden werden außerhalb der technikaffinen Welt mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen, wenn überhaupt. Tenor ist oft: Na ja, schon klar, die müssen auch ein bisschen Geld verdienen, aber ist es nicht vor allem eine fantastische Sache?

Da fällt kaum auf, dass Youtube gerade wieder dem Druck der Werbeindustrie nachgegeben und seine Spielregeln entscheidend geändert hat. Jene Nutzer, die selbst Videos veröffentlichen, bekommen künftig erst dann Geld, wenn sie mindestens 1000 Abonnenten haben und ihr Youtube-Kanal in den zwölf Monaten zuvor mindestens 4000 Stunden lang abgerufen wurde.

Es ist also genau umgekehrt: Die Plattform muss nicht zwischendurch auch mal ein bisschen Geld verdienen, ist aber eigentlich eine durch und durch gute Sache. Youtube ist vielmehr noch eine gute Sache, aber mit jeder Änderung seiner Regeln ein kleines bisschen weniger.

Denn neben einem Archiv ist Youtube längst auch und vor allem: ein extrem erfolgreicher, im Westen mühelos alle Grenzen überschreitender, mächtiger Entertainment-Konzern mit einer Armee von Scheinselbständigen.

Die erfolgreichsten unter ihnen wie der Schwede Felix Kjellberg alias PewDiePie oder die Amerikaner Casey Neistat und Jake Paul haben zwischen zehn und 60 Millionen Abonnenten, jedes einzelne ihrer - meist täglich veröffentlichten - Videos wird viele Millionen Mal angesehen.

Durchsetzen wird sich nur, was dem Konzern Aufmerksamkeit und Geld bringt

Die Video-Blogger, die ihre Clips unabhängig produzieren, haben der Plattform ein junges Millionenpublikum und damit traumhafte Werbeumfelder verschafft. Das hat vielen von ihnen Geld, manchen sogar ein Vermögen gebracht - und Youtube, das zum Suchmaschinen-Giganten Google / Alphabet gehört, hat es gierig gemacht.

Hier zeigt sich der grundlegende Irrtum mancher Nutzer: Youtube ist eben nicht die digitale Fortsetzung der alten bürgerlichen Institutionen, des Museums, des Archivs und der Bibliothek. Diese waren und sind urdemokratische, gemeinnützige Einrichtungen. In der neuen Bildersammelstelle Youtube dagegen geht es im Kern nicht mehr um die Verfügbarkeit, sondern um die Verwertung des Visuellen. Die Videos entstehen an verschiedenen Orten, viele verschiedene Menschen produzieren sie; die Stücke sind nicht weltanschaulich gelenkt. Doch um eine freie Bilderwelt handelt es sich dabei noch lange nicht. Denn ernsthaft wird sich Youtube künftig nur für das interessieren, was dem Konzern Aufmerksamkeit und damit Geld einbringt.

© SZ vom 19.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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