Wurzeln des Terrorismus:Reagans Reagenzglas

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Wie konnte der moderne Terrorismus entstehen? Durch praktische Hilfe der Geheimdienste. Und als eine Art Blaupause für die Neuerfindung des Dschihad. Doch der Politikwissenschaftler und Anthropologe Mahmood Mamdani holt in seinem neuen Buch noch viel weiter aus. Über die Wurzeln des weltweiten Terrors.

Martin Forberg

Mahmood Mamdani durchdenkt die Frage nach den Wurzeln des Terrors vom 11. September 2001 vom Süden dieser Welt her, und die Orientierung dafür gibt ihm vor allem Afrika. Das ist ungewöhnlich, und sollte es doch eigentlich nicht sein, denn schließlich waren die afrikanischen Städte Daressalam und Nairobi schon im Jahr 1998 von Al-Qaida-Anschlägen betroffen.

Soldaten in Sierra Leone im Jahr 2000 (Foto: Foto: Reuters)

Mamdani kritisiert die Einteilung von Muslimen in "Gute" und "Böse" und die selbstverständliche Verbindung zwischen Terrorismus und Islam. Er hat den Anspruch, zu einem Ausweg "aus dem Teufelskreis von staatlichem und gesellschaftlichem Terror in seinen vielfältigen Formen" beizutragen und vertritt einen konstruktiven weltbürgerlichen Ansatz für ein gewaltfreies politisches Handeln.

Der Politikwissenschaftler und Anthropologe, in Bombay geboren und in der ugandischen Hauptstadt Kampala aufgewachsen, lehrt an der New Yorker Columbia University.

Mamdani geht an die Wurzeln der Gewalt, indem er die Geschichte des kolonialen Völkermordes ebenso analysiert wie die des Terrorismus. Für ihn besteht ein direkter Zusammenhang zwischen kolonialer Ausrottungspolitik und dem Völkermord an den Juden: Im Holocaust verbinden sich zwei schwere Hypotheken der westlichen Zivilisation - der Antisemitismus und die "Genozidtradition im Umgang mit kolonisierten Völkern".

Ebenfalls radikal stellt Mamdani die Vorstellung von scharf räumlich abgegrenzten Kulturen in Frage. Sie schaffe letztlich die Voraussetzung zu einer willkürlichen Trennung zwischen "ihnen" und "uns", zwischen den "Guten" und den "Bösen". Und er wendet sich gegen die Idee von einem überhistorischen Wesen von Kultur: Kulturen fließen und wandeln sich, um sich zu zeitweilig existierenden Mosaiken zu gruppieren.

Zurück zu den Auseinandersetzungen des Kalten Krieges

Wer den Terrorismus der Gegenwart verstehen wolle, möge sich statt der Kultur der politischen Konstellation zuwenden, in der er entstanden ist, fordert Mamdani.

Und die sei in der Spätphase des Kalten Krieges finden: In den 80er Jahren spielten sich die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Ost und West in der Form von Stellvertreterkriegen im Süden dieser Welt ab. Die CIA unterstützte im Auftrag von Präsident Reagan terroristische Gruppen in Mocambique und in Zentralamerika. In Afghanistan förderten die CIA und der pakistanischer Geheimdienst ISI gerade die radikalsten Milizen, um nach dem Einmarsch der Sowjetunion eine möglichst wirksame militärische Front aufzubauen.

Die Geheimdienste entwickelten eine Art Blaupause für die Neuerfindung des Dschihad, der historisch keineswegs gleichbedeutend mit dem institutionalisierten "Heiligen Krieg gegen Ungläubige" war.

Später hat sich dieser im Reaganschen Reagenzglas zusammengesetzte Dschihadismus - entgegen den ursprünglichen Absichten - international ausgebreitet. Zunächst bis nach Ägypten und Algerien, und später weltweit unter dem Namen "Al Qaida". Im Windschatten der "Straflosigkeit" in der Spätzeit des Kalten Krieges sei auch die Gewalt in Ruanda, Sierra Leone und Liberia leichter möglich geworden, so Mamdani.

Ein weiteres Beispiel für diese Straflosigkeit sieht er im "Einsatz überproportionaler Machtmittel" durch die israelische Armee in den palästinensischen Gebieten - ermöglicht durch die Allianz der israelischen mit der US-Regierung, und nicht durch obskure Verschwörungen.

In einer Betrachtung über "den Siedler und den Selbstmordattentäter" entwickelt er eine gewaltfreie Perspektive für Israel und Palästina, die von dem ANC-Slogan "Südafrika gehört all denen, die dort leben" inspiriert ist: Es geht um den Aufbau einer Staatlichkeit auf der Basis gleichberechtigter Bürger.

Auch bei der Betrachtung des Nahen Ostens bleibt also Afrika der zentrale Bezugspunkt des Buches. Es ist eben vor allem ein Plädoyer für die weltweite Verwirklichung einer gleichberechtigten Bürgerschaft.

Das betrifft ganz gewiss nicht nur, aber auch nicht zuletzt die Vereinigten Staaten. Letztlich verteidigt Mamdani die US-amerikanische Demokratie gegen ihre Aushöhlung von innen durch die Träger einer imperialen Politik - sei es durch die Stellvertreterkriege der Ära Reagan oder durch die offene Aggression in der Ära von George W. Bush.

Seine Schlussfolgerung lautet: "Amerika kann nicht die Welt besetzen. Es muss lernen, in der Welt zu leben." Die jüngere innenpolitische Entwicklung in den USA lässt hoffen, dass dieses Plädoyer nicht ungehört verhallt.

Mahmood Mamdani: Guter Moslem, böser Moslem. Amerika und die Wurzeln des Terrors. (Aus dem Englischen übersetzt von Sophia Deeg). Edition Nautilus 2006. 320 Seiten, 19,90. Euro.

(Der Autor ist derzeit auf einer Lesereise, genaue Termine: www.edition-nautilus.de.)

© SZ vom 22.Mai 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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