Wortwörtlich - Koydls kleines Lexikon:Von Kurden, Türken und Dachsen

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Wolfgang Koydl sinniert in seinem Wochenrückblick über "Himmelstürken", die uralten Kurden und dicke Dachse. Außerdem erklärt er, wieso die Ur-Schweizer Wirtschaftsflüchtlinge waren.

Wolfgang Koydl

Ein Krieg zwischen der Türkei und den Kurden der PKK ist vergangene Woche offensichtlich vorerst noch einmal in letzter Minute verhindert worden. Einmal abgesehen vom aktuellen Zwist beider Völker, können die Kurden zumindest darauf hinweisen, dass sie schon sehr viel länger in ihrem Siedlungsgebiet leben als die Türken in dem ihren.

Die älteste verbürgte schriftliche Erwähnung eines kurdischen Volkes in der Gebirgswelt zwischen den heutigen Staaten Türkei, Iran, Irak und Syrien findet sich in einem sassanidischen Text, der im Jahr 300 vor unserer Zeitrechnung verfasst wurde. Darin wird eine Schlacht erwähnt, welcher der Sassaniden-König Ardashir I. gegen Madig, den König der Kurden führte.

Später erwähnte der griechische Historiker Xenophon die Kardouchoi, und auch in persischen ( Gord oder Kord), aramäischen ( Qardu) sowie hebräischen ( Kurdaye) Aufzeichnungen findet der Stamm Erwähnung. Die Römer sprachen von den Corduene, wenn sie die Vorfahren der Kurden meinten, und sie wussten auch, dass sie eine mit dem Medischen verwandte, iranische Sprache sprachen.

Der Russe Wladimir Minorski, der bis zum heutigen Tag als einer der angesehensten Orientalisten gilt, war überzeugt, dass die Kurden in direkter Linie vom Volk der Meder abstammten, das im sechsten vorchristlichen Jahrhundert ein mächtiges Reich errichtet hatte.

Die Türken sind im Vergleich dazu die reinsten Parvenus. Die ersten verbürgten Volksstämme dieses Namens findet man im sechsten nachchristlichen Jahrhundert in Zentralasien. Die Wissenschaft nennt sie Göktürken, was mit Himmelstürken oder Blautürken übersetzt wird und auf den Himmelsgott Tengris hinweist, den sie verehrten.

Rund hundert Jahre vorher waren die nomadischen Völker in Zentralasien in chinesischen Quellen erstmals Tu-chueh oder Tu-kue genannt worden, aus dem sich Tür-küt entwickelt haben könnte. Die Etymologie ist umstritten, doch könnte das Wort ursprünglich soviel wie "die Starken, die Mächtigen" bedeutet haben.

Eher in den Bereich der Fabel gehört die Ableitung von einer mythischen Gestalt namens Tur, von dem im Avesta, dem heiligen Buch des Zoroastrismus die Rede ist. Er soll Enkel von Yima gewesen sein, der dem biblischen Noah entspricht. Tur war demnach Stammvater aller turanischen Völker.

Ein Wort noch zu der manchmal verwirrenden Tatsache, dass das Englische dasselbe Wort für den von Ankara aus regierten Staat und für den zu Thanksgiving oder Weihnachten verspeisten Vogel verwendet: Turkey. Die Antwort liefern frühe Handelsrouten. Beide Truthahn-Arten, sowohl die kleine, aus Madagaskar stammende Variante wie auch der in Nordamerika gezüchtete größere Vogel fanden in Europa Eingang über Händler, die ihre Produkte zuerst im Osmanischen Reich, einkauften. Es lag nahe, nach den Turkey Merchants, den Türkei-Händlern, auch das Federvieh zu benennen.

Kelten und Belgier

Wenn es um den Namen von Völkern geht, gibt es manche, deren Herkunft viel eindeutiger und vor allem besser belegt ist als jene der Türken oder Kurden. Zu ihnen gehören die Belgier, deren Politiker Monate nach den Wahlen noch immer keine Regierung zustande gebracht haben. Das moderne Belgien ist keine 200 Jahre alt; es geht zurück auf die Belgische Revolution (hier sind mal zwei Worte, die überhaupt nicht zusammenzupassen scheinen) von 1830, als sich die katholischen Wallonen gegen ihre protestantischen niederländischen Oberherren erhoben.

Der Name freilich ist älter und leitet sich vom keltischen Stamm der Belgae ab, die Julius Caesar in seinem Gallischen Krieg beschrieb. Die Wortwurzel freilich ist unklar. Entweder kommt sie von einem proto-indoeuropäischen Wort für Tasche oder Gebärmutter ( bolg). Dann hätten sich die Belgae als gemeinsame Abkömmlinge einer Ur-Mutter bezeichnet - ein Umstand, den Flamen und Wallonen heute wohl zurückweisen würden. Oder man legt das proto-keltische Wort belo zugrunde.

Es hieß soviel wie hell oder weiß, findet sich in dieser Bedeutung in slawischen Sprachen ebenso wie im litauischen Wort baltas. Aus ihm leiten sich das Baltikum und die Baltische, weil weiße und glänzende, See ab. Traditionell weniger problematisch ist die Regierungsbildung in der Schweiz, die vergangene Woche ebenfalls ein Parlament wählte.

Das Land hat, soviel ist klar, den Namen eines seiner Ur-Kantone - Schwyz - übernommen, was andere Kantone lange übel nahmen. Erst als die "Schwaben", mithin die Habsburger Fremdherrscher, die aufmuckenden Bergbewohner abschätzig als Schwyzer verspotteten, beschlossen diese, den Namen künftig mit Stolz zu tragen.

Ein Dorf Schwyz ist erstmals im Jahr 972 als Suittes verbürgt. Darin klingt deutlich der Name Suit oder Suito an, von dem die Sage erzählt. Er soll mit seinen Leuten nach einer Hungersnot aus dem Norden in die heutige Schweiz eingewandert sein. (Fremdenfeinde aus dem Umfeld von Christoph Blochers Schweizerischer Volkspartei werden es ungern hören, dass die Ur-Schweizer gleichsam Wirtschaftsflüchtlinge waren).

Verbürgt ist dieser Suito freilich ebenso wenig wie sein Bruder Scheijo, den er in einem Zweikampf besiegt haben soll. (Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn er verloren hätte: Die Bergwelt zwischen Bodensee und Comer See hieße dann vielleicht Scheijsz).

Sicher an der Schweiz ist nur, dass ihr Name weder lateinisch noch alemannisch, und daher unbekannt ist. Gut möglich, dass sich die Eidgenossenschaft daher offiziell Confoederatio Helvetica nennt: Die Helvetier waren ein keltischer Stamm, der schon den Römern gut bekannt war.

Dachse in Gefahr

Gehen wir zum Schluss noch kurz nach England: Hier sollen, wenn es nach dem Willen eines Wissenschaftlers geht, die Dachse dezimiert werden, weil sie angeblich eine Rinderseuche verbreiten. Erstaunlicherweise liegen die Ursprünge der Namen von Tieren, die unseren Vorfahren seit Jahrtausenden bekannt sind, weitgehend im Dunkeln. Für den Dachs gibt es gleich zwei - unbewiesene - Deutungsversuche.

Entweder wurde er nach seiner Fähigkeit benannt, kunstvolle Höhlen- und Tunnelsysteme anzulegen. Dann wäre das altindische taksati = zimmern/verfertigen die Ur-Wurzel. Aus ihr wurde später im Griechischen tekton = der Zimmermann, dem wir nicht nur Tische und Stühle, sondern etymologisch auch die Tektonik und die Technologie verdanken.

Oder unsere Vorfahren machten sich nur über die kugelrunde Körperform des Dachses lustig: dann hätte das Wort dick für den Dickling Pate gestanden.

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