Wie wirkt der Merkel-Faktor bei den Frauen?:Disharmonie bestimmt die Damenwahl

Lesezeit: 10 min

Die meisten Wähler sind weiblich, aber nur für 10 Prozent ist das Geschlecht des Kandidaten entscheidend - eine Suche nach dem kleinen Unterschied.

Evelyn Roll

Frankfurt/Berlin, im September - Eigentlich ist Kristina Gräfin Pilati in keiner Partei. Als Anwältin war sie bisher auch eher FDP-Wählerin. Außerdem ist sie mit einem ehemaligen SPD-Vorsitzenden verheiratet. Und wenn man sie im schnieken Besuchszimmer ihrer Anwaltskanzlei an Frankfurts Eschersheimer Landstraße fragt, warum sie sich in diesem Wahlkampf für Angela Merkel engagiert, schiebt sie die Kopie eines Briefes über den Tisch. Dann lehnt sie sich zurück und beobachtet die Reaktion ihrer Besucherin.

Damenwahl in Deutschland (Foto: Foto: dpa)

Am 1. 3. 1994 - vor mehr als elf Jahren also, als die meisten Menschen in Deutschland die junge Frauenministerin aus dem Osten noch nicht einmal zur Kenntnis genommen hatten - hat sie diesen Brief an die "Liebe Frau Merkel" geschrieben: "Ich möchte nicht versäumen, Ihnen meine Begeisterung mitzuteilen. Ihr Beitrag in der Talk-Show am Sonntag war einfach großartig", steht da.

Und: "Ich kann Sie mir eines Tages gut als Kanzlerkandidatin vorstellen." Gräfin Pilati nickt triumphierend und sagt: "Angela Merkel war schon damals beeindruckend klar und brachte die Sachen genau auf den Punkt."

Die kleine Kristina musste 1953 mit ihrem Vater, einem Anwalt, aus Eisenach fliehen. Sie hat also eine umgekehrte Lebensgeschichte, wie die in Hamburg geborene und nach Templin verpflanzte Kanzlerkandidatin. Und dann gibt es da noch das Geschenk, mit dem sich Gräfin Pilatis erster Mandant, ein Lufthansa-Pilot, für den ersten gewonnenen Prozess bedankt hat: einen Schminkkoffer. "Sie sind wirklich eine tolle Anwältin", hatte der Pilot gesagt. "Aber vielleicht sollten Sie für Ihre Auftritte vor Gericht in Zukunft ein wenig aus sich machen."

Die missglückte Attacke

Und jetzt schüttelt Gräfin Pilati den perfekt geföhnten Kopf und sagt: "Jedem aus dem Leim gegangenen Fischer sieht die Nation ein verschwiemeltes Gesicht nach, wenn sie ihn nur wirklich gut findet, aber bei einer Frau von diesem Potenzial reden sie ewig nur über die Frisur und die Klamotten."

Große weibliche Identifikation also?

"Ach was, das ist es nicht. Ich will einfach nur die Beste. Und sie ist in allen Bereichen besser als Schröder. Sie ist ein deutsch-deutscher Glücksfall."

Und während man noch überlegt, ob man Gräfin Pilati nicht mal langsam nach Rudolf Scharpings Meinung zu diesem Wahlengagement seiner Frau fragen sollte, sagt sie: "In unserer Ehe hat jeder das Recht auf eine eigene Meinung. Das ist doch hoffentlich überall so."

Da ist also in diesem Wahlkampf die heutige Ehefrau des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Scharping für Angela Merkel unterwegs. Und jetzt hat auch noch die amtierende Gattin des amtierenden Bundeskanzlers mit ihren törichten Angriffen auf die kinderlose Kandidatin eher unfreiwillig bisher unentschiedene Frauen auf Angela Merkels Seite gebracht.

Es ist Damenwahl. Damenwahl im doppelten Wortsinn: 32,2 Millionen der 61,9 Millionen Wahlberechtigten sind weiblich. Das sind 52 Prozent. Die meisten Wahlforscher sagen: Das Wahlverhalten von Frauen unterscheidet sich nicht signifikant vom Wahlverhalten der Männer, schon gar nicht in Bezug auf das Geschlecht des Kanzlerkandidaten.

Am Ende zählen Kompetenzzuordnungen

Das scheint auch zu stimmen, jedenfalls für etwa 80 Prozent der Frauen. Sie sagen, was Angela Merkel auch immer sagt: "Der Geschlechterunterschied wird natürlich wahrgenommen, aber am Ende zählen Kompetenzzuordnungen."

Diese 80 Prozent, die überdeutliche Mehrheit der Frauen also, sagen vollkommen selbstverständlich, was zum Beispiel die junge Sängerin Judith Holofernes - jetzt werden ja überall die Frauen befragt - gesagt hat: "Ich wähle doch keine Partei, nur weil der Spitzenkandidat eine Frau ist." Und sie sagen mit einigem Selbstbewusstsein möglicherweise sogar, was Angela Merkel im Schleswig-Holstein-Wahlkampf auch gesagt hat: "Wir haben hier keine Abstimmung nach Geschlecht. Es muss niemand aus Mitleid gewählt werden, weil er eine Frau ist."

Dann aber haben immer neue Umfragen ein paar Feinheiten und Ausnahmen von dieser Grundthese zutage gefördert: 20 Prozent der weiblichen Menschen sagen, sie glauben, dass eine Frau besser regieren kann als ein Mann. Und zehn Prozent sagen sogar, dass das Geschlecht des Spitzenkandidaten eine Rolle für ihre Wahlentscheidung spielt. Fast ein Drittel der Briefe und E-Mails, die Angela Merkel zurzeit bekommt, sind von Frauen.

Betört von der Idee, es könnte zum ersten Mal eine Bundeskanzlerin geben? Alice Schwarzer (Foto: Foto: ddp)

Sehr viele fangen so an: "Ich habe noch nie CDU gewählt, aber dieses Mal..." Die Filmproduzentin Regina Ziegler will wegen Angela Merkel CDU wählen, die Hamburger NDR-Direktorin Maria von Welser auch, Martine Dornier-Tiefenthaler, die als FDP-nah galt, genauso. Und in der Zeit fragte Susanne Mayer in einem klugen und witzigen Stück: "Müssen wir Angela Merkel nun wählen, weil sie eine Frau ist? Die Antwort: aber ja."

Also ist Angela Merkel in der letzten Zeit immerhin zweimal auf reinen Frauenveranstaltungen erschienen. Also hat sie Interviews in Frauenzeitschriften gegeben, Interviews, in denen es um Frauenpolitik und Frauenrollen gegangen ist und in denen sie Sätze ausprobiert hat wie: "Wenn ich eines Tages auf mein politisches Leben zurückblicke, möchte ich da nicht lesen: selber Karriere gemacht, aber für andere Frauen nichts getan."

Intellekt und Kleiderfarben

Und das hat in dieser letzten, heißen Phase des Wahlkampfes die anderen noch einmal extra nervös gemacht. Und um einmal das schönste Wort zu applizieren, das man bei einer Recherche über das Wahlverhalten von Frauen lernt: Es geht in der Schlussphase eines Wahlkampfes um "kognitive Disharmonie". Darum, zu wessen Gunsten sich die kognitive Disharmonie in den Köpfen der noch Unentschiedenen bis zum 18.September harmonisiert haben wird.

Weil es in den Zeiten der Entideologisierung keine wirklich berechenbaren Wählerkohorten mehr gibt, ist für viele Wahlforscher die einzige vernünftige Theorie zur Entstehung von Wahlentscheidungen die vom Herstellen kognitiver Harmonie. Jede Kleinigkeit kann in jeder beliebigen Wählergruppe diese Harmonie - und damit die Wahlentscheidung - stören oder herstellen.

Die Frauen. Nicht der Osten

Nun haben im Wahlkampf 2002 vor allem Frauen erst ganz am Ende entschieden. Stoiber hatte bei diesen unentschiedenen Frauen die höheren Kompetenzwerte, Schröder die höhere Sympathie. Diese Disharmonie hat sich dann erst durch Schröders Haltung im Irak-Konflikt aufgelöst.

Und weil es so knapp war, haben die Frauen die Wahl 2002 entschieden. Die Frauen. Nicht der Osten.

Eigentlich wissen alle Wahlkämpfer, dass gerade Frauen durch persönliche Angriffe und schneidiges Polarisieren eher abgeschreckt werden. Jeder Satz von Müntefering wie: "Merkel ist nur zweite Liga", mag zwar die eigene Klientel mobilisieren. Er birgt aber auch die Gefahr, noch ein paar unentschiedene Frauen - und möglicherweise ja auch Männer - auf die Merkel-Seite zu bringen.

Die Schriftstellerin Monika Maron hat, noch bevor Schröder-Köpf in die Damenwahl eingriff, in einem langen FAZ-Artikel gefragt: Was hat Angela Merkel nur an sich, dass sogar Leute, denen ihr intellektuelles Niveau sonst lieb und teuer ist, plötzlich mit Kleiderfarben, hängenden Mundwinkeln, Ost und Frau argumentieren? Angela Merkel kann diesen Aufsatz übrigens inzwischen auswendig aufsagen.

Dann haben die anderen die Frauen vorgeschickt, erst die Ministerinnen und Frauenpolitikerinnen, später die Ehefrauen. Was, wie man sieht, auch nicht immer eine gute Idee ist. Weil jetzt Doris Schröder-Köpf in der Bunten - angefeuert möglicherweise von den neuesten steigenden Umfragewerten für die SPD - noch einmal nachgelegt hat.

Eifrige Kanzlergattin

Nun soll die kinderlose ehemalige Frauenministerin Angela Merkel sogar schuld daran sein, dass 40 Prozent der Akademikerinnen aus Schröder-Köpfs Generation kinderlos geblieben sind.

Alice Schwarzer sagt: "Außerhalb der Union gibt es zurzeit keine eifrigere Wahlhelferin für Angela Merkel als die Kanzlergattin."

Alice Schwarzer ist offenbar richtig wütend. "Stimmt", sagte sie und: "Hören Sie was aus der SPD? Ich höre und sehe nichts. Ich warte auf Massenproteste von Grünen- und SPD-Frauen, die sagen, was die Hausfrau Doris Schröder-Köpf da in ihrem flammenden Mutterschaftswahn sagt, hat nichts mit unserer Frauenpolitik zu tun. Worauf warten die? Die müssen sich verhalten. Wir leben doch nicht im 19. Jahrhundert."

Möglicherweise ist die Feministin und Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer überhaupt ein wunderbares Beispiel für eine Frau, deren kognitive Disharmonie sich mit dem Ende dieses Wahlkampfs nach und nach zugunsten von Angela Merkel aufgelöst hat.

Und es ist ja sowieso auch immer aufschlussreich und interessant, Alice Schwarzer zu treffen. Im Manzini zum Beispiel, um die Ecke von Alice Schwarzers Berliner Wohnung. Schon allein, weil die Zeitungsträgerin dort, sobald sie Alice Schwarzer entdeckt, zu einer regelrechten Rede anhebt: "Sie, Frau Schwarzer, sollten kandidieren! Sie würden wirklich von allen Frauen gewählt..."

Bevor wir aber mit Alice Schwarzer über alle diese Dinge reden und sie auch mit dem kleinen Scherz behelligen können, ob sie der Zeitungsausträgerin vielleicht etwas bezahlt für den grandiosen Auftritt, wollen wir erst noch in einer loftähnlich hergerichteten Etage eines ehemaligen Kaufhauses in Berlin-Mitte ein paar weitere Grundlagen zum Wahlverhalten von Frauen in Deutschland einholen.

Draußen vor der Tür hört sich das an wie ein Bienenvolk vor Dreifachverstärkern. Es ist das aber nur das Grundrauschen der Umfragedemokratie. Drinnen sieht es aus wie in einer Szene aus Chaplins "Moderne Zeiten": 150 Menschen sitzen, dicht an dicht, Reihe an Reihe und wie auf einem Schachbrett ausgerichtet, vor Computermonitoren.

Sie tragen Kopfhörer mit Sprechvorrichtung. Sie telefonieren. Sie befragen das Volk. Tag für Tag, rund um das Jahr und immer zwischen 17 und 21Uhr tun sie das. Täglich müssen allein von Forsa 1500 Menschen befragt werden.

Eine Aussage ist tabu

Manfred Güllner, der das Meinungsforschungsinstitut Forsa leitet, zieht die Tür wieder zu. Er ist ein freundlicher Mensch mit rundem Kopf und etwas hingenuschelter Sprache. Er gilt als Kanzlerfreund, er ist SPD-Mitglied. Und er ist schon allein deswegen ein sehr sympathischer Mensch, weil er sich und die eigene Zunft in Frage stellt.

Weil er sagt: "Wir können immer nur Stimmungen messen, nicht Stimmen am Wahltag vorhersagen. Wir wissen, was Menschen behaupten zu denken und zu tun, nicht, was sie in Wahrheit denken und tun werden." Zum Beispiel scheint die einfache Aussage: Ich traue einer Frau die Kanzlerschaft nicht zu, tabuisiert zu sein.

Weswegen viele Menschen, auch Leitartikler und grüne Feministinnen, zur Harmonisierung ihrer kognitiven Disharmonien sagen müssen: Ich traue das einer Frau selbstverständlich zu. Aber nicht dieser.

Und die Frauen?

"Was wir wissen, ist, dass es 2002 in allen Frauengruppen Vorbehalte gegen Edmund Stoiber gab. Was wir allerdings auch wissen, ist, dass Frauen keinesfalls automatisch Frauen wählen, vor allem die Frauen im Osten nicht."

Lohnt es sich denn da überhaupt für irgendeine Seite, eine Art Extrawahlkampf für die zehn Prozent der Frauen zu inszenieren, in deren kognitiven Entscheidungsprozessen möglicherweise das Geschlecht der Kandidatin doch eine positive Rolle spielt? Güllner zuckt die Schultern.

Das Geheimnis von Wahlerfolgen in einer ergrauenden Republik sind doch sowieso die Alten. Mehr als ein Drittel der Wahlberechtigten sind älter als 60 Jahre. Und weil in dieser Alterskohorte die Wahlbeteiligung sehr hoch ist, liegt ihr tatsächlicher Einfluss noch weitaus höher.

So etwas muss man wissen, wenn man sich zum Beispiel wundert, warum konkrete Vorschläge zur Rentenreform aus den Programmen sämtlicher Parteien komplett verschwunden sind.

Andererseits ist die überdeutliche Mehrheit der Alten weiblich. Und noch einmal andererseits zielt ja auch nicht alle Wahlkampfaktivität, die von Frauen ausgeht, nur auf Frauen.

Friede Springer, Liz Mohn, Ann-Katrin Bauknecht, Ina Griese-Schwenkow, Patricia Riekel, Brigitte von Boch und 33 andere Frauen, die in allen Regionen Deutschlands wieder eigene Netzwerke haben, laden unter dem Kürzel MFM (Mehr für Merkel) schon seit ein paar Jahren Männer und Frauen ein, Angela Merkel kennen zu lernen.

Bekenntnis aus Strass

Ann-Katrin Bauknecht erläutert die einfache Arbeitsthese dieses Netzwerkes: Menschen, die Angela Merkel nicht nur vom Fernseher kennen, sondern Gelegenheit hatten, ihr einmal zu begegnen, sind anschließend von ihr überzeugt.

Also sind in den letzten Jahren eine Menge Empfänge und Abendessen gegeben worden in Berlin, in Stuttgart, in München, in Frankfurt, in Leipzig, sogar auf Sylt. Viele der Gäste tragen anschließend eine noble, kleine Bekenner-Anstecknadel, ein strassbesetzes "V" - für Victress, Siegerin.

Die Marketing Beraterin Sonja Müller- sie ist mit dem ehemaligen CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer liiert, aber parteilos - hat am 5.September in der Hauptstadt einen "Victress Day" ausgerichtet, einen Frauen-Kongress nicht nur für Frauen, sondern vor allem für Angela Merkel.

Sogar der russische Botschafter läuft seither mit so einer Pro-Merkel-Nadel durch Berlin.

Und ihr kommt wieder an den Herd

Alle Kongressteilnehmer mussten am Eingang an einer Gruppe von grünen Frauen vorbei, die Plakate hochhielten, auf denen zu lesen war: "Wir haben eine Kanzlerin. Und ihr kommt wieder an den Herd." Im Gespräch stellte sich dann heraus, dass diese Plakate nicht gegen Doris Schröder-Köpf, sondern gegen die Frauenpolitik der Union gerichtet waren.

Weswegen nun doch noch von Alice Schwarzer zu Ende erzählt werden soll, unserem Beispiel für kognitive Disharmonie in den Köpfen von Frauen, die noch nie in ihrem Leben Union gewählt haben, aber zu den zehn Prozent Frauen gehören, die es jetzt möglicherweise tun.

"Sie macht es einem nicht leicht", sagt also Schwarzer. "Als Angela Merkel CDU-Chefin wurde, waren alle frauenbewegten Frauen begeistert und bereit. Aber dann hat sich Enttäuschung breit gemacht: Was tut sie denn für uns? Okay, immerhin das Gesetz gegen die Freier von Zwangprostituierten. Aber sonst? Frauenpolitik kommt im Programm der Union nicht vor."

Deshalb hat Alice Schwarzer demonstrativ eine etwas seltsame Pressekonferenz durch ihre Anwesenheit veredelt, eine Pressekonferenz, mit der die SPD-Ministerinnen der Schröder-Regierung zum Auftakt des Wahlkampfes auf ihre Existenz hingewiesen haben. Also hat sie in Emma ein Interview mit Renate Schmidt zu den Erfolgen der SPD-Frauenpolitik gemacht und noch eines über das "frauenfreie Programm" der CDU mit drei frauenpolitisch profilierten Unionsfrauen.

Andererseits hat sie im Editorial derselben Ausgabe von Emma, in Aufsätzen für die Frauen-Union und auch nach dem großen TV-Duell von ihrem Stolz auf die Kandidatin erzählt und davon, wie wichtig diese erste Kanzlerin für die Frauenbewegung wäre.

"Blöde, blöde Kuh"

Daraufhin sind die Führungsfrauen von SPD und Grünen bitter und furios über Schwarzer hergefallen. Sie "erliege einem Personenkult und opfere dafür die Ziele der Frauenbewegung", sagte Renate Schmidt. Und Renate Künast schrieb in einem offenen Brief, Schwarzer sei "offenbar betört von der Idee, es könnte zum ersten Mal eine Bundeskanzlerin geben".

Offenbar ist sie das jetzt wirklich. Und: Auch so kann man kognitive Disharmonien in unerwünschte Richtungen auflösen.

Gegen Ende so einer Damenwahl-Recherche ist man also möglicherweise ein bisschen traurig: Warum nur lassen sich immer die Frauen vorschicken, anderen Frauen die Augen auszukratzen? Sandra Maischberger hatte am Dienstagabend genau diese Frage noch gar nicht wirklich gestellt, als Nina Hagen und Jutta Ditfurth vor laufenden Kameras übereinander herfielen: "Du esoterisch Durchgeknallte", sagte zum Beispiel Frau Ditfurth. "Diese dicke Frau da", konterte Frau Hagen und: "blöde, blöde Kuh". Das ging minutenlang so, als hätte ein wirklich bösartiger Macho-Satiriker das Drehbuch geschrieben.

Das war ein auch kognitiv außerordentlich disharmonischer Abend, an dem viele Fragen offen blieben: Warum lädt sich eine intelligente Moderatorin ausgerechnet zu einer reinen Frauensendung diese zickigen Krampfhennen ins Studio, auf dass die frauenfeindlichste Sendung entsteht, die im Wahlkampf überhaupt zu sehen war?

Warum lassen die anderen Frauen - Wibke Bruhns, Hanna-Renata Laurien - so etwas mit sich machen? Und: Warum fällt eine intelligente Journalistin und Kanzlergattin zurück ins 19.Jahrhundert? Warum kann ein weiblicher Mensch im 21.Jahrhundert nicht einfach Kanzler werden?

Weil die anderen jetzt mal wieder dran sind, weil die so genannten Linken in der SPD den Kanzler dazu gebracht haben, vor der Zeit hinzuwerfen oder aus welchen Gründen auch immer? Warum können Menschen nicht einfach Menschen wählen?

Dann beruhigt man sich wieder. Am 18. September werden sich alle kognitiven Disharmonien in konkrete Wahlentscheidungen oder Wahlenthaltungen verwandelt haben.

Normalerweise ist das kurze, heiße Wahlkampf-Interesse an Frauen, an Gleichberechtigung, an Familienpolitik und anderem, was sonst gerne "Gedöns" genannt wird, in diesem Land noch immer gleich in der Wahlnacht wieder eingeschlafen, sanft, tief, fest und meistens für vier Jahre. Aber wer weiß, vielleicht gibt es dieses eine Mal ja auch da einen kleinen Unterschied. Weil nun einmal tatsächlich Damenwahl ist. Auch im anderen Sinn des Wortes.

© SZ vom 10.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: