Wie Peking die Tibet-Krise erlebt:Schöne Stimmung überall

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China will zu den Olympischen Spielen eigentlich die Welt umarmen, seine Regierung fordert dieselbe Welt aber zugleich in Lhasa heraus. In Pekings Straßen will man davon allerdings nichts wissen.

Gerhard Matzig

Das neue Abfertigungsgebäude des Pekinger Flughafens liegt da wie ein Tier, so geduckt, als wolle es sich vor einem Sandsturm verkriechen. "Sha chen bao" heißt der Staubwind, der Peking von den nördlichen Provinzen her alljährlich überfällt und die Stadt in ein trübes Gelb kleidet.

Aus weiter Ferne: Von den Ausschreitungen in Lhasa hört man in Peking kaum etwas. (Foto: Foto: AP)

Am Dienstag macht sich erst ein Vorbote der heftigen Frühlingswinde bemerkbar, aber es reicht, um Norman Fosters gigantisches Dach in ein diffuses, unwirkliches Licht zu setzen. Das Licht, die Schemen, die Stille: All das drückt die seltsame Stimmung einer Stadt aus, die nach den Ausschreitungen in Lhasa vom Wochenende im Mittelpunkt der Welt steht - und davon auf bizarre Weise nichts wissen will. So gleicht Peking in diesen Tagen tatsächlich einem Tier, das sich routiniert unter einem Panzer aus moderner Glasarchitektur und den schon länger bekannten Mauern des Schweigens verkriecht.

Je schärfer die Welt jetzt auf Peking blickt, umso unklarer scheint die Stadt zurückzublicken. Die Schwärze, die das Fernsehen sendet, sobald man bei CNN auf Tibet zu sprechen kommt, entspricht der Staubschicht, die sich am Dienstag so undurchdringlich zwischen Peking und jenen blauen Himmel schiebt, der Tage zuvor eine vorolympische Freude und den Willen nicht zur Macht, sondern zur Pracht auszudrücken schien.

Ein vielsagendes "Ich weiß nicht"

China will in seiner Welthauptstadt eigentlich die Welt umarmen, während seine Regierung dieselbe Welt in Lhasa herausfordert. Wang Jins alter Vater lernt zum Beispiel schon seit Monaten einen einzigen Satz auf Englisch: "I don't know." Ich weiß nicht - das wird er sagen, sobald er von einem Olympia-Touristen nach dem Weg zu den Spielstätten oder sonst wohin befragt wird. Nicht, weil er den Weg nicht kennt oder erklären will, sondern weil er es nicht kann außerhalb seiner eigenen Sprache.

Aber die Touristen sollen nur ja nicht aufgehalten werden von dem alten Mann. Sein Sohn lacht, während er dies erzählt, denn sein Vater verlässt seinen Garten ja nie. Die Chancen, dass er einem Fremden die Zeit stehlen könnte, sind also gering. Und trotzdem übt er immer wieder diesen einen Satz: "Ich weiß nicht." Das ist der Satz der Sätze, gerade jetzt.

Auch Wang Jin, der uns Journalisten durch seine Geburtsstadt führt, darf nichts wissen. Nichts von Ausschreitungen. Nichts von den Diskussionen um den Olympiaboykott. Nichts von der Frage, wie sich der Glamour der neuen Spielstätten, auf die man in Peking so stolz ist, mit dem Terror des Regimes vereinbaren lässt. Er darf nichts wissen. "Sie sind Journalist", sagt er. Das heißt: "Wenn Sie A schreiben, könnten andere B verstehen."

Die Vorsicht und die Stummheit der Menschen sind in Peking wie mit Händen zu greifen. All die weißen Tücher, die sich die Einwohner Pekings seit Jahren vor Mund und Nase klemmen, um sich im Dauerstau vor Staub und Gestank zu schützen: In diesen Tagen bekommen sie eine neue Bedeutung. Sie schützen offenbar auch davor, deutlich zu sprechen.

Das gilt auch für Zhang Xin, eine junge Illustratorin und Künstlerin aus Peking, die in China die überall spürbare Lust verkörpert, nach einem öden Jahrhundert der Propaganda-Kunst, die Moderne und den Pop zu entdecken. Ihre reichlich plakativen Motive, schreiend bunte Szenerien aus der Mode- oder Musikwelt, lassen an Geheimnislosigkeit nichts zu wünschen übrig. Von Tibet allerdings weiß sie auch am Montag nach den Unruhen nichts: "I don't know." Die Zeitung China Daily widmet dem Thema bislang nur ein paar Zeilen täglich, in denen vor allem von der "Dalai-Lama-Clique" die Rede ist.

Spucken verboten

Man muss andere Menschen hier befragen. Wahl-Chinesen etwa, die aus Deutschland stammen und hierhergekommen sind, um am Chinaboom teilzuhaben. Zum Beispiel Gerhard Starzetz, der seit ein paar Jahren in Peking lebt, um für die Hong-Fu-Gruppe, einen mächtigen Immobilienentwickler, im Norden von Peking eine moderne Idealstadt namens "Hot Spring Leisure City" zu realisieren.

Diese Stadt ist für insgesamt 40.000 Menschen gedacht. In zwei Jahren soll sie fertig sein. Dann umfasst sie als eine Art geschlossene Anstalt für Superreiche 1000 Villen zu je einer Million Euro, eine Universität für Bühnenkunst, eine gewaltige Sportanlage, ein Spaßbad, Büros und ein Super-Hotel, in dem die Übernachtung 25.000 Dollar kosten wird.

Starzetz, der diese gespenstische Wohlfühlstadt in Europa bekanntmachen soll, will sich zwar nicht zu Tibet äußern. Aber dafür zu den Unruhen auf dem Platz des Himmlischen Friedens vom Juni 1989. Er glaubt nicht, dass damals Studenten und Arbeiter mit Panzern überrollt und mit Bajonetten niedergestochen wurden; er glaubt, dass vor allem Soldaten von den Studenten "gekillt" wurden. Im Übrigen sei es nicht gut, China zu kritisieren. "Jetzt muss man hier aufbauen, konstruktiv sein."

Das Land, auf dem er seine Leisure City baut, wurde früher von 160 Bauern bestellt. Es ist zwecklos danach zu fragen, was sie zu all dem sagen. Die Antwort wäre: "I don't know." Sie wissen nur, dass sie wegen Olympia nicht mehr auf den Boden spucken dürfen. Sie wissen, dass man nicht drängeln darf in der U-Bahn. Sie wissen, dass die Welt auf Peking blickt. "Ist doch schön", sagt Starzetz, "diese Stimmung überall."

© SZ vom 20.03.2008/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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