Warnung vor sozialen Unruhen:Staatsbürgschaft für Bürger

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Man soll von sozialen Unruhen nicht alarmistisch reden. Man soll etwas dafür tun, dass sich die Bürger sicher fühlen können. Der Staat muss für die soziale Sicherheit seiner Bürger bürgen.

H. Prantl

Nicht die Poilzei und nicht die Justiz waren jahrzehntelang Garant des inneren Friedens in der Bundesrepublik Deutschland; nicht Strafrechtsparagraphen und Sicherheitspakete haben für innere Sicherheit gesorgt.

Hartz-IV-Gegner in Hamburg. Das Foto entstand 2004. (Foto: Foto: dpa)

Es war der Sozialstaat. Er war das Fundament der wirtschaftlichen Prosperität, er war die Geschäftsgrundlage für gute Geschäfte, er verband politische Moral und ökonomischen Erfolg.

Aus der Marktwirtschaft wurde ein deutsches Wunder, das Wirtschaftswunder, weil es den Sozialstaat gab. Ohne den Sozialstaat hätte es nicht nur einmal gekracht in der Republik. Der Sozialstaat hat soziale Gegensätze entschärft.

Das gilt es in der Krise zu bedenken, die die größte Wirtschaftskrise ist, die die Bundesrepublik seit ihrer Gründung erlebt hat.

Der vormalige Generalstaatsanwalt Kay Nehm hat kurz vor dem Ende seiner Amtszeit vor einem "Auseinanderdriften der Gesellschaft" gewarnt, das den inneren Frieden gefährden könne. Diese Warnung stammt aus dem Jahr 2006.

Sie hatte die Massenarbeitslosigkeit im Blick und die Rutsche in die Armut, genannt Hartz IV, und die gewaltige Angst auch in der Mittelschicht davor, dass man sich auf einmal selbst darauf befinden könnte.

Die große Wirtschaftskrise wird natürlich diese Angst noch weiter schüren - die Menschen fühlen die Stühle wackeln, auf denen sie sitzen, selbst wenn die noch gar nicht wackeln. Diese Angst kann politisch gefährlich werden - zumal dann, wenn sie von Kassandra-Rufen geschürt wird.

"Soziale Unruhen" darf man nicht wahrsagerisch drohend prognostizieren; man muss alles dafür tun, dass sie nicht eintreten. Gewerkschaftsführer sollen also nicht alarmistisch daherreden, sondern kluge Vorschläge dazu machen, was Staat und Gesellschaft tun können, um den Menschen Sicherheit zu geben.

Sozialstaat heißt: Der Staat bürgt für die soziale Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger. Dazu können auch staatliche Hilfen bei der arbeitsplatzerhaltenden Sanierung eines insolventen Unternehmens gehören - als Nothilfe nicht für eine verwirtschaftete Firma, sondern für deren Arbeitnehmer.

Der Bundesverband der deutschen Industrie hat solche Hilfe verschiedentlich "tragisch" genannt, weil sie nicht ins System passe. Wirklich tragisch wäre es aber, wenn "das System" wichtiger wäre als der Mensch.

Es gilt heute, die Erfolgsgeschichte des Sozialstaats mit neuen Mitteln und Methoden fortzuschreiben: Dieser Sozialstatat hat zunächst dafür gesorgt, dass Kriegsinvalide und Flüchtlinge einigermaßen leben konnten. Dann hat er dafür gesorgt, das auch Kinder aus kärglichen Verhältnissen studieren konnten; ein solches Kind konnte sogar Bundeskanzler werden.

Der Sozialstaat kümmerte sich in dem Maß, in dem der Wohlstand im Lande wuchs, nicht nur um das blanke Überleben seiner Bürger, sondern um eine Lebensqualität - die immer wieder neu justiert werden muss.

Ein stabiles Schiff

Ohne diesen Sozialstaat hätte es im Übrigen auch keine deutsche Einheit gegeben; die Sozialversicherungssysteme haben diese finanziert - und sie sind dadurch in Schwierigkeiten gekommen.

In der Krise muss der Sozialstaat mehr bieten als einen Schwimmreifen, den man den Leuten zuwirft, um sie vor dem kompletten Absaufen zu bewahren.

Der Sozialstaat muss ein stabiles Schiff sein im aufgewühlten Ozean. Es ist egal, welchen Namen dieses Schiff hat - ob man es nun drittes Konjunkturprogamm oder Vertrauenspaket nennt. Es geht darum, dass die Bürger spüren, dass der Staat für ihre soziale Sicherheit in den Zeiten der Krise bürgt.

Diese Bürgschaft ist Voraussetzung dafür, dass die anderen Bürgschaften funktionieren - die der Staat für die Wirtschaft schon abgeben hat.

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