Wahlstatistik:Julia Klöckners trauriger Triumph

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Wie viele Menschen mobilisierte die CDU-Herausforderin wirklich? Die absoluten Wählerzahlen werfen einige Deutungen über den Haufen.

Von Detlef Esslinger

Als am Sonntagabend in Mainz klar war, dass die CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner nicht nur die Wahl verloren hatte, sondern zudem noch unter 32 Prozent landen würde, machte bei der SPD schnell ein sehr böse gemeinter Vergleich die Runde: "Die ist ja noch schlechter als Böhr!" Die Häme knüpfte daran an, dass - gemessen in Prozenten - die CDU Rheinland-Pfalz noch nie so schlecht abgeschnitten hatte. Christoph Böhr, der 2001 und 2006 der Spitzenmann war, hatte immerhin noch 35,3 sowie 32,8 Prozent erzielt.

Es war dies jedoch eine Häme, die mehr über die Gesetze des politischen Betriebs erzählte als über die Matadorin Klöckner. Zu diesen Gesetzen gehört es, in Prozenten zu denken. Das ist insofern verständlich, als Prozente über die Sitzverteilung und damit die Mehrheiten entscheiden. Die Denkweise ignoriert jedoch, wie viele Wahlberechtigte den Politikern tatsächlich ein Mandat geben wollten. Wer wählt, gibt ein Statement ab. Aber auch derjenige, der nicht wählt.

Besieht man die Wählerstimmen, hat Julia Klöckner nicht eingebüßt, sondern zugelegt. Ihre CDU kam auf 677 000 Stimmen, das sind immerhin 19 000 mehr als vor fünf Jahren. Weil aber die Wahlbeteiligung gestiegen ist und die SPD viel stärker zulegte - um mehr als 100 000 Stimmen auf 771 000 -, sank Klöckner auf ein prozentuales Ergebnis, das sich mit "Noch schlechter als Böhr" schmähen ließ. Allerdings wird die CDU nun von 100 000 mehr Wählern angekreuzt als 2006, also vor ihrer Zeit. Als Verliererin gilt sie, weil sie die Machtübernahme verfehlt hat, und das schließlich der Maßstab ist. Einem ähnlichen mathematischen Phänomen ist übrigens ihr Kollege Reiner Haseloff in Sachsen-Anhalt ausgesetzt; nur dass sich bei ihm die Konsequenz in Grenzen hält. Ein Plus von 11 000 Stimmen (auf 334 000) geht bei diesem Ministerpräsidenten einher mit einem Minus von 2,7 Prozentpunkten (auf 29,8).

Manchen Wahlforschern ist der Blick auf die absolute Zahlen und die Wahlbeteiligung wichtig, um die Verankerung der Demokratie bei den Bürgern zu beschreiben. Sie stellen die Frage nach der Legitimationsbasis der Gewählten: Auf wie viele Wähler und wie viele Prozent der Wahlberechtigten insgesamt können sich Politiker tatsächlich stützen? In Baden-Württemberg hat Winfried Kretschmann am Sonntag 1,6 Millionen Stimmen eingesammelt - bei 7,7 Millionen Wahlberechtigten. Das Statistische Landesamt hat sich die Mühe gemacht, das Wahlergebnis auch auf der Basis der Wahlberechtigten darzustellen. Trotz der auf mehr als 70 Prozent gestiegenen Wahlbeteiligung bleiben die Nichtwähler die stärkste Gruppe: 29,6 Prozent. Kretschmanns Grüne erreichen demnach 21,1 Prozent, ihr bisheriger Koalitionspartner SPD stürzt ab auf 8,8 Prozent. Die CDU kommt auf 18,8 Prozent.

Sollte deren Spitzenkandidat Guido Wolf nun wiederum mit dem tatsächlichen Wahlergebnis argumentieren und behaupten, die 30,3 Prozent der Grünen erklärten Kretschmann mitnichten zum quasi natürlichen Ministerpräsidenten, so lässt sich ihm entgegenhalten: Der letzte CDU-Wahlsieger, Günther Oettinger, blieb 2006 Ministerpräsident mit gerade mal 100 000 Stimmen mehr als Kretschmann. Nur wegen der damals relativ geringen Wahlbeteiligung sah sein Ergebnis noch so imposant aus: 44,2 Prozent.

Der Blick auf die absoluten Zahlen gibt auch eine Ahnung, über welche Reserven die AfD wohl noch verfügt. In Rheinland-Pfalz gingen ihre 12,6 Prozent einher mit 147 000 Wählerstimmen. Das war das drittbeste Ergebnis aller Parteien dort - obwohl sie nur in 31 von 51 Wahlkreisen überhaupt mit eigenen Kandidaten (also greifbaren Repräsentanten) angetreten war. Die Wähler der AfD wollen gar nicht so genau wissen, wem sie ihre Stimme geben; ihnen genügt das Label AfD. In den Worten eines ihrer Kandidaten, Otto Freiherr Hiller von Gärtringen aus Bitburg: "Mich kannte ja im Wahlkreis niemand." Trotzdem wurde er Dritter, die grüne Umweltministerin ließ er hinter sich.

Die Lehre aus alldem: Sinkt die Wahlbeteiligung, brauchen Parteien womöglich weniger Wähler, um sich zu behaupten. Steigt sie jedoch, weil eine neue Partei Nichtwähler reaktiviert, müssen die Etablierten viel mehr Wahlberechtigte mobilisieren als bisher, um den Angriff abzuwehren.

© SZ vom 15.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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