Wahlmüdigkeit:West-östlicher Divan

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Die Parlamentswahl in Kroatien zeigt, dass viele Bürger desillusioniert und von der Demokratie enttäuscht sind. Dies gilt auch für andere Länder des Balkans, Osteuropas und des Westens. Bedenklich viel Zustimmung finden Politiker, die betonen, dass sie eigentlich gar keine seien.

Von Nadia Pantel

Sobald in diesen Tagen ein Land östlich von Deutschland wählt, wird in jeder Redaktion ein großer Stempel auf den Konferenztisch gelegt. Es ist ein klobiges Exemplar, auf dem "Das neue Ungarn" steht. Der Stempel kommt zum Einsatz, wenn ehemals kommunistische Staaten ihre relativ jungen Demokratien freiwillig entdemokratisieren. Polen zum Beispiel. In der Feststellung, ein Land sei das neue Ungarn, schwingt auch immer ein Beleidigtsein der Länder mit, die bei der EU schon dabei waren, als sie noch EG hieß. Jetzt dürfen die im Osten endlich wählen, und dann wählen sie so ungehörig.

Wer bei der Demokratie schon länger mitmacht und sich dennoch nicht mehr motiviert zeigt, diesen nervenzehrenden Pluralismus auszuhalten - siehe Trump-, Front National- und FPÖ-Wähler -, fällt übrigens weniger unter den Verdacht, im Geiste totalitär verstaubt zu sein. Der westliche Nationalist gilt als Provokateur, der östliche eher als Schnarchsack, der sich nicht anpassen will. Die AfD könnte man in dieser Logik als deutsch-deutsches Phänomen begreifen, das beweist, dass ohnehin beides zutrifft: Vorfreude auf gestern und Das-habt-ihr-jetzt-davon-Attitüde.

Für das jüngste EU-Mitglied Kroatien liegt der Ungarn-Stempel schon seit einer Weile bereit. Denn die Rechtskonservativen der HDZ schmiegen sich dort immer wieder bei den Fans des Ustascha-Regimes an. Sprich: Sie glorifizieren die Phase, in der sich Kroatien seine Unabhängigkeit von den Nazis stützen ließ. Nun haben die Kroaten innerhalb von zehn Monaten zweimal wählen müssen, weil sich ihre Politiker zunächst damit schwertaten, eine Regierung zu bilden, und dann damit, sie zusammenzuhalten.

Auch Kroatien zeigt: Viele Bürger hat die Demokratie enttäuscht

Die Neuwahl hat am Sonntag ausgerechnet die HDZ für sich entschieden, die Partei, die die gerade gescheiterte Regierung stellte und zu Fall brachte. Sie ist zugleich die Partei, die in Zlatko Hasanbegović einen Mann der extremen Rechten zum Kulturminister machte. Hasanbegović gehört inzwischen zum Präsidium der HDZ.

Wird Zagreb also das neue Budapest? Dies geschieht schon allein deshalb nicht, weil die Wahl so knapp war, dass auch die Sozialdemokraten sich mit geschicktem Taktieren an die Macht koalieren könnten. Wer tatsächlich die kroatische Regierung stellen wird, wird sich erst in ein paar Tagen oder, im schlechtesten Fall, Wochen sagen lassen. Was allerdings schon klar ist: Kroatien ist das Land der Desillusionierten geworden. Nur 53 Prozent der Wahlberechtigten hielten es der Mühe wert, ihre Stimme abzugeben. Bei der vorangangenen Wahl waren es noch 60 Prozent. Besonders selten wählen die Jüngeren.

Die wahlmüden Kroaten sind auf dem Balkan nicht allein. Wirklich begeistern können meist nur noch Politiker, die betonen, dass sie eigentlich keine sind. Weil sie, Option A, stolz darauf sind, von Politik wenig zu verstehen - so wie die selbsternannten Reformer der Most, die in Kroatien innerhalb weniger Monate zur drittstärksten Partei aufstiegen. Oder weil sie, Option B, stolz darauf sind, keine Demokraten zu sein - so wie der kriegsnostalgische Vojiislav Šešelj, der direkt von der Anklagebank des Kriegsverbrechertribunals ins serbische Parlament wechselte. Oder weil sie, Option C, die Demokratie ohnehin nur noch für einen Witz halten. Zu letzteren gehört Luka Maksimović, der in Serbien überraschend in den Stadtrat von Mladenovac gewählt wurde, nachdem er auf einem weißen Pferd durch die Straßen geritten war und Reichtum für alle versprochen hatte. Er tat das im Scherz. Die Menschen wählten ihn im Ernst.

Zynismus, Getöse und Lügen. Klingt vertraut? Klingt vertraut. Wenn der Ost-West-Konflikt Gutes hatte, dann den Umstand, dass wenigstens nicht alle dieselben Fehler machten, sondern unterschiedliche.

© SZ vom 13.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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