Wahlkampf:Zu schwere Sprache

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Leichte Sprache ist an feste Regeln gebunden und muss immer von einem Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung geprüft und nachgebessert werden. (Foto: Jana Ritchie/dpa)

Ein Grünen-Politiker setzt auf leicht verständliche Werbung, um auch geistig Behinderte zu gewinnen.

Von Denis Schnur, München

"Christian ist 36 Jahre alt. Seit vielen Jahren lebt Christian in Kaarst. Er ist hier zur Schule und ins Jugend-Zentrum gegangen. Er ist Rettungs-Sanitäter. Er kann Menschen helfen, die einen Unfall hatten."

Diese Sätze mögen nach "Sendung mit der Maus" klingen, stammen jedoch aus einem Wahlprogramm. Denn Christian Gaumitz, um den es darin geht, will am Sonntag Bürgermeister der Kleinstadt Kaarst bei Düsseldorf werden. Neben seiner herkömmlichen Wahlwerbung hat der Grüne sein Programm dazu auch in Leichte Sprache übersetzen lassen - eine Ausdrucksform, die auf kurze Sätze setzt, Fremdwörter und Nebensätze weitestgehend vermeidet und schwierige Begriffe erklärt. Das klingt dann wie oben und soll für alle verständlich sein - auch für jene, die sonst Probleme beim Lesen haben.

Erfunden wurde die Sprache für Menschen mit geistiger Behinderung und an die dachte Gaumitz auch bei seinem Vorstoß: "Ich arbeite in einem integrativen Projekt mit und wollte auch den Mitarbeitern dort erklären, was ich vorhabe." Sonst verstünden die meisten dort zwar, dass er kandidiere, die Wahlwerbetexte seien aber häufig zu komplex: "Ich wollte mehr sein als der Grüß-August vom Plakat." Außerdem würden dies nicht nur Menschen mit Handicap ansprechen. "Auch viele Nicht-Behinderte fühlen sich vom Politiker-Sprech überfordert", so Gaumitz.

Ulla Schmidt, Bundesvorsitzende des Lebenshilfe-Verbandes, der sich für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzt, kennt dieses Phänomen: "Das Info-Material in Leichter Sprache ist immer als Erstes vergriffen", sagt die ehemalige Gesundheitsministerin. Das liege daran, dass auch Ältere und Nichtmuttersprachler häufig darauf angewiesen sind, ebenso wie funktionale Analphabeten. Das sind Menschen, die zwar Worte erkennen und ein wenig schreiben können, jedoch den Sinn eines längeren Textes gar nicht oder nur mühevoll verstehen. Einer Studie aus dem Jahr 2011 zufolge sind 7,5 Millionen Erwachsene in Deutschland davon betroffen, das entspricht 14,5 Prozent.

Die Zielgruppe ist also riesig und doch steht Kandidat Gaumitz mit seinem gut verständlichen Programm bei den Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen fast alleine da. "Auf Bundesebene sind leichte Programme mittlerweile normal, auf der kommunalen Ebene ist das noch nicht so angekommen", sagt Nina Krüger vom Verband Lebenshilfe. Ein Grund dafür könnte der Aufwand bei der Übersetzung sein, mutmaßt sie. Schließlich sei die Leichte Sprache an feste Regeln gebunden und müsse immer auch von einem Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung geprüft und häufig nachgebessert werden.

Eine Mühe, die sich lohne, findet Ex-Ministerin Ulla Schmidt. Nicht zuletzt, weil die Leichte Sprache vielen ganz neue Horizonte eröffne: "Wie eine Treppe eine Barriere für einen Rollstuhlfahrer ist, ist schwere Sprache ein Hindernis für Menschen mit Lern- und Leseschwierigkeiten." Zum Abbau dieser Barriere sei die Politik durch die UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Jahr 2006 sogar verpflichtet. Außerdem gehöre es zur Demokratie, möglichst viele Bürger zu beteiligen, sagt Schmidt. "Nur so können die gewählten Politikerinnen und Politiker alle Menschen eines Landes angemessen vertreten." Dass dies aber eher selten der Fall ist, zeigt der Teilhabebericht der Bundesregierung von 2013. Dieser stellte fest, dass Menschen mit Beeinträchtigungen sich seltener politisch engagieren und deutlich unzufriedener mit dem politischen System sind als Gleichaltrige ohne Handicap.

Unzufrieden ist Achim Giesa eigentlich nicht. Er ist selbst kognitiv eingeschränkt und Vorsitzender der Selbstvertretung von Menschen mit geistiger Behinderung in Bremen. Er kämpfte in dieser Funktion jahrelang und erfolgreich für einen kleineren Behindertenausweis. Dafür wurde er 2014 mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet. Giesa fordert nun: "Die Politik sollte verpflichtet werden, mehr in Leichter Sprache zu schreiben. Dann können das auch Menschen mit Behinderung verstehen und sich einmischen." Sein Appell: "Wer versteht denn schon, was die Politiker da andauernd sagen? Wir doch am wenigsten. Und wenn man die Politiker nicht versteht, kann man nicht entscheiden, ob das, was sie sagen, für einen gut ist."

Grünen-Politiker Christian Gaumitz hofft, mit seinem leicht verständlichen Wahlprogramm für das Bürgermeisteramt ein paar Menschen überzeugen zu können. Dass dies für einen Wahlerfolg ausschlaggebend sein könnte, glaubt er aber nicht: "Wenn ich mir den Aufwand anschaue und die Stimmen, die das vielleicht bringt, ist das kein Nutzen." Aber dem Kandidaten geht es dabei nicht nur um Stimmen: "Für mich gehört das zum Wahlkampf dazu, und vielleicht nehmen sich andere ein Beispiel daran."

© SZ vom 08.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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