Wahlkampf in der Türkei:Zwei Minister sollten reden

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Berlin will nicht, dass türkische Politiker hier Wahlkampf machen. Das ist richtig. Genauso so, wie den türkischen Außenminister zu Solingen sprechen zu lassen - aber nicht, ohne ein Netz.

Von Kurt Kister

In zwei Monaten wird wohl eine Mehrheit der Türken ein nationalistisch-reaktionäres Bündnis aus Erdoğans AKP und der rechtsextremen MHP wählen. Gleichzeitig mit diesen vorgezogenen Parlamentswahlen findet die Präsidentenwahl statt. Sie wird vermutlich eine deutliche Bestätigung für Recep Tayyip Erdoğan bringen. Alles andere wäre überraschend, was nichts daran ändert, dass die wahrscheinlichen Ergebnisse weder für Freiheit und Bürgerrechte in der Türkei gut sind noch für Europa.

Seit dem glücklicherweise gescheiterten Putsch entwickelt sich die Türkei - bisher unter Zustimmung der Mehrheit ihrer Bürger - zu einem immer autoritäreren Staat. In diesem Staat, der nach den Ideen des Feindbild-Denkens von Carl Schmitt funktioniert, zählt nichts mehr als die von Erdoğan definierte "Stabilität". Erdoğans Wiederwahl, mit der auch die neue, auf ihn zugeschnittene Verfassung endgültig in Kraft tritt, bedeutet wohl auch das Ende jener Türkei, an deren Anfang das säkulare Reformwerk von Mustafa Kemal Atatürk stand.

Der Wahlkampf von AKP und MHP wird laut, schrill und mutmaßlich auch schmutzig werden. Die neuen Nationalisten, egal ob am Bosporus, jenseits des Atlantiks oder an der Donau konstruieren sich Feinde, gegen die dann das Türkentum, das Ungarntum oder auch das wahre Amerika ins Feld ziehen sollen.

Vor nicht allzu langer Zeit beim Wahlkampf um das Verfassungsreferendum wurde von der AKP und Erdoğan Deutschland als einer dieser Feinde popanzisiert. Es hagelte Nazi-Vergleiche, deutsche Staatsbürger wanderten wegen absurder Vorwürfe ins Gefängnis, Kanzlerin und Minister wurden beleidigt. Nachdem das Referendum gewonnen war, hielt man in Ankara das hysterische Geschrei für nicht mehr nötig. Man entließ ein paar der politischen Geiseln, was gut für Deniz Yücel und andere war, aber nichts an der Situation in der Türkei änderte.

Im Zuge dieses Konflikts entstand ein Auftrittsverbot für ausländische Amtsträger in Deutschland, wenn in dem entsprechenden Land in weniger als drei Monaten Wahlen stattfinden. Das war die durch das Grundgesetz bedingte, nicht sehr starke Reaktion Berlins auf die Hysterie der Erdoğan-Leute. Dieses Verbot ist richtig. Es muss konsequent eingehalten werden. Wer für die partielle Abschaffung der Menschenrechte Wahlkampf macht, sollte in einem Rechtsstaat dazu nicht das Recht haben.

Allerdings ist die Teilnahme des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu an der Gedenkveranstaltung in Solingen etwas anderes. Dort wurden 1993 von deutschen Rechtsradikalen fünf türkischstämmige Menschen durch Brandstiftung ermordet. Es gehört zur Pflicht gerade der Bürger dieses Landes, Rassismus und fremdenfeindlicher Gewalt entgegenzutreten. Das öffentliche Gedenken ist eine der vielen Möglichkeiten, dem Feindbildwahn die Stirn zu bieten. Auch in Landtagen und im Bundestag gibt es wieder Anhänger von Carl Schmitt, so sie ihn denn kennen.

Es besteht die Möglichkeit, dass der türkische Minister die Gelegenheit zum Wahlkampf missbraucht. Ob man ihm in dieser Hinsicht vertrauen kann, weiß niemand. Ihn aber von vornherein deswegen auszuschließen, wäre falsch. Außenminister Heiko Maas sollte mit nach Solingen reisen. Und dann dort für die Bundesregierung nach Çavuşoğlu reden.

© SZ vom 25.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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