Wahlkampf in Berlin:Richtig rackern zwischen Britz und Neukölln

Lesezeit: 4 min

Wie Friedbert Pflüger von der CDU sich im Wahlkampf abmüht, den Berlinern zu beweisen, dass er einer von ihnen ist und Bürgermeister werden muss.

Philip Grassmann

Es liegt einfach da. Ein blaues Kissen mit einer weiß-blauen Fahne und dem Schriftzug von Hertha BSC. Es ist zugegebenermaßen in Berlin eigentlich nichts Besonderes, wenn jemand mit so einem Kissen im Rückfenster durch die Gegend fährt.

"Meine Heimat ist Hannover, das halte ich hoch und heilig": Friedbert Pflüger, der für die CDU in Berlin als Bürgermeister-Kandidat antritt. (Foto: Foto: rtr)

Aber dieses Auto ist nicht irgendein Wagen, sondern die Limousine von Friedbert Pflüger, dem Spitzenkandidaten der Berliner CDU, und deswegen hat es doch eine gewisse Bedeutung.

Denn aus seinem alten Leben als Bundestagsabgeordneter mit Wahlkreis in Hannover ist zumindest bisher nichts bekannt geworden über eine besondere Vorliebe für den Hauptstadt-Club.

Spitzenkandidat mit Hertha-BSC-Kissen

Aber jetzt, als Spitzenkandidat, hat er sich das Kissen da hinten reingestellt. Und obwohl es sich nur um eine Kleinigkeit handelt, ist es auch ein Symbol für die Art, mit der Friedbert Pflüger allen und jedem zu zeigen versucht, dass er, dem vor wenigen Monaten Brüssel und New York näher waren als Britz und Neukölln, nun zu einem waschechten Berliner geworden ist.

Man kann sich allerdings fragen, wie authentisch das ist.

Der 51-jährige Friedbert Pflüger ist ein Mann, der schon seit einiger Zeit in der CDU als Nachwuchstalent gilt. Der große Durchbruch ist ihm jedoch verwehrt geblieben, und möglicherweise ist das Kissen im Rückfenster in gewisser Weise auch eine Erklärung dafür.

Denn Pflüger hat in der Vergangenheit gerne den ein oder anderen Fanartikel sehr demonstrativ zur Schau getragen um zu zeigen, dass er voll und ganz von einer Sache überzeugt ist. Das hat ihm nicht nur Sympathien eingetragen.

Nach der Bildung der großen Koalition wurde er Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, und das war eine Enttäuschung für den Mann, der Angela Merkel zuvor in außenpolitischen Fragen eng beraten hatte.

Letzter Platz bei den Sympathiewerten

Als die Berliner CDU dann partout keinen Spitzenkandidaten auftreiben konnte, war er der Einzige, der nicht gleich in Deckung ging, als sein Name genannt wurde, sondern schließlich den Finger hob.

Seit acht Monaten ist Pflüger nun als Spitzenkandidat unterwegs, mit geradzu beängstigendem Fleiß hat er alle Berliner Bezirke bereist, unzählige Hände geschüttelt, sich noch in das kleinste Lokalthema eingearbeitet.

Und drei Wochen vor der Wahl liegt die CDU in den Umfragen bei 21 Prozent. Niemand sagt es laut in der Partei, aber alle wissen, dass das eine ziemliche Katastrophe ist. Es ist fast derselbe Wert, bei dem die CDU im Januar stand, als Pflüger, damals noch als Hoffnung, anfing. Schlimmer sind nur noch die Sympathiewerte des Kandidaten, da rangiert er unter den Berliner Landespolitikern auf dem letzten Platz.

Irgend etwas läuft in diesem Wahlkampf also ziemlich schief für die Berliner CDU und ihren Spitzenmann, und um das zu verstehen, muss man zunächst einen Abstecher an die CDU-Basis machen.

Es ist ein kühler Sommerabend in Lichtenrade, einem Stadteil im Berliner Süden. Der örtliche CDU-Kreisverband hat mobilisiert. Es herrscht ein ziemliches Gedränge im Foyer des Gemeindezentrums, aber schließlich hat sich ja auch der Spitzenkandidat gemeinsam mit dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller angesagt, man kennt sich aus gemeinsamen Zeiten bei der Jungen Union.

Die Stimmung ist aufgeräumt, die Damen tragen zu grellen Lippenstift und praktische Kurzhaarfrisuren, es gibt reichlich Freibier und Brezeln. Mehr als 300 Leute sind gekommen.

Friedbert Pflüger hält seine Standardrede, es geht um Arbeitsplätze, Bildung und Sicherheit. Er sagt: "Berlin kann mehr", er attackiert Rot-Rot und erklärt, warum die Stadt in den vergangenen Jahren nicht gerechter, sondern ärmer geworden sei.

Diepgens Erfolgsgeheimnis

Er sucht unter größter Anspannung nach dem richtigen Ton und greift doch immer wieder leicht daneben. Der frühere Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen trat stets so auf, wie er war, und das war eines der Geheimnisse für seinen Erfolg.

Er rackert sich ab, er schwitzt und gestikuliert, aber trotzdem hat man den Eindruck, dass da einer spricht, der sich ständig selbst zuschaut, der jeden einzelnen Satz durch eine innere Kontrolle schleust und bei jedem Wort peinlich genau darauf achtet, wie es vom Publikum aufgenommen wird.

Friedbert Pflüger agiert dagegen so, wie er meint, dass es von ihm erwartet wird. Und die Berliner, denen der Bauch stets näher als der Kopf ist, spüren das. Am Ende gibt es freundlichen Applaus. Begeistert ist niemand.

Immer wieder begeht Pflüger außerdem kleinere und auch größere Ungeschicklichkeiten, mit denen er die Wähler zusätzlich irritiert, wenn nicht gar verschreckt.

Auf Augenhöhe mit Wowereit

Noch bis Mitte August konnte er beispielsweise wortreich erklären, warum er zwar in Berlin kandidiere, im Falle einer Wahlniederlage jedoch nur den CDU-Landesvorsitz anstrebe, nicht aber in das Abgeordnetenhaus wechseln wolle. Als Mitglied der Bundesregierung, so Pflüger damals, sei er eher auf Augenhöhe mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit. Das ist nun anders, jetzt ist Pflüger vom Gegenteil überzeugt.

Und so erklärte er kürzlich, wiederum sehr wortreich, warum er nun nach der Wahl alle seine bundespolitischen Ämter an den Nagel hängen und dann auch nicht mehr Landesvorsitzender, aber in jedem Falle Fraktionsvorsitzender werden wolle.

Die Aufgabe in der Hauptstadt, so Pflüger, erfordere den ganzen Mann. Er wolle mit dieser Entscheidung deutlich machen, dass er "mit Haut und Haaren" Berliner sei.

Doch damit nicht genug. Denn zur Freude der politischen Konkurrenz und zum Entsetzen manch eines CDU-Wahlkämpfers vollführte Pflüger noch eine weitere Pirouette.

"Meine Heimat ist Hannover."

Einer niedersächsischen Zeitung sagte er: "Meine Heimat ist Hannover - das halte ich hoch und heilig." Da fühlte sich manch einer an den ebenso ungeschickten wie erfolglosen Vorgänger Friedbert Pflügers erinnert. Frank Steffel hieß der Mann,und er wurde vor allem damit bekannt, dass er mitten im Berliner Wahlkampf erklärte, München sei für ihn die schönste Stadt Deutschlands.

Wenig Fingerspitzengefühl zeigte Pflüger auch bei einer Aktion, die er ganz diskret bei einem Edel-Italiener gleich neben dem Brandenburger Tor einfädeln wollte. Dort traf er sich mit der Schlagersängerin Vicky Leandros, um sie als Kultursenatorin für sein Berliner Schattenkabinett zu gewinnen.

Auf eine ähnliche Idee war vor fünf Jahren auch schon der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust gekommen. Doch die Schnulzen-Muse ("Nimm mich bitte wie ich bin") ließ den Hanseaten damals ebenso abblitzen wie jetzt Pflüger.

Sie müsse noch so viele Konzerte geben, bedauerte sie, und fühle sich bei ihren Fans in der Pflicht. In das Schattenkabinett ging schließlich die Bundestagsabgeordnete Monika Grütters, immerhin eine renommierte Berliner Kulturpolitikerin.

Ein Schatten von Kabinett

In der Hauptstadt-CDU, die in den vergangenen Jahren keine Gelegenheit ausließ, um sich selbst eins auszuwischen, ist es trotz der schlechten Lage erstaunlich ruhig geblieben. Auch von der Bundespartei wird Pflüger nach Kräften unterstützt.

Kanzlerin Angela Merkel ist der Wahlkampf wichtig genug, um insgesamt vier Mal mit dem Spitzenkandidaten aufzutreten. Vergangene Woche war die Parteichefin zum Auftakt der heißen Wahlkampfphase auf den Platz vor der Gedächtniskirche gekommen.

Geduldig hörte sie sich erst Pflügers Rede an, dann ergriff sie selbst das Wort und versuchte, die Partei ein bisschen hoffnungsvoller zu stimmen. Auch Pflügers Schattenkabinett war erschienen, doch dessen Auftritt vermittelte nicht unbedingt Siegeszuversicht. Von den zwölf Mitgliedern hatten nur acht Zeit gefunden.

© SZ vom 30.08.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: