Wahlen in Hamburg:Eine Sehenswürdigkeit namens Ole

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Hamburg vor der Entscheidung am Sonntag: Die CDU setzt auf personellen Wahlkampf, während die SPD sich angriffslustig gibt: Wie Ole von Beust versucht, sich nicht auf einen harten Schlagabtausch einzulassen.

Von Ralf Wiegand

Wenn so ein Spitzenkandidat im Wahlkampf irgendwo aufkreuzt, ist er nie allein. Um ihn herum scharwenzeln Sicherheitsbeamte, die breitbeinig, die Hände vor dem Bauch gefaltet, wie Inspektor Clouseau jede vorbeibummelnde Hausfrau aus den Augenwinkeln beobachten, bis sie samt Pudel an der Leine um die Ecke gebogen ist.

Und dann sind da die jungen fleißigen Helfer, der Parteinachwuchs. Sie weisen dem Kandidaten den Weg und nehmen ihm Mantel und Schal ab, bevor er einen Veranstaltungssaal betritt. Im Fall von Thomas Mirow sind sie besonders darauf bedacht, seine Mütze in Sicherheit zu bringen, ehe ein Fotograf den Bürgermeisterkandidaten der SPD womöglich mit dem Ding auf dem Kopf ablichten könnte.

"Die Mütze!"

Die eigenartige Kopfbedeckung ist ein braunes Etwas zwischen Baseball-Kappe und Prinz-Heinrich-Mütze, aber eigentlich ist sie nichts von dem, und deswegen sagt der junge Mann vor dem nächsten Termin streng zu seinem Chef: "Die Mütze!"

Thomas Mirow überreicht sie ihm mit einer geübten Geste, der junge Mann trägt sie dann, zusammen mit Schal und Mantel, dem Kandidaten hinterher durch ein Einkaufszentrum, über die Straße bis hin zur "Espresso-Lounge", wo ein Diskussionsabend mit den Schwusos, den schwulen Sozialdemokraten, zu leichte Unterhaltung für so eine schwere Mütze verheißt. "Morgen früh", sagt der junge Mann zu einem Freund, während sie so dahin trotten, "bringe ich Benzin mit ins Büro." Dabei dreht er die Mütze verächtlich in seinen Händen.

Ein Denkmal schon?

Das Image ist alles in diesem Hamburger Wahlkampf, der so seltsam entpolitisiert ist, als würden die Bürgerinnen und Bürger der zweitgrößten deutschen Stadt nicht ihren Regenten für die nächsten vier Jahre wählen, sondern den Mister Hamburg: einen feinen Herrn vielleicht mit guten Manieren, gekleidet wie ein Kaufmann, ein Einstecktuch wäre nicht schlecht, einen, dem man die Mühsal des Alltags nicht anmerkt, der mit Chic zu feiern versteht, der das große Ganze mit eloquenter Nüchternheit begleitet, aber nicht jedes Rädchen selber dreht.

Einen, dem man anmerkt, wo er herkommt, aus Hamburg, der Stadt am Fluss, dem Tor zur Welt, der heimlichen Konkurrentin Berlins und dem nördlichen Gegenstück Münchens, weltoffen als Ganzes, originell im Detail, insgesamt unverwechselbar. Einen wie Ole von Beust vielleicht?

Mister Hamburg

Der Bürgermeister hat es geschafft, den Alltag aus diesem kalten Winter-Wahlkampf rauszuhalten. Seine Partei, die CDU, inszeniert ihn als Star, fast als Monarch. "Michel, Alster, Ole" steht auf den Plakaten, die zu Tausenden die Chausseen und Alleen und Boulevards zupflastern. Gelangweilten Autofahrern im Stau sollen sie den Eindruck vermitteln, es handele sich bei dem 48-jährigen Juristen Ole von Beust nicht um einen Staatsdiener, sondern um eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges, um eine Hamburgensie. Ein Denkmal schon.

Bernd Reinert, 52-jähriger Gymnasiallehrer, vertritt den CDU-Bezirk Bergedorf in der Bürgerschaft. Er ist einer, der Straßenwahlkampf macht in seinem Viertel. Bei Wind und Wetter verteilt er Prospekte, erklärt Programme, beantwortet Fragen, auch die, wann der Ole denn mal vorbeikomme.

"Früher", sagt Reinert, ein groß gewachsener, gemütlicher Mann, "früher war Ole von Beust ein richtiger Straßenarbeiter. Da ist er auf jeden zugegangen und hat ihm die Hand gereicht und sich vorgestellt: ,Guten Tag, mein Name ist Ole von Beust'." Das habe die Leute beeindruckt, sagt Reinert, aber heute habe der Bürgermeister eben eine andere Strategie.

Er konzentriere sich jetzt mehr auf die Medien, weil er da mit einem Auftritt viel mehr Menschen erreichen könne als bei zig Terminen auf der Straße. Reinert kritisiert das nicht, aber er schiebt lächelnd und etwas verlegen sein Herrentäschchen auf dem Tisch herum, als wolle er sagen: Schön wär's schon, wenn der Ole öfter auf die Straße ginge.

Ties Rabe wird da deutlicher, er kann sich das erlauben, er organisiert Mirows Wahlkampf. "Wir können ja mal gemeinsam alle Wahlkampfauftritte Ole von Beusts zusammenzählen - ich glaube, das schafft Thomas Mirow in vierzehn Tagen", sagt Rabe, einer der Jungen in seiner Partei, die ein Mittel suchen gegen die wie in Stein gemeißelte Popularität des Bürgermeisters.

Rabe ist als Landesgeschäftsführer der SPD "V.i.S.d.P.", Verantwortlicher im Sinne des Presserechts für die Flugblätter, welche die SPD regelmäßig an alle Haushalte verteilt. Briefkastenverstopfer mit Titeln wie "Zusammen wachsen - Arbeit für Hamburg", oder "Bessere Schulen - mehr Chancen für Kinder", das Pflichtprogramm halt.

"Der wohl faulste Bürgermeister, den Hamburg je hatte."

Das jüngste Flugblatt aber war anders, ganz anders, kein bisschen programmatisch, wie die SPD eigentlich sein will, um am glatten Bürgermeister nicht stets aufs Neue abzurutschen, sondern frontal angriffslustig. Eine DIN-A-4-Provokation, die dem Hamburger Wahlkampf auf der Zielgerade ordentlich Dampf macht.

"Danke, dass Sie nachts arbeiten", steht darüber, dazu lächelt Thomas Mirow vom Briefkopf, es ist augenscheinlich das offizielle Papier der SPD. Sie dankt darauf vordergründig dem nachts arbeitenden Teil der Bevölkerung, aber man liest weiter und staunt: "Leider zeigt nicht jeder Hamburger eine so gute Arbeitsmoral wie Sie. Paradebeispiel ist Ole von Beust, der wohl faulste Bürgermeister, den Hamburg je hatte."

Dienstagmittag, Glockenschlag zwölf Uhr, bittet Ole von Beust zur Pressekonferenz. Gut 24 Stunden vorher war ihm das Flugblatt vorgelegt worden. "Ich begrüße Sie herzlich in dem Café, das meinen Namen trägt", sagt der Bürgermeister und beginnt mit einer Aufzählung, die zeigen soll, wie fleißig die CDU im Wahlkampf gewesen ist.

Wie viele Veranstaltungen sie gemacht hat (240), wie viele Straßenstände sie auf- und wieder abgebaut hat (220), wie viele Flugblätter sie hat drucken lassen (14). Er freut sich über den "modernen Wahlkampf", den er geführt habe, und besonders freut er sich über das Café Ole.

Orange und ocker leuchten die Lampen, die CDU probiert hier zum ersten Mal ihre neue corporate identity aus, bevor sie bundesweit Anwendung finden soll. Im Foyer warten kunstlederne Hocker auf Gäste; Kaffee blubbert in einer großen Maschine. "Die Wahlkampflounge der CDU", steht an der Wand, eine Innovation, jeden Tag geöffnet. Kaffee gibt es gratis, Spenden sind willkommen. Der Wahlkampf der CDU kostet 500000 Euro. Nach der Wahl wird wieder zugemacht.

Das Café Ole symbolisiert den Wahlkampf der CDU in seiner ganzen Reduziertheit und vornehmen Gelassenheit. Es sagt: Wer etwas von uns will, der soll zu uns kommen, in die Alsterakaden, nach ganz hinten, da erfährt er, was er wissen muss. Und das ist vor allem, dass der Namenspatron dieser vergänglichen gastronomischen Einrichtung ein guter Bürgermeister ist, mögen die anderen reden, was sie wollen. Kaffee gefällig?

Die ereignislosen Wochen seit dem ereignisreichen 9. Dezember 2003, als Ole von Beust beschlossen hatte, es sei "finito" mit dem Bündnis aus CDU, FDP und Ronald Schill, steuerten fast automatisch auf einen Tag wie diesen zu. Umfragen belegten wöchentlich den Trend zu einer absoluten Mehrheit für Beust; die Hamburger Springer-Presse, machtvoll vertreten mit Bild, Welt und Abendblatt, hilft dem Amtsinhaber, wo sie kann. Ole von Beust tritt im Wahlkampf lieber auf als an, er sucht das große Publikum.

Kleinere Auftritte sagt er gelegentlich ab, im Legoland war er nicht, und das Völkerkundemuseum musste eine Einladung zu einer Pressekonferenz mit dem Überraschungsgast von Beust überraschend wieder zurückziehen. Ersatz gibt es nicht, Ole von Beust ist der einzige Verkaufsschlager seiner Partei, noch nicht einmal einen möglichen Innensenator musste er benennen.

Es gibt keinen Namen für den wichtigsten Posten im Kabinett, von dem aus einst Helmut Schmidt aufbrach, ein Staatsmann zu werden, und den Beust entweihte, als er ihn mit Ronald Schill besetzte. Irgendwann musste ein Wahlkampf, der so fixiert ist auf eine Person, persönlich werden.

"Als ich das Flugblatt gesehen habe", sagt Ole von Beust an diesem Mittag im Café Ole, da habe er zuerst gedacht: "So etwas kann es doch nicht geben." Gab es aber, und niemand von der SPD distanzierte sich davon. Der Arbeitseifer des Ole von Beust ist ein Thema, seitdem von Beusts Vorgänger Henning Voscherau spitz bemerkte, früher habe im Arbeitszimmer des Bürgermeisters immer Licht gebrannt, bis spät in die Nacht. "Heute ist das Arbeitszimmer meistens dunkel, am Wochenende immer." In Parlamentskreisen spotten manche über den "Di-Mi-Do"Bürgermeister, der montags und freitags nicht zur Verfügung stehe.

"Wer einen solchen Persönlichkeitswahlkampf führt wie Ole von Beust", sagt Ties Rabe, der Verantwortliche im Sinne des Presserechts, der dürfe sich nicht wundern, wenn auch die Person angegangen würde. Tatsächlich sei er, Rabe, aber nicht wirklich verantwortlich, denn das Flugblatt sei nicht abgesegnet gewesen. Die Partei habe Blanko-Blätter drucken lassen, die Kartons hätten in der SPD-Zentrale herumgestanden.

Am Donnerstag sollte darauf die Bilanz des Fernsehduells zwischen Ole von Beust und Thomas Mirow abgedruckt werden, das der NDR an diesem Mittwoch hatte austragen wollen. "Die Jusos", sagt Rabe, "haben wohl den obersten Karton geöffnet und sich die Hälfte der Blätter geschnappt", und dann hätten sie ihre Faulpelzattacke auf dem Ticket der Mutter-Organisation an Bus- und Taxifahrer, Kneipiers und Diskotheken-Personal verteilt.

Finito, mal wieder

Nun fällt das TV-Duell aus, Ole von Beust hat es abgesagt. Es gehört zum Selbstverständnis des Bürgermeisters, dass er seinen eigenen Regeln folgt und erwartet, dass das auch die anderen tun. Die SPD habe eine Regel verletzt, die der Fairness, das Flugblatt stünde nur am Ende einer Reihe persönlicher Verunglimpfungen. "Es bleibt der SPD vorbehalten, solch einen Wahlkampf zu führen", sagt Ole von Beust, "aber es bleibt auch mir vorbehalten, daran nicht teilzunehmen." Finito, mal wieder.

Dass Ole von Beust einfach nicht teilnehmen will am Wahlkampf, hat Thomas Mirow schon länger vermutet. In zwei direkten Konfrontationen, beide auf Einladung der Springer-Presse im Springer-Haus am Springer-Platz, beide im Fernsehen übertragen, hatte der SPD-Herausforderer gut ausgesehen. Da war nicht mehr die Rede von einem "Beauty-Contest", den Mirow schon hinter der Wahl vermutete und den er nicht bedienen könnte.

Seine Partei ist daran nicht unschuldig, sie hat ihn ja nicht widerstandslos zum Kandidaten gekürt, sondern zuvor in einen Zweikampf mit dem praktizierenden Hausarzt Matthias Petersen geschickt. Petersen war ein unbeschriebenes Blatt, stand für die neue SPD, redete frei von der Leber weg.

Mirow, der Ex-Wirtschaftssenator, denkt gerne nach. Schon bevor der Wahlkampf begonnen hatte, hatte er seinen Stempel: Gegen den frischen Petersen wirke er spröde. Das hat sich gehalten, wie selbstbewusst Mirow auch auftreten mag. Sogar den Abend bei den Schwusos, den schwulen Sozialdemokraten, hat er unter lauter jungen Leuten in Partylaune gut überstanden, mit einem Pils in der Hand und dem Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit an seiner Seite. Ob er denn andere Schwule kenne außer Wowereit? "Ja, wunderbare Friseure", antwortete Mirow.

Ein Anzug, zwei Plakate

Aber so ein Image lässt sich nicht ohne weiteres korrigieren in acht Wochen Wahlkampf. Noch immer sieht es auf den Plakaten komisch aus, wenn der studierte Politologe Dr. Thomas Mirow, 51 Jahre alt, in Anzug und Krawatte auf einem Bobby-Car hockt und, umringt von einem Haufen lieber Kleiner, für eine bessere Kinderbetreuung wirbt.

Im gleichen Anzug sieht man ihn auf einem anderen Plakat mit Ärzten, da geht es um die Gesundheitsversorgung. Ein Drittes zeigt ihn inmitten seines Kompetenzteams, dem voll besetzten Schattenkabinett. Als Teamplayer sollen ihn die Bilder ausweisen und in harten Kontrast schneiden zur One-Man-Show des Ole von Beust.

Das dritte TV-Duell hätte Mirow gut gebrauchen können, er profitiert bei solchen Gelegenheiten von der Fallhöhe des Bürgermeisters, der allein auf seinem Sockel unumstößlich wirkt, aber in der direkten Konfrontation dem Gegner Punkte überlässt, und wenn es bloß ein nicht gemachter Witz ist. Ole von Beust fiel keiner ein zur CDU, Mirow zu seiner Partei schon: "Was passiert, wenn die SPD die Sahara regiert? 40 Jahre lang nichts. Dann wird der Sand knapp."

Ole von Beust ist sich sicher, dass ihm die Wähler die Absage des TV-Duells nicht übel nehmen werden, sie haben ihm ja bisher auch nichts übel genommen. Die Hamburger Grünen-Chefin Anja Hajduk vermutet sogar, vielleicht sei es einfach "in", Ole von Beust zu wählen, so wie es vor zwei Jahren in gewesen sei, die rot-grüne Regierung abzuwählen. Wenn es so wäre, wenn die Wähler sich vielleicht sogar verhalten würden, wie sie es von den Zuschauern bei "Deutschland sucht den Superstar" gelernt haben- anrufen und mal schauen, was passiert, man kann ja wieder abschalten - dann wird es in Zukunft wohl noch mehr solcher moderner Wahlkämpfe geben.

Der neue Stimmungsmacher der SPD, Demnächst-Parteichef Franz Müntefering, hat es bei einem seiner missionarischen Besuche in der Hansestadt so ausgedrückt: "Wer ein Gesicht will, soll Ole von Beust wählen. Wer einen Kopf will, muss Thomas Mirow wählen." Nur die Mütze, die sollte er abnehmen.

© SZ vom 25.02.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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