Wahlanalyse:Die Abwahl

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Der CDU reicht ihr zweitschlechtestes Ergebnis seit dem Krieg, um SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft aus dem Amt zu heben. Deren Regierung war noch unbeliebter als die ihres Kollegen Albig in Kiel.

Von Detlef Esslinger, München

Die Parteivorsitzende gratulierte "zu dem, was gestern gelungen ist"; so sprach Angela Merkel am Montag zu Armin Laschet, dem CDU-Spitzenkandidaten in Nordrhein-Westfalen. Was also ist gelungen? Erstens, dass die CDU dort stärkste Partei geworden ist; zweitens, dass Laschet nun recht gute Chancen hat, Ministerpräsident zu werden. Aber auf welcher Wählerbasis ist ihm dies gelungen?

Ein Blick auf die Zahlen zeigt, wie sich das Verhalten der Wähler über die Jahre und Jahrzehnte geändert hat. 33 Prozent erreichte die CDU, sie schaffte den vermutlichen Wechsel mit dem zweitschlechtesten Ergebnis, das sie in NRW je erzielt hat. Nur vor fünf Jahren schnitt sie noch schlechter ab als diesmal, damals war sie auf etwas mehr als 26 Prozent abgesackt.

Innenminister Jäger stürzt daheim in Duisburg ab, Schulministerin Löhrmann in Solingen

Für die SPD war es - gemessen in Prozentzahlen - das schlechteste Ergebnis in dem Bundesland seit dem Krieg. Während ein Vergleich der absoluten Stimmen über so viele Jahrzehnte hinweg nicht sinnvoll ist, da NRW in den ersten Nachkriegsjahren viel weniger Wähler hatte als heute, so macht jedoch ein Vergleich zwischen 2012 und 2017 das Ausmaß ihres Desasters klar: Von der zurückliegenden Landtagswahl hin zu dieser hat sie 400 000 Stimmen verloren. Demgegenüber war ihre Niederlage vor einer Woche in Schleswig-Holstein kaum der Rede wert. Dort hatte die SPD bloß 3400 Wähler eingebüßt - nicht einmal jeden hundertsten. In NRW hingegen verlor sie jeden achten. Das zeigt, vor welch großer Aufgabe die SPD im Bundestagswahlkampf steht: Wenn ihr im für sie wichtigsten Bundesland keine Re-Mobilisierung ihrer Klientel gelingt, droht ihr im September ein Debakel.

Was zumindest die Zahlen von Infratest dimap aber auch zeigen: welche Bedeutung ein Wahlkampf mittlerweile hat. 15 Prozent der von diesem Institut Befragten gaben an, sie hätten ihre Wahlentscheidung erst am Sonntag getroffen; weitere 18 Prozent gaben "in den letzten Tagen" und 21 Prozent "in den letzten Wochen" an. Mit anderen Worten: Mehr als jeder zweite Wähler hat sich erst im Zuge des Wahlkampfs entschieden, ob und wen er diesmal wählt. Immerhin: 33 Prozent der Kurzentschlossenen wählten SPD, 27 Prozent entschieden sich für die CDU.

So sieht's aus: Hannelore Kraft gesteht am Sonntagabend ihre Niederlage ein, Passanten in Düsseldorf nehmen es zur Kenntnis. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Eine alte Regel besagt, dass Machtwechsel nicht zustandekommen, indem ein Oppositionsführer gewählt wird, sondern indem ein Amtsinhaber abgewählt wird. Für diese Regel geben die Daten vom Sonntag reichlich Bestätigung. Die Befragten der Forschungsgruppe Wahlen bewerteten die gemeinsame Arbeit der bisherigen rot-grünen Regierung auf einer Skala von Plus fünf bis Minus fünf nur noch mit 0,4. Zur Landtagswahl vor fünf Jahren betrug dieser Wert noch 1,2.

Alle Meinungsforscher ermittelten zudem, dass die Unzufriedenheit mit den Grünen noch größer war als mit der SPD - und alle kamen auch zu dem Ergebnis, dass die Wähler der CDU auf wichtigen Gebieten diesmal mehr zutrauten als der SPD: bei Bildung, Flüchtlingen, Wirtschaft, Verkehr und Kriminalität; also praktisch allen Themen, bei denen eine Landesregierung nennenswerte Zuständigkeiten hat. Für Hannelore Kraft ermittelte die Forschungsgruppe Wahlen, dass 64 Prozent der Wähler ihr "gute Arbeit" bescheinigten. Das sei "unteres Mittelmaß".

Bei Infratest dimap gab es für die Landesregierung sogar eine noch viel niedrigere Zustimmungsrate. Diese Wahlforscher fragen immer nach der "Zufriedenheit" mit einer Regierung. Für Rot-Grün in NRW ermittelten sie 45 Prozent. Zum Vergleich: In Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg betrug dieser Wert vor einem Jahr 61 und 70 Prozent, im Saarland vor sieben Wochen 69 Prozent. In allen drei Ländern gingen die Amtsinhaber - Malu Dreyer (SPD), Winfried Kretschmann (Grüne) und Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) - mit ihrer jeweiligen Partei als stärkste Kraft aus der Wahl hervor. Sogar die in Schleswig-Holstein abgewählte Koalition aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband schnitt deutlich besser ab als Rot-Grün in NRW. In Kiel betrug der Zufriedenheitswert noch 56 Prozent.

Auch die Ergebnisse einzelner Protagonisten von Rot-Grün verdeutlichen den Abwahl-Charakter dieses Sonntags. Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) verlor in ihrem Solinger Wahlkreis fast die Hälfte ihrer Erststimmen. Knapp 3600 blieben ihr noch. Und SPD-Innenminister Ralf Jäger gewann zwar erneut seinen Duisburger Wahlkreis. Der gilt für einen Sozialdemokraten als unverlierbar. Aber Jäger stürzte von 57 auf 40,6 Prozent. Die AfD holte dort 11,6 Prozent.

Deren Resultate zeigen, wo in NRW die Probleme liegen. Nur in Ruhrgebietsstädten wurde die AfD zweistellig. Im Münsterland, in Ostwestfalen und anderen eher konservativen Landstrichen hingegen waren drei oder vier Prozent ihr Maximum.

© SZ vom 16.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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