Wahl in der Ukraine:Unehrlich, schmutzig - und doch ein Grund zur Freude

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Die Ukraine wählt - und Präsident Janukowitsch hat sich in eine gute Position gebracht. Geschickt hat er in den vergangenen Jahren eine eigene Opposition geschaffen. Echte Oppositionelle bekämpft die Regierung dagegen mit allen erdenklichen Mitteln.

Andrej Kurkow

Um es vorweg zu sagen: Jedes Mal, wenn ich die am Sonntag anstehende Parlamentswahl mit ihren zahlreichen Verstößen gegen das Wahlrecht und den Wahlkampf mit den völlig unzivilisierten und manipulativen Methoden beobachte - dann freue ich mich trotzdem. Die Regierung führt zwar einen unehrlichen, offenkundig schmutzigen Kampf gegen die Opposition.

Die Opposition aber, welcher Art sie auch sein mag, kämpft trotzdem. Selbst in scheinbar ausweglosen Situationen gibt sie nicht auf. Sie tut ihr Bestes, um sportlich gesprochen mit einem möglichst guten Ergebnis in die Zielgerade einzulaufen. Auch wenn sie nicht gewinnt, so schneidet sie doch nicht schlecht ab.

Man darf nicht vergessen, dass die jetzige Opposition mit ihrer inhaftierten ehemaligen Führerin Julia Timoschenko vor wenigen Jahren selbst an der Macht war und auch nicht immer fair die damalige Gegenpartei um den jetzigen Präsidenten Viktor Janukowitsch bekämpfte. Durch dieses stetige Wechselspiel der Macht aber entwickelt sich die Ukraine - trotz allem.

In erster Linie hat sich die Mentalität der Wähler verändert. Anders als die sowjetische Generation erwartet die Jugend von der Regierung nicht mehr, dass sie Wahlversprechen einhält. Sie erwartet gar nichts mehr. Sie hat verstanden, dass Losungen wie "schon morgen werden wir die Lebensumstände verbessern", mit denen die Partei der Regionen an die Macht kam, nicht umsetzbar sind. Der politische Populismus der Ukraine hat seinen Höhepunkt erreicht. Die Mehrheit der jungen Leute fasst Politik als einen Unterbereich des Business auf, und zwar als eine Möglichkeit, auf leichte und unehrliche Art schnelles Geld zu verdienen.

Ukraine braucht einen Neuanfang

So hat der Zynismus der Politiker bei der Mehrheit der Bevölkerung ebenfalls Zynismus hervorgebracht. Präsident Janukowitsch hat in seiner zweijährigen Amtszeit seine Wähler im Osten und Süden der Ukraine enttäuscht. Sein Gegner Viktor Juschtschenko wiederum hat in den fast sechs Jahren seiner Amtszeit (2004-2010) politisches Chaos und wirtschaftliche Stagnation hinterlassen und die Wähler im Westen und der Zentralukraine enttäuscht.

Allen ist klar, dass die Ukraine einen Neuanfang braucht. Doch weil es kaum Ideen gibt, wie ein solcher Neuanfang aussehen könnte, gewinnen radikale Parteien wie die nationalistische Swoboda (Freiheit) an Boden. Diese noch junge Partei gibt sich nach außen hin gemäßigt, um nicht nur Nationalisten zu gewinnen. Sie hat gute Chancen, ins Parlament einzuziehen. Präsident Janukowitsch und seine Partei der Regionen sind dagegen nicht in der Lage, neue politische Ideen zu entwickeln. Und da die Regierung durchaus weiß, wie unfähig und unbeliebt sie ist, nahm sie diese Wahl kreativer und phantasievoller in Angriff als jede Regierungspartei vor ihr.

Schon vor zwei Jahren, kaum an der Macht, begann Janukowitsch, die Weichen für diese Parlamentswahl zu stellen - mit der Demontage der Gegenseite. Die Verhaftung von Julia Timoschenko und ihres Innenministers Jurij Luzenko sollte die Opposition widerstandslos machen. Als Ersatz schuf die Regierung kurzerhand eine neue, bequemere Opposition. Sie bot einer jungen ehemaligen Mitstreiterin Julia Timoschenkos, Natalia Korolewskaja, die Führung an. Die neue Oppositionspartei wurde Ukraine vorwärts getauft.

Sie ähnelt in ihren Forderungen auffällig der Regierungspartei. Ein halbes Jahr vor den Wahlen war das ganze Land mit ihren Plakaten zugekleistert. Dann bekam die Partei zwei öffentlichkeitswirksame Gesichter: den Fußballstar Andrej Schewtschenko und Ostap Stupka, den Sohn eines berühmten ukrainischen Schauspielers. Bereits im ersten Interview machte Schewtschenko deutlich, wo er steht: Sein Lieblingspolitiker sei Wladimir Putin, sagte er.

Der Hintergedanke der Regierung war auch, möglichst viele neue Parteien zu gründen, damit die Wähler mehr Auswahl haben und die einzelnen Parteien weniger Stimmen bekommen. Als die neue Regierung dann die Fünf-Prozent-Hürde für das Parlament einführte, begriffen einige Oppositionsparteien die Gefahr und schlossen sich zu einer Bewegung zusammen.

Doch nicht alle machten mit. Der zweite prominente Sportler im Ring, der Boxer Wladimir Klitschko, schloss sich dem Bündnis nicht an. Die Partei des früheren Präsidenten Viktor Juschtschenko wiederum wurde gar nicht erst eingeladen, um die Wähler nicht mit einem Politik-Versager abzuschrecken. Nun behauptet Juschtschenko, die einzige oppositionelle Kraft zu sein, die nicht unter der Kontrolle des Kremls stehe - und arbeitet sich an Julia Timoschenko ab, seiner Rivalin aus der Zeit der orangenen Revolution. Die jetzige Regierung und den Präsidenten kritisiert er dagegen nicht.

Immer mehr Aufmerksamkeit bekommen auch die Kommunisten, die mit ihrer Agitation die Hälfte des Landes für sich gewonnen haben. Für ihre Wahlkampagne verfügen sie über mehr Geld als je zuvor; sie werden wohl mit Leichtigkeit ins Parlament einziehen. Die Kommunisten sind der Seele der ostukrainischen Wähler, die von Janukowitsch enttäuscht sind, am nächsten. Sie versprechen wie er eine maximale Annäherung an Russland und die Einführung des Russischen als offizielle Amtssprache neben dem Ukrainischen. Der einzige Unterschied ist, dass die Kommunistische Partei, anders als die Partei der Regionen, sich gegen eine Annäherung an Europa ausspricht. Sie plädiert für den Zusammenschluss eines neuen vereinigten Staates, bestehend aus Russland, Belarus und der Ukraine.

Wahl soll videoüberwacht werden

Echte Oppositionelle bekämpft die Regierung mit allen erdenklichen Mitteln. Wenn sie Geschäftsmänner sind, haben sie plötzlich Probleme mit ihrem Business. Sehr beliebt ist auch die sogenannte schwarze PR - der Kandidat wird im Internet einfach der Korruption beschuldigt, oder es werden ihm andere Sünden vorgeworfen. Manchmal erscheinen sogar gefälschte Ausgaben real existierender Lokalzeitungen mit gefälschten Artikeln.

Zugleich ist es der ukrainischen Regierung enorm wichtig, dass Europa die Wahlergebnisse anerkennt. Deshalb sollen in allen Wahllokalen Videokameras aufgestellt werden, die mögliche Verstöße bei der Stimmabgabe und -auszählung aufzeichnen. Ein eigentümliches Vorhaben, wenn man bedenkt, dass die Regierungspartei angeblich ihre eigenen Leute zu Leitern der Wahlkommission erhoben hat.

Es ist schwer zu sagen, welche Angst bei der Auszählung überwiegen wird: Die Angst vor dem Vorgesetzten, der befehlen könnte, die Stimmen zu Gunsten der Regierungspartei "auszuzählen". Oder die Angst vor der Videokamera, die diesen Gesetzesbruch sichtbar machen könnte.

Andrej Kurkow, 51, ist einer der bekanntesten Schriftsteller der Ukraine. Seine Romane zeichnen ein scharfes und ironisches Bild der postsowjetischen Gesellschaft. Übersetzung: Ljuba Klassen

© SZ vom 27.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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