Wahl:Die schicke Dame und der melierte Kavalier

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Flotte, weltgewandte ÖVP-Kandidatin gegen Staatsmann aus der Arbeiterklasse - die Österreicher wählen einen neuen Bundespräsidenten

Von Michael Frank

Begonnen hatte es mit einem genialen Diebstahl. In Österreichs Zeitungen erschienen tagelang Großanzeigen mit dem staatsmännischen Text: "Politik braucht ein Gewissen!" Nur dieser gravitätische Satz, kein Hinweis auf den Urheber oder darauf, wer sich nun eigentlich zum Gewissen der Nation berufen fühle.

Einer wird gewinnen: Außenministerin Ferrero-Waldner und Heinz Fischer von der SPÖ. (Foto: Foto: AP)

Dann die Auflösung: "Politik braucht ein Gewissen - Benita Ferrero-Waldner." Das ist die Kandidatin der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) für das Amt des Staatsoberhauptes, das die Österreicher am kommenden Sonntag in direkter Wahl neu bestimmen.

Die ursprüngliche Anzeigenserie hatte aber ein anderer schalten lassen, der Gegner: Heinz Fischer, Bewerber der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) für das selbe Amt. Dessen Versuch, neugierige Spannung aufzubauen, hatten dann die Helfer der Rivalin geistesgegenwärtig gekontert und auf sie umgeleitet: sie kamen Fischers Strategen mit der Pointe zuvor.

Sie braust im schnieken Auto - er fährt Bahn

Die kuriose Affäre charakterisiert die Kontrahenten dieses Wahlkampfes, der ansonsten wenig Anlass zu Lachsalven bietet, ziemlich gut. Ein Kontrast von quickem, gedankenlosem Schick und überernster Erdenschwere lebt sich da aus. Sie, die in Salzburg geborene 55-jährige Quereinsteigerin, modisch und farbenfroh gekleidet, mit auffälligem Schmuck und einem etwas maskenhaften, zähneperlenden Grinsen.

Er, der aus der alten glorreichen Kreisky-SPÖ herüberragt, 64 Jahre, in Graz geboren, im immer dunklen Anzug, mit stets staatsmännisch verhaltenem Gestus und einer Tolle im melierten Haar.

Sie, heute Außenministerin der Republik, schwingt mit den Reichen, Schicken und Aufgeblasenen auf dem Wiener Opernball das Tanzbein; er, Kärrner der Partei und langjähriger Präsident des Nationalrates, schwingt am selben Abend mit Lehrlingen des Voest-Stahlwerks zu Linz den Schmiedehammer.

Sie braust im bunten Bus und in schnieken Autos durchs Land; er besteigt einen Sonderwagen der Bundesbahn, den seine SPÖ-Strategen den Siegeszug nennen, die ÖVP-Gegenseite aber als Schlafwagen verlacht. Frau Ferrero-Waldner hüpft in der Techno-Disco mit, Herr Fischer legt im Club Rock'n'roll Platten auf und schnippt dazu die Finger, was beiden Ehrenpreise der Peinlichkeit bei den umbuhlten Jugendlichen einträgt.

Sie hat verboten in ihrem Namen Schokolade zu verteilen

Gelbe Anoraks, die die jungen Werber der Kandidatin tragen, an jeder Kreuzung, in jedem Kinofoyer. Sie scheint auf jedem noch so grellen "Event" auf und führt diesen Begriff unentwegt im Munde; der Kandidat besucht Brechts "Mutter Courage" im Wiener Volkstheater. Das gilt als "rot", das von der Dame favorisierte Theater in der Josefstadt als tief "schwarz", Überschneidungen des Publikums sind ausgeschlossen.

Die Kandidatin hat verboten, in ihrem Namen Schokolade zu verteilen, maliziöser Spötteleien über ihr zuckersüßes Gehabe wegen. Als der Kandidat Manner-Schnitten (Wienspezifische Nuss-Schoko-Waffeln) unters Volk bringen lässt, erörtert man die Frage, ob das nicht Stimmenkauf sei.

Richtig süß und schön findet der Maler Ernst Fuchs die Benita. Deswegen ist er in ihr "Personenkomitee" eingetreten, das der Kandidatin den Nimbus von Überparteilichkeit verleihen soll. Damit wäre der einzige Punkt erreicht, der in diesen Wahlkampf eine Spur von Engagement oder gar Erregung bringt.

Dass das Staatsoberhaupt viel mehr Kompetenzen hat als etwa das deutsche, dass es formal fast alle Elitepositionen im Lande besetzt, Regierungen entlassen und das Parlament auflösen kann, zudem Österreich nach außen repräsentiert - was ist das schon vor der Frage, ob ein Mann oder - erstmals in der Geschichte des vom politischen Katholizismus geprägten Landes - eine Frau an die Spitze des Staates tritt.

"Zum ersten mal eine wählbare Frau" - sagt sie selber.

In einer mühseligen Kandidatenkonfrontation im Fernsehen redete Ferrero-Waldner davon, "zum ersten Mal" stehe "eine wählbare Frau" zur Debatte. "Die Erste", so preist sie die Hochglanzwerbung der ÖVP - wie in einer Bankreklame, gibt es doch ein Geldinstitut gleichen Namens. "Die Erste" ist aber gar nicht die Erste. Vor ihr haben schon Freda Meissner-Blau von den Grünen, Heide Schmidt von den Liberalen und die Bischöfin Gertraud Knoll als Unabhängige kandidiert, die nur keine Großpartei hinter sich hatten.

Alle drei Damen plädieren aber nun dummerweise für den Mann Fischer. Das lässt einen anderen Mann des "Personenkomitees" entgleisen: Kurt Bergmann, früher eher ein besonnener unter Österreichs Christsozialen, verlacht die drei öffentlich als frustriert. Seltsam, wie sich hauptsächlich Gesellschaftsdamen und alte Kerle für das Frausein der Ferrero-Waldner als Amtsqualität erwärmen, engagierte Frauenrechtlerinnen das hingegen sogar als Frechheit charakterisieren.

"Der beste Mann für das Amt der Bundespräsidentin"

Die Kandidatin beantwortet die Feststellung der SPÖ-Frauenbeauftragten Barbara Prammer, "Frau sein allein genügt nicht", so: "Das ist ein typisches altes sexistisches Argument." Im gleichen Atemzug empfiehlt sie sich als "der beste Mann für das Amt der Bundespräsidentin" und betont dazu ausdrücklich, sie sei "keine Feministin".

Das hat die renommierte Kolumnistin Elfriede Hammerl zu dem Einwurf veranlasst, Ferrero-Waldner sei die klassische opportunistische Trittbrettfahrerin: Sie nehme den Rollenwechsel in der Gesellschaft, der Frauen heute solch eine Kandidatur ermöglicht, gern in Anspruch, distanziere sich aber zugleich vehement von denen, die ihn erkämpft hätten.

Warum nur lehnt es ausgerechnet die Außenministerin brüsk ab, vor dem Verband der Auslandspresse in Wien mit ihrem Gegenkandidaten zu diskutieren, postuliert sie doch, "70 Prozent meiner Zeit" werde sie im Ausland wirken. Plakate preisen sie als die einzige, die "mit 101 Staatschefs in ihrer Sprache sprechen kann". Eine seltsame Zahl, auch wenn niemand Ferrero-Waldners Fremdsprachengewandtheit anzweifelt.

Fremdsprachenkenntnisse für 101 Staatschefs

Im persönlichen Umgang liegt wirklich ihre Stärke: So aufgesetzt, so aufgezogen sie im öffentlichen Auftritt manchmal wirkt, so groß ist ihr Talent zu gewisser direkter Herzlichkeit. Einer Sorte Herzlichkeit, die eine auf Artigkeiten versessene Gesellschaft wie die Wiener hinschmelzen lässt, weil die Kandidatin selbst so schön schmilzt. So bleibt auf keinem "Event" jemand persönlich unbegrüßt.

Für den Gegenkandidaten Fischer ist das Argument mit den Auslands-Prozenten ein gefundenes Fressen: Die Außenministerin wolle doch nur eine "Superaußenministerin" werden. Von den wichtigen innenpolitischen Aufgaben des Präsidenten ahne sie nichts, sagt er. Sie pariert, indem sie ihr allfällig künftiges Amt ungeniert zur Werbeagentur für die Nettigkeiten Österreichs und seine Industrie erklärt: "Patriotismus ist angesagt!" Und wenn sie verliert, bleibt sie halt Außenministerin.

Dann wird sie ihren doppelten Salto mit gegenläufiger Schraube in der Neutralitätspolitik nicht mehr drehen müssen. Als Außenpolitikerin hat sie Österreichs Neutralität oft und oft für unehrlich und wenig hilfreich erklärt. Als Präsidentschaftskandidatin muss sie sehr dafür sein, weil die Österreicher ihre Neutralität für ein Merkmal ihrer Identität halten wie den Großglockner, ihren höchsten Berg.

Wie beiläufig wird die glückliche Ehe erwähnt

Fischer hält unbeirrt an diesem erratischen Dogma fest, präsentiert sich als derjenige, der seine Meinung nicht nach Bedarf ändert. So weiß er auch wie beiläufig 35 Jahre einer "glücklichen Ehe" als Beweis von Treue und Stetigkeit zu annoncieren.

Um ja im Privaten nirgendwo anzuecken - der amtierende Bundespräsident Thomas Klestil hatte mit einer unappetitlichen Eheaffäre seine moralische Autorität verspielt - ließ dafür Ferrero-Waldner ihre erste Ehe kirchlich annullieren, was etwa so leicht zu haben ist wie eine Heiligsprechung, um ihre zweite Ehe mit einem spanischen Literaturprofessor auch vor den Frommen und vor den militant christlich argumentierenden Parteifreunden zu legitimieren.

Letztere freuen sich schon. Würde Ferrero-Waldner gewählt, dann, so glauben sie, hätte der Bundeskanzler und ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel direkten Zugriff auch auf das Bundespräsidentenamt. Denn der hat die frühere Wirtschaftsdame und nachmalige Protokollchefin der Vereinten Nationen 1995 in die Politik geholt.

Als sie aber ein TV-Moderator angeht, wie sie glaubhaft machen wolle, künftig nicht die "Marionette" des Kanzlers zu sein, da springt ihr ausgerechnet Konkurrent Fischer bei. Ganz überparteilicher Kavalier, verdonnert er den Frager: "Das mit der Marionette nehmen Sie besser sofort zurück!"

Umfragen sehen Fischer leise im Vorteil. Viele glauben an seine wohlerprobte und oft bewiesene Neutralität. Als Parlamentspräsident war er oft mit der eigenen Partei am strengsten. Eine Art Staatsnotar, gerecht, unbestechlich, über allem schwebend, das wäre er gerne. Die Kandidatur für den Bundespräsidenten ist seine Lebensobsession. Eine Briefmarke mit seinem Konterfei wird es vorerst nicht geben.

Seine Konkurrentin hingegen hat sich schon eine drucken lassen, mit Rosen und österreichischer Flagge - das macht in Österreich die Post ohne weiteres, gegen Bezahlung. Früher gab es so etwas für Bundespräsidenten erst nach ihrem Ableben.

© SZ vom 22.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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