Wahl des Bundespräsidenten:Der Undank des Vaterlands

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Es liegt an den Parteien, wer für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert - und wer an dieser Hürde scheitert. Es sind aber nicht die Schlechtesten, die dabei bislang unterlegen sind.

Franziska Augstein

Die Auswahl der Kandidaten für das höchste Staatsamt obliegt den Parteien. Die haben es stets verstanden, daraus ein Geschacher zu machen. Die Kandidaten sind nach drei Hauptkriterien ausgewählt worden.

Bei der Wahl zum ersten Bundespräsidenten trat 1949 Kurt Schumacher an. Schumachers Vertraute Annemarie Renger kandidierte 30 Jahre später. (Foto: Foto: dpa)

Erstens: Gibt es jemanden, den der Kanzler wegloben will? Zweitens: Will die Parteiführung, auch wenn sie weiß, dass der eigene Kandidat keine Chance hat, trotzdem Präsenz demonstrieren, indem sie jemanden nominiert? Drittens: Wenn sich unter den Parteimitgliedern niemand findet, der für eine aussichtslose Kandidatur bereit ist, sucht man nach einem Außenstehenden, der die undankbare Aufgabe auf sich nimmt. (Mitunter kommt es vor, dass ein Kandidat nicht bloß aus parteitaktischen Gründen auch von der Opposition anerkannt wird. Das gilt für Theodor Heuss und Richard von Weizsäcker.)

Der Kanzler Konrad Adenauer war erpicht darauf, sich den beliebten Wirtschaftsminister Ludwig Erhard vom Hals zu schaffen. Nachdem die SPD 1959 den hochgebildeten und hochangesehenen Carlo Schmid für die Wahl vorgeschlagen hatte, erklärte Adenauer, nun müsse ein mindestens ebenso wichtiger Politiker Schmid entgegentreten: Ludwig Erhard. Weil dieser keine Lust hatte, sich auf einen repräsentativen Posten abschieben zu lassen, erwog Adenauer, selbst zu kandidieren. Das tat er genau so lange, bis ihm dämmerte, dass er sich selbst auf ein Abstellgleis chauffieren würde. So wurde denn Heinrich Lübke 1959 zum Bundespräsidenten gewählt. Erhard wurde 1963 Bundeskanzler. Und Carlo Schmid beschied sich damit, der SPD einen Dienst erwiesen zu haben.

In den fünfziger Jahren war es für die CDU von großer parteipolitischer Bedeutung, welcher Konfession ein Präsidentschaftskandidat angehörte. Führende Parteimitglieder waren Protestanten und wollten ihre Position gegenüber dem katholischen Kanzler Adenauer gestärkt sehen.

Sie plädierten dafür, dass ein - heute so gut wie vergessener - katholischer CDU-Politiker namens Heinrich Krone Präsidentschaftskandidat werde: Die schon an das Proporzdenken gewöhnten Männer dachten, dass dann ein protestantischer Christdemokrat Kanzler werden könne. Es half nichts: Die CDU ernannte Lübke, der Katholik war, zum Kandidaten. Dieser siegte über den ebenfalls katholischen Sozialdemokraten Carlo Schmid, und Adenauer war zufrieden.

Als "Zählkandidaten", die keine Chance haben und nur für eine Sache oder für die Partei in die Bütt treten, prägen Frauen die Geschichte der Präsidentschaftswahlen. 1954 hatte ein Wahlberechtigter der Bundesversammlung die Frauenrechtlerin Marie-Elisabeth Lüders auf seinem Stimmzettel nominiert, er war der einzige. Frau Lüders wird davon nichts gewusst haben (so wenig wie der Soziologe Alfred Weber wusste, dass die KPD ihn 1954 aufgestellt hatte - er bekam zwölf von rund 900 Stimmen der Bundesversammlung). Die erste Frau, die zur Präsidentschaft ernstlich nominiert wurde, war 1979 die SPD-Politikerin Annemarie Renger.

Die Emanzipationsbewegung machte es möglich. Annemarie Renger kandidierte, als schon absehbar war, dass die SPD/FDP-Koalition zerfallen würde. Die Vertreter der FDP gaben leere Stimmzettel ab. Renger musste sich sagen, dass sie nicht persönlich gemeint war: Die FDP war auf dem Absprung zur Koalition mit der Union. Die Wahlen 1979 gewann der CDU-Politiker Karl Carstens. Annemarie Renger mag Trost daraus gezogen haben, dass auch ihr ehemaliger Gefährte, der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher, 1949 gegen Theodor Heuss unterlegen war.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Kandidatin die Grünen 1984 fanden und was die FPD-Kandidatin Hildegard Hamm-Brücher zehn Jahre später erleben musste ...

1984 fand die damals noch junge Partei der Grünen eine Kandidatin, die über das Latzhosen-Image der Grünen erhaben war: Die Dichterin Luise Rinser, eine bekennende Christin. Die alte Dame hatte viel Sympathie für die Studentenbewegung der sechziger Jahre, in den Grünen erblickte sie die erwachsen gewordenen Demonstranten von einst. Die Grünen beriefen sich auf Luise Rinser, weil sie beweisen wollten, dass sie salonfähig seien. Nachdem Richard von Weizsäcker, Luise Rinsers einziger Gegenkandidat, 1984 gewählt worden war, ging er zu ihr hin und grüßte sie. Aus eigener Erfahrung - 1974 war er selbst Präsidentschaftskandidat gewesen - wusste er doch, wie man sich fühlt, wenn man nicht gewählt wird.

1994 musste die FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher erleben, dass auf die Parteifreunde kein Verlass ist. Sie hatte sich als Kandidatin zur Verfügung gestellt. Eine "Pokerfigur", sagte sie, wolle sie nicht sein. Nichts besseres war sie dann. In der letzten Abstimmung ließen die Parteifreunde sie im Stich und wählten nicht sie und nicht Johannes Rau, sondern Roman Herzog: Damit wollte die FDP ihre Loyalität zur CDU bekunden.

Die Enttäuschung, die Hamm-Brücher erlebte, blieb Uta Ranke-Heinemann erspart. Die parteilose Theologieprofessorin hatte keine politischen Ambitionen. Sie ließ sich 1999 von der PDS gegen Johannes Rau (der dann Präsident wurde) und gegen die von der CDU nominierte Dagmar Schipanski aufstellen, weil sie ein Zeichen setzen wollte: Die völkerrechtswidrige Beteiligung der Bundesrepublik am Kosovo-Krieg hielt sie für übel. Die Bekanntheit, die sie als unorthodoxe Katholikin erworben hatte, setzte sie ein, um im Namen der PDS gegen den Krieg zu protestieren.

Blutend und bewusstlos

Wenige haben gegenüber dem Mehrheitskandidaten je eine Chance gehabt. Gesine Schwan war eine Ausnahme: Sie hat mehr Ausstrahlung als Horst Köhler und hätte 2004 gegen ihn vielleicht gewinnen können. Die einzig politisch spannende Wahl fand 1969 statt, als der CDU-Verteidigungsminister Gerhard Schröder gegen den SPD-Politiker Gustav Heinemann antrat.

Würde die FDP sich zur SPD bekennen, ja oder nein? Schröder war so gierig auf das Amt, dass er sich mit den Stimmen der NPD wählen lassen wollte. Herbert Wehner, der damalige SPD-Fraktionschef, schickte früh am Morgen Leute aus, die alle sozialdemokratischen Wahlmänner der Bundesversammlung zusammentrommelten. Einer der Herren wurde "blutend und bewusstlos" im Rotlichtkiez aufgefunden. Seine Stimme kam dann auch Gustav Heinemann zugute, zusammen mit den meisten Stimmen der FDP.

Der ostdeutsche Physiker Jens Reich, der 1994 von Bündnis 90/Die Grünen für die Präsidentschaftswahl aufgestellt wurde, sagte später: "Im Grunde" sei dies "der einzige politische Posten, auf dem kein Schaden von jemandem angerichtet werden kann, der nicht sein ganzes Leben in einem politischen Amt verbracht hat." Da sprach nicht bloß der Fuchs, der an die Trauben nicht herangekommen war. Reich hat damit seine Einschätzung der Bedeutung des Amts beschrieben, eines Amts, das Spielball der Parteiinteressen ist. Es waren nicht die schlechtesten Kandidaten, die nicht gewählt worden sind.

© SZ vom 30.05.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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