Waffenrecht in Deutschland:Schonzeit für Schützen

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Zehn Millionen legale Schusswaffen sind in Deutschland in Privatbesitz. Es heißt, das deutsche Waffenrecht sei scharf - doch dem ist nicht so.

Joachim Käppner und Stefan Braun

Erst neulich, beim Treffen der Altreservisten bei der Bundeswehr, hat er selbst wieder zur Waffe gegriffen - ein Übungsschießen mit einem modernen Armeegewehr, samt Zielpunktvisier für erhöhte Treffsicherheit. Jürgen Brennecke war lange Zeit Reserveoffizier.

Zehn Millionen legale Schusswaffen sind in Deutschland in Privatbesitz. (Foto: Foto: Getty)

Er ist nicht der Mann, der Waffen verabscheut oder sich gar vor ihnen ängstigt. Er meint nur, dass sie dorthin gehören, wo sie gebraucht werden: beim Militär, der Polizei, den Jägern und jenen Menschen, die wegen persönlicher Gefährdung eine Pistole tragen dürfen. Zieht man all diese Gruppen ab, bleiben im Land mindestens zehn Millionen legale Schusswaffen im Privatbesitz. Rechnet man die illegalen Waffen hinzu, sind es wohl 30 Millionen. Brennecke hat ein Berufsleben lang versucht, diese Aufrüstung der deutschen Haushalte zu verhindern. Vergeblich.

Er war bis zur Pensionierung 2003 Referatsleiter für Waffen- und Sprengstoffrecht im Bundesinnenministerium. Wenn die Politiker der großen Koalition unter dem Eindruck des offenen Briefs, den die Angehörigen der Opfer von Winnenden verfasst haben, nun versprechen, das Waffengesetz zu überprüfen, beeindruckt ihn das wenig. Der Ministerialrat a. D. kritisiert, wie früher, dessen entscheidenden Schwachpunkt - die Erlaubnis für die zwei Millionen Mitglieder von Schützenvereinen, privat scharfe Schusswaffen in erheblichen Mengen zu kaufen. "Seit Jahren heißt es, unser Waffengesetz sei eines der schärfsten der Welt, aber das ist falsch", sagt Brennecke.

Das Thema ließ ihn nicht los. 2007, als die "Verschärfung" des Waffengesetzes anstand, die sich etwa mit dem Besitz von Messern abgab, schickte er Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ein persönliches Warnschreiben: "Hinsichtlich des Erwerbs und Besitzes von Schusswaffen" seien "dringend Änderungen geboten". Der Entwurf "sei eine Rolle rückwärts gegenüber dem ohnehin nur äußerst gering verschärften Waffengesetz von 2002".

Er schrieb auch an alle Bundestagsfraktionen und beklagte "die ungeheure Erleichterung des Erwerbs von Feuerwaffen". Das Ministerium antwortete seinem ehemaligen Experten kurz und eisig: "Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens werden alle Argumente für und gegen eine Regelung sorgfältig abgewogen." Diese Art Antwort erhalten die üblichen Obskuranten, welche die Verwaltung mit langen und verworrenen Briefen eindecken.

Dabei hätte es sich gelohnt, Brennecke zuzuhören. Nie war es so leicht, an Waffen heranzukommen. Im Schützenverein sind grundsätzlich großkalibrige Pistolen und Gewehre zugelassen, auch wenn sie gar keine Sportwaffen für normale Wettkampfdisziplinen sind. Das beliebte Modell Glock etwa genießt Kultstatus unter Schützenfreunden, taugt aber für keine klassische Schießsportdisziplin.

Hinzu kommt der Erbfall. Wer als Sohn eines Jägers dessen Arsenal an Gewehren und Handfeuerwaffen erbt, hat durch weiche Vorschriften gute Chancen, diese Waffen zu behalten - solche Erbfälle gibt es jährlich etwa 60.000 Mal. Und notfalls, sagt Brennecke, "geht der Erbe eben in den Schützenverein".

Und durch die Gesetzesänderung von 2008 entfiel, so Brennecke, die Verpflichtung, dass der Sport- und Vereinsschütze für jede einzelne Waffe den Nachweis führen musste, dass er sie regelmäßig für seinen Sport benutzt. Früher musste der Schützenverband dies bestätigen. Jetzt braucht der Besitzer bloß einmal den Nachweis zu führen, dass er seit mindestens einem Jahr eingetragenes Mitglied eines Sportschützen- oder Schützenvereins ist und regelmäßig trainiert. Danach kann er eine "unbefristete Erlaubnis" erhalten und mit der Waffenbesitzkarte sowie der schlichten Angabe, er brauche diese und jene Waffe für seine Übungen, auf Einkaufstour gehen. "Das aber ist das große Einfallstor zu noch mehr privatem Waffenbesitz", sagt Brennecke.

"Jede ernsthafte Forderung verdient eine ernsthafte Prüfung"

Nun, nach den Beratungen vom Dienstag, wollen die Politiker noch einmal nachdenken. Jedenfalls ein bisschen. "Wir machen uns die Vorschläge nicht gleich zu eigen", sagte Norbert Röttgen, der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion. Die Schützenvereine mag aber offenbar niemand herausfordern. Röttgen sagt nur, es verdiene jede "ernsthafte Forderung eine ernsthafte Prüfung". Immerhin: Anders als zunächst verlautet haben die Koalitionsfraktionen entschieden, ihre Arbeitsmaschine anzuwerfen. Offenbar spüren sie, dass es so, wie es ist, nicht bleiben kann.

Übertriebene Erwartungen dämpft der Vorsitzende des Innenausschusses, Sebastian Edathy (SPD): "Der Amoklauf von Winnenden geschah, weil der Täter die Waffe aufgrund eines klaren Verstoßes gegen geltendes Recht an sich nehmen konnte: Sein Vater hatte sie nicht weggeschlossen. Es hat keine zwingende Logik, Gesetze zu verschärfen, weil gegen sie verstoßen wurde." Dann könne man ja auch "das Fliegen verbieten, wenn ein Flugzeug abgestürzt ist".

Edathy warnt davor, die "sehr hohe Mehrheit der legalen Waffenbesitzer, die sich korrekt verhält, unter Generalverdacht zu stellen. Das wäre unangemessen und unfair". Brennecke fürchtet heute, die Politik überschätze den Einfluss der Waffenlobbyisten und unterschätze das Risiko, das von einer Minderheit ausgeht. Er sagt: "Das Problem sind doch gar nicht die Traditionsschützen mit Tracht und Gewehr und auch nicht die aktiven Sportler. Das Problem sind die vielen Leute aus den Vereinen, die unbedingt eine Waffe zu Hause haben wollen. Und denen machen wir es viel zu leicht."

© SZ vom 25.03.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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