VW-Präsentation in den USA:Made in Germany

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Manche der geladenen Gäste sind in Wahrheit nur noch wegen ihm gekommen: Rockstar Lenny Kravitz bei der großen Volkswagen-Show in Brooklyn. (Foto: Darren Ornitz/Reuters)

Spinnen die bei VW? Alle Welt redet über die Tricksereien des deutschesten aller deutschen Autobauer, aber vor funkelnder Kulisse in New York feiert sich der Konzern selbst.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Irgendwann im Laufe dieses Tages muss Michael Horn klar geworden sei, dass das nichts werden würde mit der ganz normalen Auto-Präsentation. Dass es nicht reichen würde, ein paar langbeinige Hostessen in hochhackige Schuhe zu stecken und darauf zu hoffen, dass ihr Lächeln die geladenen Gäste vom Thema ablenkt. Dass es albern, ja zynisch erscheinen könnte, ein Auto durch eine überdrehte Kulisse fahren zu lassen, als gäbe es die Eilmeldungen und Sondersendungen nicht, die seit Tagen die Wirtschaftsberichterstattung prägen. Dass die Leute tuscheln würden, ob unter der Haube dieses Autos wohl "er" versteckt sei - "er", der Dieselmotor, der bis vor Tagen das Prunkstück in den Werbekatalogen des Wolfsburger Autobauers VW war und der sich jetzt als erbärmliche Dreckschleuder erwiesen hat.

Also hat Horn seine Rede in den Mülleimer geworfen und sich entschlossen, die Flucht nach vorne anzutreten. Es ist kurz nach acht Uhr abends, als der Vorstandschef von Volkswagen of America die Bühne in der stylish hergerichteten Industriehalle im New Yorker Stadtteil Brooklyn betritt - und es dauert genau 14 Sekunden, bis er mittendrin steht im Morast, in dem das deutscheste aller deutschen Unternehmen, jene Ikone alemannischer Ingenieurskunst, seit Freitagabend versunken ist.

Horn schwurbelt nicht, er relativiert nicht, er referiert einfach, was das US-Umweltamt Epa gut 72 Stunden zuvor bekanntgegeben hat: dass VW die Abgaswerte seiner Turbodieselmotoren mithilfe einer Software manipuliert und damit über Jahre gegen alle Abgasrichtlinien verstoßen habe, die in den USA für solche Antriebe gelten. Das stehe in der Erklärung der Behörde, "und das ist Realität", sagt Horn, VW habe das Vertrauen der Kunden und der Öffentlichkeit in den USA zerstört. "Lassen Sie uns die Dinge beim Namen nennen", so der Vorstandschef: "Wir waren unehrlich, oder - um es in meinen Worten zu sagen: Wir haben richtig Mist gebaut!"

Selten hat man einen deutschen Top-Manager gesehen, der sich in aller Öffentlichkeit so in den Staub geworfen hat. Einige der vielen Hundert Menschen in der Halle klatschen angesichts von so viel Demut. Kein Wunder, es sind Mitarbeiter und Händler von VW, die darauf angewiesen sind, dass der Konzern die größte Vertrauenskrise seit seiner Ankunft in der Neuen Welt vor sechs Jahrzehnten meistert.

Rund 450 000 Autos hat Volkswagen allein im ersten Halbjahr 2015 in Nordamerika verkauft, vor allem die Luxuskarossen der Konzerntöchter Porsche und Audi gelten im Land als Statussymbole. So gut war das Image von VW, dass sich das Unternehmen die Arroganz leisten konnte, mit einem deutschsprachigen Slogan für seine Fahrzeuge zu werben: "Das Auto."

Auch Horns eigene Zukunft hängt an einem erfolgreichen Krisenmanagement. Seit 28 Jahren arbeitet der heute 51-Jährige für den Konzern, seit gut 20 Monaten leitet er dessen US-Tochter. Damit ist klar: Die Abgas-Tricksereien begannen lange vor seiner Ankunft, sie reichen bis ins Baujahr 2009 zurück. Dennoch stellt sich wie bei Konzernboss Martin Winterkorn die Frage: Was wusste der Amerika-Chef? War er eingeweiht? Oder geschahen die Manipulationen - was die Sache kaum besser machen würde - hinter seinem Rücken?

Man nimmt Horn die Zerknirschung ab, und dennoch bleibt da ein schales Gefühl, als er das Thema plötzlich abhakt und damit beginnt, VW und den Passat als Symbol von Innovationskraft und Verlässlichkeit zu preisen. Nur was soll er machen? Natürlich hat man bei Volkswagen intern darüber nachgedacht, die ganze Veranstaltung zumindest zu verschieben. Aber man fürchtete wohl, der Imageschaden bei einer Absage könnte noch größer sein.

Unmengen Geld hat Horn ausgegeben, um die Vorstellung der neuen Limousine ins rechte Licht zu rücken. Die alte Halle in einem Industriepark im Norden Brooklyns gehört zum Lässigsten, was New York derzeit an Orten für eine solche Veranstaltung zu bieten hat. Nach hinten öffnet sie sich zu den Piers des East River und gibt den Blick frei auf die majestätische Williamsburg Bridge und die funkelnden Lichter Manhattans: rechts die Bögen und Dreiecksfenster des Chrysler Buildings, die den Rundungen der Autos der späten Zwanzigerjahre nachempfunden sind, links die grün angestrahlte Spitze des Empire State Buildings.

Umrahmt wird die Halle von mächtigen Industriegebäuden, denen der Ruß über die Jahrzehnte ein schwarzes Mäntelchen gewebt hat. Meterdicke Rohre überqueren die Straße, Motoren röhren, es zischt und dampft, in der Luft liegt der Geruch von faulen Eiern. So ähnlich mögen die Gegenden ausgesehen haben, in denen VW einst mit dem Bau von Autos begann.

Drinnen, in der Halle, das glatte Gegenteil. Alles ist weiß, das Eisengestänge, die Ledersofas, die Bühne mit ihrer 30 Meter langen Auffahrt, die Kleider der Hostessen. 300 Scheinwerfer tauchen den Ort in mild-blaues Licht, eine DJane schickt hämmernde Elektro-Beats durch die Halle, der gigantische Bildschirm hinter der Bühne zeigt im Zeitraffer Szenen vom Times Square, aus Chinatown, aus den Straßenschluchten des Bankenviertels.

Außen pfui, innen hui - so ist das ganze Ambiente. Es ist das glatte Gegenteil des Bildes, das Dieselautos der Marke VW dieser Tage abgeben. Als der neue Passat auf die Bühne rollt, ebenfalls in Weiß und natürlich ein Benziner, gibt sich Horn ein paar Minuten lang Mühe, die Vorzüge des sicher soliden, aber wenig aufregenden Autos zu preisen. Doch kaum einer der Gäste hört hin, allerorten herrscht Gemurmel und Getuschel. An einem Tisch werden Witze gerissen, ob VW den "TDI"-Schriftzug auf dem Wagen wohl schnell mit weißem Tape überklebt hat.

Andere Menschen sind in Wahrheit wegen des Auftritts von Rockstar Lenny Kravitz gekommen, den VW zur Unterhaltung seiner Gäste engagiert hat. Sie hoffen, dass Horn endlich die Bühne frei gibt. "Wir werden alles dafür tun, Ihr Vertrauen zurückzugewinnen", sagt der USA-Chef, als er am Ende seiner Präsentation noch einmal auf den Anfang zurückkommt. "Wir werden alles tun, was möglich ist, und alles an Strafe zahlen, was nötig ist", fügt er an, um dann in Markus-Lanz-Manier zu rufen: "Und jetzt - Lenny Kravitz!" Es hätte ein netter Abend werden können.

© SZ vom 23.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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