Vorwürfe gegen Chinas Premier Wen Jiabao:Im Reich der reichen Verwandten

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Kurz vor dem Machtwechsel im November sieht sich Chinas Elite der nächsten Belastungsprobe ausgesetzt: Der Bericht über das Milliardenvermögen der Verwandten von Premier Wen Jiabao nährt den Verdacht, die gesamte politische Klasse sei korrupt. Lange akzeptierte das Volk den Wohlstand chinesischer Funktionäre - doch nun könnte das Staatswesen ernsthaft Schaden nehmen.

Sebastian Krass

Chinas Premier Wen Jiabao (Mitte, mit Begleitern): Enthüllungen über Milliardenvermögen im engsten persönlichen Umfeld kosten Einfluss. (Foto: REUTERS)

Banken, Telekommunikation, Bau von Ferienwohnanlagen und Juwelenhandel: Verwandte von Chinas Premier Wen Jiabao sind auf den unterschiedlichsten Wirtschaftsfeldern aktiv. Aber eines eint sie. Sie sind mit ihren Geschäften während dessen Amtszeit reich geworden. Ziemlich reich.

Ein Vermögen von 2,7 Milliarden Dollar sollen Personen aus Wen Jiabaos engerem familiären Umfeld, darunter Sohn und Tochter, Bruder und Schwager, angehäuft haben, berichtet die New York Times. Dabei hätten sie vom guten Draht zu politischen Entscheidungsträgern profitiert. Schließlich sind Staat und Wirtschaft in China immer noch eng verwoben.

Die Enthüllungen kommen für Chinas politische Elite zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Am 8. November richtet die Kommunistische Partei den nur alle fünf Jahre stattfindenden Parteikongress aus. Die bisherige erste Garde um Präsident und Parteichef Hu Jintao sowie Premier Wen Jiabao wird dann - so die allgemeine Erwartung - abtreten und versuchen, künftig aus dem Hintergrund die Strippen zu ziehen. Zugleich soll mit großem Pomp eine neue Generation von Führungskräften installiert werden, die das Land die kommenden zehn Jahre leiten sollen.

Sie werden versprechen, die Wirtschaft neu auszubalancieren, technische Innovationen voranzutreiben und die territoriale Integrität zu sichern. Doch das drängendste politische Problem ist ein anderes: die Korruption.

Transparenz nur parteiintern

Auch Wen Jiabao hatte bisher stets betont, wie wichtig es ihm sei, die Korruption zu bekämpfen. So hatte er 2007, kurz nach Beginn seiner zweiten Amtszeit neue Anti-Korruptions-Regeln speziell für hochrangige Funktionäre gefordert. Unter anderem sollten Firmenbeteiligungen von direkten Verwandten offengelegt werden - allerdings nur parteiintern. Wie viel er über die Familienverhältnisse von sich, seiner Frau und den Kindern offengelegt hat, ist also der Öffentlichkeit nicht bekannt, weil die KP darüber offiziell schweigt.

Laut New York Times würden 80 Prozent des 2,7-Milliarden-Dollar-Vermögens allerdings nicht unter die internen Transparenzregeln fallen. Der Artikel dürfte deshalb in der chinesischen Internet-Öffentlichkeit zu zahlreichen Mutmaßungen führen - wohl vor allem deshalb haben die offiziellen Stellen in Peking präventiv den Zugang zur Website der New York Times für China gesperrt.

Der Bericht über den neuen Reichtum der Familie Wen ist nicht der erste dieser Art. Im Juni hatte Bloomberg berichtet, dass die Familie des designierten Präsidenten Xi Jinping ein Vermögen von mehreren Hundert Millionen Euro angehäuft habe - ebenfalls über ein undurchsichtiges Firmengeflecht. Auch das hatte für große Aufregung gesorgt, denn Xi, der Hu als Präsident beerben soll, galt bisher als Saubermann. Plötzlich war auch er mit dem Verdacht der Vetternwirtschaft konfrontiert, allerdings konnte Bloomberg nicht nachweisen, dass das Geld aus illegalen Quellen stammt. Die Internetseite der Nachrichtenagentur ist in China seit vier Monaten blockiert.

Peking reagiert womöglich auch deshalb so nervös, weil die Korruption zusehends zur Bedrohung für die politische Stabilität des Landes wird, wie der New Yorker schreibt. Bisher gingen Forscher und Diplomaten davon aus, dass die Korruption in China nach ähnlichem Muster wie in Südkorea und Taiwan funktioniert: Politische Entscheidungsträger entziehen dem Staat Geld und schanzen es Bekannten und Verwandten zu, aber sie treiben es niemals so weit, dass das Gesamtsystem instabil wird.

Allerdings warnen Experten wie der Sinologe Andrew Wedeman davor, dass das Ausmaß der Korruption längst begonnen hat, das Staatswesen zu beschädigen. Er hat die Zustände in China mit Ländern wie Korea und Taiwan, aber auch Kongo (Zaire), Nicaragua und Haiti verglichen und kommt im New Yorker - zur eigenen Überraschung - zu dem Ergebnis, dass in China beim Thema Korruption "Anarchie" herrscht.

Harte Strafen für Korruption

Öffentlich signalisiert die Kommunistische Partei durch Prozesse und harte Strafen, Korruption nicht zu dulden. Die Gerichte verhängen lange Haft- und auch Todesstrafen für Korruption. Jüngstes prominentes Beispiel ist Bo Xilai, bis vor kurzem noch hochrangiges Parteimitglied, inzwischen aus Partei und Parlament ausgeschlossen. Auch ihn erwartet ein Prozess.

Die Öffentlichkeit lässt sich damit allerdings nicht mehr abspeisen und verliert angesichts der unzähligen Affären auf allen politischen Ebenen immer mehr das Vertrauen. So könnte es sein, dass auch die Zukunftsplanung von Wen Jiabao in Gefahr gerät. Zwar beteuern seine Unterstützer, dass er selbst nicht von den erfolgreichen Geschäften seiner Verwandten profitiert habe. Auch er selbst beteuerte schon im März, er habe "sich nie persönlich bereichert".

Doch Beobachter der chinesischen Politik gehen in ersten Reaktionen auf den New-York-Times-Bericht davon aus, dass Wens künftige Rolle in der chinesischen Politik durch diese Affäre weit geringer sein wird, als er dies vorgesehen hatte. Der Strippenzieher, so scheint es, ist selbst ins Stolpern geraten.

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