Vor der Wahl:Merkels Programm-Mikado

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Viele Ideen, viele Widersprüche: Warum CDU und CSU nur als bedingt regierungsfähig gelten können. Ein Kommentar von Jens Schneider

Die Union schweigt - zumindest offiziell. Kein Wort soll nach außen dringen aus den Zirkeln, die sich unter Aufsicht der Kanzlerkandidatin um ein Wahlprogramm bemühen. Mit erhabener Gelassenheit hat Angela Merkel nach der Kür zur Spitzenkandidatin alle Fragen zum Programm der Union und den Konflikten auf den 11.Juli vertagt.

In der Union überschlagen sich widersprechende Ideen. (Foto: Foto: Reuters)

Dann werden die Inhalte präsentiert und die Union soll mit einer Stimme sprechen. Dann müssen die widersprüchlichen Ideen zu einem abgestimmten Regierungskonzept verschmolzen sein.

Man möchte sich das Verfahren wie ein hochkonzentriert geführtes Mikadospiel vorstellen, bei dem die Kanzlerkandidatin in aller Ruhe die knifflig ineinander verhakten Stäbe löst, ohne dass der ganze Haufen ins Rutschen gerät. Alles ist voneinander abhängig: Zieht sie an einem Stäbchen zu sehr, wackeln die anderen - tippt sie an der Rente, dann kippt die Steuerreform und der Arbeitsmarkt bebt.

Kein Zeichen von Führungsstärke

Indes: Die Union schweigt gar nicht - im Gegenteil. Die Ruhe ist offiziell verordnet und beschränkt sich auf die Parteispitze. In den Unionsparteien aber überschlagen sich widersprechende Ideen. Nicht nur zur Mehrwertsteuer- Erhöhung gibt es jeden Tag neue Wortmeldungen - dafür, dagegen, und gern auch ein bisschen dafür oder ein bisschen dagegen. So gerät Merkels behutsames Programm-Mikado ins Rutschen, der Haufen wackelt gefährlich.

Merkel war schon einige Male gut beraten, sich zurückzulehnen und die ehrgeizigen Parteifreunde eine Weile toben zu lassen. Danach konnte sie die Ergebnisse in aller Ruhe zusammenkehren. In der zugespitzten Vorwahlkampf-Situation kann man ihre Passivität angesichts des Durcheinanders allerdings schwerlich als Führungsstärke auslegen.

Die Physikerin sollte nicht der Illusion erliegen, dass sich der politische Prozess auf dem Weg zum Wahlprogramm steuern lässt wie ein Labor-Experiment - oder dass am Ende allein die Machtfragen, aber nicht die Sachfragen über die Kanzlerschaft entscheiden.

Vorerst offenbart das disparate Treiben, dass CDU und CSU nur als bedingt regierungsfähig gelten können. Ihre Vorhaben sind nicht nur noch nicht fertig, sondern sie bergen jede Menge Sprengstoff. Stets geht es um den zentralen inneren Konflikt: Es ist der Streit der Neoliberalen mit den Sozialdemokraten in der Union.

Die einen wollen zum Beispiel die Folgen von Hartz IV abmildern, die anderen den Druck auf Arbeitslose unbedingt erhöhen. In der Sache steht Merkel eher bei den radikalen Reformern. Die Ostdeutsche beklagt häufig, dass die Bundesrepublik zu viel Sozialismus in sich habe. Der Leipziger Parteitag sollte den Sozialismus in der CDU austreiben, aber die Vorsitzende hat die Linie nicht gehalten.

Inhaltliches Durcheinander

Die unaufgelöste innere Konfrontation ist für die Union doppelt gefährlich, weil sie auch die Wähler spaltet. Gern betont Merkel, dass sie die Wirtschaft auf ihrer Seite hat, wenn es um kühne Reformen geht. Doch ihre Erfolge hat die Union zuletzt auch deshalb erzielt, weil sie immer mehr Wähler aus unteren sozialen Schichten anzog - ungelernte Arbeiter, Arbeitslose. Die könnten schnell wechseln, wenn ihr Bedürfnis nach Sicherheit in Frage gestellt wird. So haben CDU/CSU in Teilen ähnliche Probleme wie die SPD.

Weil die inhaltliche Schwäche nicht zu verbergen ist, wird auch der enorme Vorsprung in den Umfragen mit einiger Vorsicht betrachtet. Als frühe Momentaufnahme wird empfunden, dass jetzt sogar eine absolute Mehrheit möglich scheint.

Das Spiel aber beginnt erst: Wer kein Risiko eingegangen ist und nur die leichten Stäbchen angepackt hat, liegt beim Mikado gut im Rennen. Aber gewinnen kann nur, wer die wahrhaft kniffligen Konstellationen abräumt. Das inhaltliche Durcheinander hat den Haufen Probleme für Merkel noch verworrener werden lassen.

© SZ vom 6.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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