Vor dem Nato-Gipfel:Sehnsucht nach Harmonie

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Hohe Sicherheitsvorkehrungen und viele Streitpunkte: Auf dem heute beginnenden Nato-Gipfel soll Zwist vermieden werden. Doch manche zweifeln, ob das gelingt: Das Bündnis ist in wichtigen Fragen gespalten.

Martin Winter

Zu ihrem sechzigsten Jahrestag wünscht sich die Nordatlantische Allianz einen harmonischen Gipfel an diesem Wochenende im deutschen Kehl und im französischen Straßburg. Die beiden Städte liegen sich am Rhein gegenüber, und die Wahl des Ortes trägt symbolische Züge.

Deutsche und Franzosen stürzten die Welt einst durch ihre Feindschaft in große Kriege. Mit ihrer Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg begann eine der längsten Friedensperioden in der Geschichte Europas. Diesen Gipfel gerade hier abzuhalten passt aber auch deswegen, weil Frankreich in die militärische Integration der Nato zurückkehrt, die es 1966 unter Charles De Gaulle aus Misstrauen gegen die amerikanische Hegemonie verlassen hatte.

Für einen harmonischen Gipfelablauf spricht einiges. Zum einen hat die Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten die Stimmung zwischen (West-)Europa und Amerika erheblich verbessert. Nach dem Zerwürfnis über den Irak-Krieg sprechen Nato-Diplomaten jetzt geradezu enthusiastisch über das "neue Washington". Zum zweiten haben die Alliierten rechtzeitig vor dem Gipfel ihre Differenzen über den Einsatz in Afghanistan ausgeräumt. Die neue Strategie legt größeres Gewicht auf den zivilen Aufbau und auf die Ausbildung der afghanischen Armee und Polizei, damit das Land selber für seine Sicherheit sorgen kann. Die Nato wird das mit weiteren Soldaten, aber auch mehr Ausbildern absichern müssen. Der Gipfel, sagt ein hoher Diplomat, sei "Teil der Mobilisierung" für einen neuen Schub in Afghanistan.

Zum Dritten nimmt die Nato Albanien und Kroatien als Mitglieder Nummer 27 und 28 auf, was ihre "Vitalität und Attraktivität" beweise, wie es im Brüsseler Hauptquartier gerne heißt. Dass erst gar kein Streit zwischen den Staats- und Regierungschefs aufkommen kann, dafür sorgt auch die Gipfelregie. Es gibt viel Kultur, militärische Zeremonien, symbolisch wird die Europabrücke über den Rhein überschritten. Für die Gipfelarbeit bleiben nur gut fünf Stunden. Die Hälfte davon verbringen die Chefs bei einem Abendessen in Baden-Baden.

So werden wohl die hohen Diplomaten in Nachtschichten die Probleme beseitigen und die Risse kitten müssen, die es unter der Oberfläche der Harmonie durchaus gibt. Die Abschlusserklärung des Gipfels etwa ist in wenigstens zwei Punkten noch offen: Auch nach wochenlangen Verhandlungen konnten sich die Alliierten bislang nicht einig werden, welche Tonart sie Moskau gegenüber anschlagen sollen.

Sind die Russen nun "wichtige Partner", wie die meisten westeuropäischen Regierungen und auch die neue amerikanische meinen? Oder sollte man ihnen doch distanziert und vor allem misstrauisch begegnen, wie es zum Beispiel die Litauer verlangen? Wahrscheinlich werden sich die osteuropäischen Kritiker einer russlandfreundlichen Politik aber nicht durchsetzen, denn eine unterkühlte Atmosphäre gegenüber Moskau können die USA gerade jetzt nicht brauchen, wo Präsident Obama Russland zu einer neuen Runde nuklearer Abrüstung drängt.

Einiges Kopfzerbrechen bereitet den Nato-Partnern auch der Kosovo. Da gibt es zum einen das eher formale Problem, ob man denn die Regierung in Pristina in der Gipfelerklärung als "Regierung der Republik Kosovo" bezeichnen darf. Schließlich haben einige Nato-Mitglieder wie Spanien und Griechenland die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkannt. Problematischer als dieser Streit ist für die Nato aber, dass es immer mehr Mitgliedsländer dazu drängt, ihre Soldaten aus der ehemaligen serbischen Provinz abzuziehen.

Spanien hat die Ankündigung zwar zurückgezogen, seine Soldaten rasch und ohne Absprache mit den Partnern nach Hause zu holen. Aber dass die Regierung in Madrid aus dem Kosovo-Engagement aussteigen will, ist ebenso klar wie es kein Geheimnis ist, dass etwa die Litauer abziehen wollen und die Briten es teilweise schon getan haben. Damit der Kosovo-Einsatz sich nicht nach der Methode "Rette sich wer kann" auflöst, sollen die Ungeduldigen jetzt auf den Juni vertröstet werden. Dann beraten die Verteidigungsminister über den Rückzug aus dem Balkanstaat.

Unangenehme Gespräche über die Nachfolge des jetzigen Nato-Generalsekretärs Jaap de Hoop Scheffer werden wohl auch nicht zu vermeiden sein, nachdem die Türkei sich öffentlich gegen den Favoriten - den dänischen Premier Anders Fogh Rasmussen - gestellt hat.

Als Erfolg soll dagegen eine "Erklärung über die Sicherheit der Allianz" verkauft werden, die nach dem Willen Scheffers der Grundstein für eine neue Sicherheitsstrategie der Nato sein wird. Über eher allgemeine Bemerkungen, etwa über gemeinsame Werte und Interessen, kollektive Verteidigung und neue Herausforderungen, wird die Erklärung allerdings nicht hinausgehen. Dafür sind die Einschätzungen in Europa zur künftigen Aufgabe der Allianz zu verschieden: Die östlichen Nato-Staaten sehen anders als die übrigen Mitglieder immer noch Russland als die Hauptgefahr an, gegen die sich die Nato erneut rüsten müsse. Damit dieser Streit nicht offen ausbricht, haben die Deutschen vorgeschlagen, die Erarbeitung der neuen Strategie einer Gruppe "weiser Männer" zu übertragen, deren Empfehlungen man folgen kann, aber nicht muss. Ob die Partner diese Idee übernehmen, ist noch nicht sicher.

© SZ vom 03.04.2009/dmo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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