Volksparteien ohne Volk:Das Kreuz mit dem Bürger

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Immer weniger Deutsche gehen in eine Partei - daran leidet auch die CDU. Selbst eine schillernde Führungsfigur wie Barack Obama würde daran nichts ändern.

Nico Fried

Für die CDU war es ein historischer Tag. Erstmals konnte Generalsekretär Ronald Pofalla am Montag für seine Partei mehr Mitglieder vermelden (530.755) als die SPD (529.994). Dieser Erfolg zum Stichtag 30. Juni ist aber nicht einem Zuwachs an Christdemokraten zu verdanken, sondern nur einem langsameren Schwund als bei der SPD.

Schlechte Zeiten, schlechte Zahlen - zumindest für die beiden Volksparteien. (Foto: Foto: AP)

Die Sozialdemokraten verloren 2008 rund 20.000, die CDU rund 15.000 Mitglieder. Und das Schrumpfen der Volksparteien geht weiter. Im Wettbewerb, die größte Partei zu sein, erinnern CDU und SPD an zwei Rennfahrer, von denen nicht der gewinnt, der zuerst im Ziel ist, sondern der verliert, dem zuerst der Sprit ausgeht.

Seitdem die Deutschen vergangene Woche den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama persönlich in Augenschein nehmen konnten, lautet eine beliebte Erklärung für ihre Politikverdrossenheit, dass es hierzulande keinen Obama gibt. Mit seinem Charisma und seiner Kampagne gegen das verkrustete Establishment habe er in den USA die Menschen wieder für Politik begeistert. So einer könne hier auch etwas bewegen. Es ist nur zweifelhaft, ob das stimmt.

Deutschen sehen die Politik anders

Der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin unterscheidet mehrere Arten von Anreizen, in eine Partei einzutreten. Der affektive Anreiz, eine emotionale Verbundenheit zum Beispiel zu einer Führungsfigur, hat in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen. Tatsächlich war der letzte Politiker, der wirklich eine Eintrittswelle bewirken konnte, Willy Brandt - und zwar sowohl bei Sympathisanten, die zur SPD, als auch bei seinen Gegnern, die zur CDU gingen.

Gleiches gilt, so Niedermayer, auch für den normativen Anreiz, mit dem man einer Erwartungshaltung in der persönlichen Umgebung nachkommt. Dieser Grund hat vor allem wegen der Auflösung gesellschaftlicher Milieus geringere Bedeutung. Durchaus noch vorhanden ist der Anreiz, wegen bestimmter Grundwerte in einer Partei mitzumachen. Allerdings kann dieses Motiv umgekehrt auch zum Austritt führen, wenn man seine Überzeugungen nicht mehr repräsentiert sieht - jüngstes Beispiel sind aus der Sicht Niedermayers die Mitgliederverluste der SPD wegen der Agenda 2010, in der viele Genossen einen Verrat an den sozialdemokratischen Grundwerten Gerechtigkeit und Solidarität sahen.

Auch der Wunsch, konkrete politische Ziele durchzusetzen, kann in eine Partei führen. Allerdings wählen vor allem junge Leute, die sich für ein spezielles Anliegen engagieren möchten, kaum noch diesen Weg. Die Überalterung der Mitglieder, die Zeitintensität und inhaltliche Breite des Engagements sowie bisweilen auch die Mitgliedsbeiträge führen laut Niedermayer dazu, dass sich junge Menschen eher Bürgerinitiativen oder neuen politischen Organisationen wie Attac anschließen, wo der persönliche Einsatz möglicherweise nicht nur schneller zum Erfolg führt, sondern auch mehr Spaß macht.

Trotz der Begeisterung für Obama - die grundsätzliche Sicht der Deutschen auf die Politik sieht offenbar anders aus. So stehen mit Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier seit langem zwei der - vorsichtig ausgedrückt - nüchternsten Politikertypen an der Spitze der Beliebtheitsskalen. Dass es eben keinen Obama gibt, reicht als Erklärung dafür nicht aus. Vom ganzen Wesen her sind die Kanzlerin und ihr Vize geradezu das Gegenteil Obamas.

Das heißt nicht, dass die Deutschen keine Schwäche für starke Charaktere hätten. Sonst wäre ein Joschka Fischer, der sich als Rebell gegen die alte Bundesrepublik und gegen die eigene Partei inszenierte, nie Vizekanzler geworden. Ähnliches gilt für Gerhard Schröder, ja ein wenig sogar für die frühere Angela Merkel, die einen entscheidenden Karriereschritt machte, als sie den Mut fand, mit dem System Kohl zu brechen.

Regiert werden wollen die Bürger aber seriös, solide und unaufgeregt. Deshalb wählten sie Schröder und Fischer auch ab, als das rot-grüne Chaos nicht mehr auszuhalten war. Und deshalb profitieren Merkel und Steinmeier heute wohl auch davon, dass sie am wenigsten mit dem täglichen Hickhack in Verbindung gebracht werden.

Offenbar wollen die Bürger also von der Politik generell lieber in Ruhe gelassen werden. Schöne Visionen ja, konkrete Politik, Streit und Interessenausgleich - nein, danke. So aber wird Deutschland immer mehr eine Republik der Zuschauer, in der die Politik sich selbst überlassen und nur noch beurteilt wird. Die Rede von Obama vor der Siegessäule? Daumen hoch. Die letzte Diskussion bei Anne Will? Daumen runter.

Bei allen Fehlern der Volksparteien, bei aller Undurchlässigkeit und Intransparenz ihrer Strukturen, ist es deshalb wohl zu einfach, ihnen allein die Verantwortung für ihren Niedergang zuzuschreiben. Auch wenn man auf dem Sofa zu Hause schneller eine Mehrheit hat als im Ortsverein: Die Krise der Volksparteien ist nicht nur eine Herausforderung für die Parteien, sondern auch fürs Volk.

© SZ vom 29.07.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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