Vogelgrippe in Deutschland:Bundeswehreinsatz auf Rügen ist "Theaterinszenierung"

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SPD-Vize Beck hat Bundeslandwirtschaftsminister Seehofer für dessen Umgang mit der Vogelgrippe kritisiert. Die grüne Agrarexpertin Höhn warnte unterdessen, dass eine Pandemie die WM-Austragung in Frage stellen könnte.

SPD-Vize Kurt Beck hat das Vorgehen von Bundesagrarminister Horst Seehofer (CSU) im Kampf gegen die Vogelgrippe auf Rügen kritisiert. "Ein Katastrophenstab, der in Berlin sitzt, weiß doch nicht besser, was los ist, als ein Landrat", sagte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident der Zeitung Rheinpfalz.

Ein Soldat der Bundeswehr desinfiziert am Rügendamm auf der Insel Daenholm einen Lkw. (Foto: Foto: dpa)

Der Einsatz der Bundeswehr auf Rügen sei als "Theater" inszeniert worden.

Seehofer hatte am Samstag Hilfe der Bundeswehr angeboten. Er fordert mehr Bundeskompetenz in Krisenfällen.

WM bei Pandemie in Gefahr

Bärbel Höhn, Vorsitzende des Agrarausschusses im Bundestag, hat im Sender N24 unterdessen erklärt, im Falle einer Pandemie müsste vermutlich auch die Fußball-WM (9. Juni bis 9. Juli) abgesagt werden.

"Sagen wir mal, das Virus ist da, und es gibt so Riesenveranstaltungen, dann wäre ich schon dafür zu sagen, lasst uns überlegen, die ausfallen zu lassen", sagte die Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses des Bundestages, Bärbel Höhn.

Unterstützung erhielt die Grünen-Politikerin vom Leiter des Influenza-Programms der Weltgesundheitsorganisation WHO, Klaus Stöhr. Die Aussagen Höhns seien "keine Schwarzmalerei".

Sollte während der WM in Deutschland eine Seuche unter den Menschen ausbrechen, "muss man sich ganz genau überlegen, was man tut".

Laut Stöhr wächst mit der Dauer der Vogelgrippe die Gefahr eines Seuchenausbruchs unter Menschen. Je länger das Virus existiere, desto höher seien die Chancen, dass es auf den Menschen übergehe, sagte der Wissenschaftler.

"Wenn dieses Virus sich verändert, haben wir nichts in der Hand, um den weltweiten Zug hinauszuzögern." Nach drei Monaten wären dann alle Kontinente davon betroffen, sagte Stöhr.

Deutschland sei im weltweiten Vergleich besser auf die Seuche vorbereitet als andere Länder. Dennoch sei nun "Klotzen wichtiger als Kleckern", um eine Übertragung des Virus von Wild- auf Nutztiere zu verhindern, warnte Stöhr einer N24-Mitteilung zufolge.

Alle Pandemie-Überlegungen beziehen sich jedoch auf die Möglichkeit, dass die Vogelgrippe direkt von Mensch zu Mensch übertragen würde. Das ist bisher nicht der Fall. Die 92 bisher bestätigten Todesfälle bei Menschen durch das Virus H5N1 führt die WHO auf direkten intensiven Kontakt mit infiziertem Geflügel zurück.

Weder das deutsche Organisationskomitee (OK) noch der Weltverband FIFA wollten sich zu einer möglichen Gefahr für die Ausrichtung des Turniers äußern und zunächst intern über das Thema beraten.

Katastrophenalarm an der gesamten Ostseeküste

Seit Montag gilt an der gesamten Ostseeküste Vorpommerns Katastrophenalarm. Auf Rügen stockte die Bundeswehr ihre Kräfte um 250 Soldaten auf.

Die Deutsche Geflügelwirtschaft und der Tourismus auf Rügen bekamen erste Auswirkungen der Vogelgrippe zu spüren. Bislang wurde der gefährliche Erreger H5N1 bei mehr als 80 Vögeln in Deutschland nachgewiesen. Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern kommen wegen der Vogelgrippe am Donnerstag zu einer Sondersitzung zusammen.

Die Ausbreitung der Tierseuche bei Wildvögeln lässt sich nach Einschätzung des Bundesinstituts für Tiergesundheit kaum verhindern. "Wildvögel kann man nicht reglementieren", sagte die Sprecherin des Bundesforschungsinstituts für Tiergesundheit auf der Insel Riems, Elke Reinking. Prognosen, wie weit sich das Virus in das Festland hinein ausbreiten wird, wollte sie aber nicht geben.

Situation noch nicht im Griff

Mecklenburg-Vorpommern hat die Situation laut Agrarminister Till Backhaus (SPD) "insgesamt noch nicht im Griff". Das schnelle Ausrufen des Katastrophenfalls in Nord- und Ostvorpommern mache jedoch deutlich, dass man dabei sei, das Problem zu lösen, sagte Backhaus in Schwerin. Hilfe von der Bundeswehr sei angefordert.

"Aber wir können nicht die gesamte Bundeswehr nach Mecklenburg-Vorpommern verlegen." In Ost- und Nordvorpommern begann die Untersuchung von Geflügelbeständen in der Drei-Kilometer-Zone um die neuen Fundorte Netzeband bei Wolgast und Prerow auf dem Darß.

Backhaus forderte eine zehn Kilometer breite Beobachtungszone entlang der gesamten Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns. Mit weiteren infizierten Tieren sei zu rechnen, das Risiko der Einschleppung in Hausgeflügelbestände wachse.

Impfung bleibt in der EU umstritten

In der EU bleibt die Impfung von Tieren gegen die Vogelgrippe umstritten.

Nach Beratungen mit seinen EU-Kollegen sagte Bundesagrarminister Horst Seehofer (CSU): "Die Tierimpfung hat nach wie vor das Problem, dass man die Krankheit damit verdeckt." Nach einer Impfung können infizierte und geimpfte Tiere nicht mehr unterschieden werden, weil beide Antikörper gegen das Virus ausbilden.

Wenn jedoch die Infektion nicht erkannt wird, können geimpfte Tiere unbemerkt das Virus weiter verbreiten. Grundsätzlich sei Deutschland aber bereit, an einer europäischen Impfstrategie mitzuarbeiten, sagte Seehofer. "Wir fahren da zweigleisig."

Auf Rügen ging die vorsorgliche Tötung von Geflügel weiter. Nach 2463 bereits am Sonntag gekeulten Tieren aus einem großen Betrieb und einigen Kleinsthaltungen sollten am Montag die Tiere aus weiteren fünf Kleinstbeständen getötet werden. Die vorsorglichen Tötungsmaßnahmen seien auch ein Signal an die EU, dass das Land ernsthaft gegen die Vogelgrippe vorgehe.

"Das wichtigste ist, dass wir die Lage auf Rügen wieder in den Griff bekommen", sagte Seehofer in Brüssel. Er befürchtet, dass sonst Drittstaaten ihren Handel mit Deutschland einschränken könnten.

Die deutsche Geflügelwirtschaft zeigte sich angesichts der Fälle in Mecklenburg-Vorpommern besorgt. Es sei zwar kein dramatischer Einbruch zu verzeichnen, die Branche habe aber einen Dämpfer erfahren, berichtete der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft in Berlin.

Staus wegen Desinfizierung

Inzwischen ist Rügen wieder ohne Wartezeit im Stau zu erreichen. Die wegen der Vogelgrippe errichteten Seuchenschleusen bei der Zufahrt über den Rügendamm oder über den Fährhafen Mukran seien aufgehoben worden, teilte die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns mit.

Auch die Kontrollen auf der Fahrt von der Insel wurden gelockert. Autos müssen nur noch eine so genannte mit Desinfektionsmittel getränkte Seuchenmatte überfahren. Die Radkästen werden nicht mehr ausgespritzt.

Lastwagen werden zudem bereits vor dem Rügendamm, der einzigen Straßenverbindung zwischen Insel und Festland, auf einem Parkplatz an der Bundesstraße kontrolliert. Deshalb sei auch der Weg von der Insel staufrei, es komme allerdings gelegentlich zu stockendem Verkehr, sagte ein Polizeisprecher.

In Hotels auf Rügen und an der Ostseeküste gingen erste Stornierungen wegen der Vogelgrippe ein. Der Landestourismusverband befürchtet bei einer weiteren Ausbreitung der Vogelgrippe auf dem Festland eine "sehr große Buchungszurückhaltung."

Grüne und FDP warfen Seehofer und dem Land Mecklenburg-Vorpommern schwere Fehler beim Krisenmanagement der Vogelgrippe vor. Seehofer habe vieles in der Koordination mit den Ländern versäumt, sagte die Vorsitzende des Agrarausschusses im Bundestag, Bärbel Höhn (Grüne), im Hessischen Rundfunk und im RBB-inforadio. In einer solchen Krise müsse der Bund den Ton angeben. Seehofer wies die Kritik zurück.

Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern wollen sich am Donnerstag über den Stand der Vorbereitungen auf eine mögliche weltweite Grippe-Epidemie austauschen. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hatte einen aus ihrer Sicht mangelnden Vorrat der Länder an Grippemitteln kritisiert.

Unterdessen wurde erstmals auch in Bosnien-Herzegowina ein Vogelgrippevirus vom Typ H5 nachgewiesen. Ob es sich um den gefährlichen Erreger H5N1 handelt, wird noch untersucht.

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