Verständigung statt Babylon:Die Posse mit dem Pausendeutsch

Lesezeit: 2 min

Nur noch Deutsch auf dem Schulhof? Es ist dies keine Frage für Ideologien, sondern für Pragmatik.

Cathrin Kahlweit

Schon der pathetische Oberbegriff ist verräterisch, unter dem eine interne Übereinkunft zwischen Lehrern, Eltern und Schülern an einer Berliner Realschule derzeit bundesweit und mit schrillen Untertönen diskutiert wird: "Sprachenstreit" lautet die Überschrift über der Debatte - und sie enthält alle Charakteristika einer Posse im Zeitalter des deutschen Post-Multikulti-Traumas.

Kauderwelsch oder gemeinsame Sprache? Muslimische Schülerinnen auf dem Pausenhof der Herbert-Grillo-Gesamtschule in Duisburg-Marxloh. (Foto: Foto: ddp)

Vor etwa einem Jahr hat man sich an der Herbert-Hoover-Schule im Wedding geeinigt, dass auf dem gesamten Schulgelände nur Deutsch gesprochen werden darf.

Alle Seiten waren dafür, was bei einem Anteil von mehr als 90 Prozent ausländischen Schülern an dieser Schule nur den überraschen kann, der unterstellt, dass Migranten-Eltern in ihrer Mehrheit eine aktive Integration ihrer Kinder in die deutsche Gesellschaft ablehnen.

Signal für mehr Gemeinsamkeit

Das Gegenteil ist der Fall. Gleichzeitig war und ist allen Beteiligten klar, dass ein solches Gebot nicht zu kontrollieren und daher nicht hundertprozentig umzusetzen ist; Sanktionen sind daher nicht vorgesehen.

Also lässt sich die Regel als Signal für mehr Gemeinsamkeit betrachten, um eine bessere Verständigung zwischen den vielen Ethnien herbeizuführen - und als pädagogisches Mittel, um die Deutschkenntnisse der Schüler zu vertiefen.

Übrigens ist die Schule im Wedding nicht die einzige, die eine solche Regelung hat; auch in Nordrhein-Westfalen gibt es solche Verabredungen, die aus den Verständigungsproblemen im Schulalltag und aus pädagogischer Einsicht erwachsen sind.

Zu Hause sprechen viele Migrantenkinder kein Deutsch, und der Deutschunterricht allein reicht oft nicht aus, um die Sprache des Gast- oder Heimatlandes Deutschland beherrschen zu lernen. Warum also nicht, zeitökonomisch gedacht, die Spanne erhöhen, in der auch im öffentlichen Raum das geübt wird, was zu kurz kommt?

Zwischen Abscheu und Begeisterung

Nun aber, ein Jahr später, wird aus einer pragmatischen Übereinkunft ein Skandal, und es folgt, was immer folgen muss, wenn in Deutschland über Integration gesprochen wird: reflexhafte Reaktionen, schwankend zwischen Abscheu und Begeisterung.

Linke Politiker, die viele Jahre darauf vertraut haben, Integration sei ein Ding, das sich einer multikulturellen Gesellschaft irgendwie von selbst einstellt, und rechte Politiker, die ebenso lange behauptet haben, in diesem Land gebe es keine Einwanderer, sondern nur Gäste - sie alle wollen jetzt grundsätzlich festlegen, was richtig ist.

Weil neuerdings als ausgemacht gilt, dass in der Ausländerpolitik viel zu lange eine Haltung des Laissez-faire gegolten hat, bewegt sich die Debatte über die Hausordnung an der Herbert-Hoover-Schule rasend schnell in Richtung Grundsatzstreit über Leitkultur: Wer Integration will, so die neue Denkschule, muss sie erzwingen.

Verbindliche Schulsprache?

Deshalb sinnt die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, im Verein mit SPD-Politikern gleich über Gesetze nach, die Deutsch als Schul(hof)sprache verbindlich vorschreiben sollen.

Die Gegenseite spricht, nicht weniger ideologisierend, von einer Verletzung des Grundgesetzes und des Persönlichkeitsrechts. Türkische Verbände geißeln das "Sprachverbot" und warnen fast schon hysterisch vor Desintegration durch Unterdrückung von Minderheiten.

Auch fünfzig Jahre nach Ankunft der ersten "Gastarbeiter" herrscht keine Übereinstimmung darüber, was selbstverständlich sein muss: dass eine Verständigung im Wortsinne bei der Sprache beginnt und bei den Werten endet.

Deshalb ist eine andere Regelung an der Hoover-Schule viel spannender: Neben der Hausordnung wurde die Zahl der Deutschstunden erhöht. Es ist nämlich die Mischung, die Erfolg verspricht: intensiver Unterricht in Deutsch - und in der Muttersprache; gemeinsame Regeln für das Miteinander, die Einbeziehung der Eltern.

Der Sprachenstreit ist hier gerade kein Streit mehr, weil alle versuchen, eine gemeinsame Sprache zu sprechen.

© SZ vom 27.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: