Verlegung des Tatort:"Wir brauchen keine Nachhilfe"

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Mit Rücksicht auf die türkische Gemeinde verlegt die ARD den Ludwigshafener "Tatort", der im deutsch-türkischen Milieu spielt. Dies hatte Ministerpräsident Beck empfohlen - zum Verdruss des Senders.

Christopher Keil

Zu den dankbaren Aufgaben des Programmdirektors der ARD gehören beispielsweise Preisverleihungen. Die der Goldenen Kamera muss Günter Struve am Mittwochabend in Berlin schon deshalb am Herzen gelegen haben, weil er Donnerstagnachmittag bereits wieder von seinem Standort München aus mit dem Jet nach Kalifornien übersetzte - aus privaten Gründen allerdings.

In dem "Tatort" sollte Ulrike Folkerts (r.) als Lena Odenthal einen Mord an einem Deutschtürken aufklären. (Foto: Foto: AP)

Donnerstagvormittag hatte Struve dann noch kurzfristig eine andere, eine undankbare Aufgaben zu bewältigen: den für Sonntag geplanten Ludwigshafener Tatort mit der Schauspielerin Ulrike Folkerts als Kommissarin Lena Odenthal aus dem Programm nehmen.

Kurt Beck, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident, hatte dem Südwestrundfunk (SWR) empfohlen - in dessen Auftrag dieser Tatort mit dem Titel "Schatten der Angst" hergestellt wurde -, auf die Ausstrahlung zu verzichten.

In der Fiktion des Krimis wird ein Deutschtürke ermordet, die Ermittlungen Odenthals konzentrieren sich auf eine türkische Familie. Die trauernde Frau des Toten war zwangsverheiratet worden. Das alles spielt in Ludwigshafen und war SPD-Chef-Beck zu nahe an der Realität.

Am vergangenen Sonntag starben in Ludwigshafen neun Menschen bei einem Mietshausbrand. Alle Opfer stammen aus der Türkei. Noch immer wird die Ursache des Feuers ermittelt. Bisher hat die Polizei keine Erkenntnisse darüber, ob es sich um Brandstiftung handelt. Weil schon einmal auf dasselbe Mietshaus ein Brandanschlag verübt wurde, ist die türkische Gemeinde Ludwigshafens erregt. Der Fall macht in der Türkei Schlagzeilen.

Am Donnerstag besuchte auch deshalb der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan auf dem Weg zur Münchner Sicherheitskonferenz Ludwigshafen. Beck schien es in dieser Situation angemessen, der öffentlich-rechtlichen ARD Ratschläge zu erteilen. Als Programmchef Struve im Flugzeug nach San Francisco saß, vermeldete der SWR die Verschiebung des Tatortes auf den 6. April.

Seit Bekanntwerden der Brandkatastrophe, teilte SWR-Intendant Peter Boudgoust mit, habe man eine Verlegung diskutiert. Zuletzt offenbar Mittwochabend im persönlichen Gespräch zwischen ihm und Struve am Rande der Goldenen Kamera in Berlin. Das Verhalten Becks, seine Kommunikation über die Medien in dieser Angelegenheit, soll ARD-intern kritisiert worden sei. SWR-Manager Boudgoust sagt: "Wir sind uns unserer eigenen Verantwortung bewusst und brauchen in Sachen Pietät keine Nachhilfe von der Politik.''

Ein persönlicher Brief Becks lag bis Donnerstagnachmittag nicht vor, telefonisch meldete sich beim SWR Becks Staatskanzleichef Martin Stadelmeier - zu einem Zeitpunkt, da die Entscheidung zwischen Struve und Boudgoust wohl längst getroffen war. Die Linkspartei und das Soziale Netzwerk Deutschland hatten vorher schriftlich einen anderen Sendetermin gefordert.

"Türken und Deutsche weit über Ludwigshafen hinaus nehmen (...) Anteil am Schicksal der Opfer'', schreibt Boudgoust. "In dieser Situation hätte die Gefahr bestanden, dass eine herausragende Tatort-Produktion völlig falsch verstanden wird." Zwar handele es sich um eine spannende Liebesgeschichte, die im deutsch-türkischen Milieu spiele, aber sie habe mit der aktuellen Diskussion um den Großbrand in Ludwigshafen nichts zu tun. Trotzdem sei nun nicht der richtige Zeitpunkt, den Film zu zeigen.

Stattdessen wird Sonntag die Odenthal-Folge "Roter Tod"gezeigt - 2007 der erfolgreichste Tatort. Es geht darin um Aids.

© SZ vom 8.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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