Verhandlungen in Karlsruhe:Schily: Flugzeugabschuss faktisch nicht denkbar

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Da beschließt der Bundestag ein Gesetz, das es der Bundeswehr ermöglicht, entführte Flugzeuge abzuschießen - und nun erklärt der Innenminister, es sei eigentlich kein Szenario vorstellbar, unter denen es dazu kommen kann.

In der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zum umstrittenen Luftsicherheitsgesetz hat Innenminister Otto Schily erklärt, es sei eigentlich kein Szenario vorstellbar, in dem die strengen Voraussetzungen der Regelung des Luftsicherheitsgesetzes den Abschuss einer Maschine erlauben würden.

Ein zulässiger Abschuss eines entführten Passagierflugzeugs ist seiner Ansicht nach deshalb "faktisch nicht denkbar".

Schily verteidigte das Gesetz mit Hinweis auf den zunehmend global agierenden Terrorismus. Er halte den Einsatz der Bundeswehr in Extremfällen für verfassungsrechtlich zulässig.

Denkbar sei aber, eine entsprechende Klarstellung im Grundgesetz vorzunehmen, falls das Gericht dies für notwendig halte, sagte Schily.

Das Bundesverfassungsgericht prüft seit heute erstmals die Frage, ob der Staat im Extremfall Menschen töten darf, um andere Menschenleben zu schützen.

Der Erste Senat in Karlsruhe verhandelt über die Klagen gegen das Luftsicherheitsgesetz, das bei Terrorakten unter bestimmten Umständen auch den Abschuss voll besetzter Passagiermaschinen zulässt.

Hirsch: Abwägung von Leben gegen Leben verfassungswidrig

Für die Kläger nannte der ehemalige Bundestagsvizepräsident und FDP-Politiker Burkhard Hirsch eine solche Abwägung von Leben gegen Leben verfassungswidrig.

Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier, der mit seinen Richterkollegen bis Frühjahr 2006 ein Urteil vorlegen wird, räumte zu Beginn der Verhandlung ein, dass die Entscheidung einige sehr grundsätzliche Fragen im Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit aufwirft.

Letztlich gehe es darum, ob der Staat Leben gegen Leben abwägen und selbst Menschen töten dürfe, um das Leben anderer zu retten.

Auf dem Prüfstand stehe aber auch ein möglicher Bundeswehreinsatz zur Terrorabwehr im Inland. Erst nach dem Karlsruher Spruch wollen die Parteien der großen Koalition entscheiden, ob sie dafür doch eine Grundgesetzänderung auf den Weg bringen wollen.

Verstoß gegen die Grundrechte auf Menschenwürde

Verfassungsbeschwerde haben neben Hirsch auch der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP), zwei weitere Rechtsanwälte, ein Patentanwalt und ein Pilot eingelegt.

Sie sehen sich als Vielflieger betroffen und halten das Gesetz für einen Verstoß gegen die Grundrechte auf Menschenwürde sowie Leben und körperliche Unversehrtheit. Hirsch sagte, mit dem Gesetz gebe sich der Staat erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik das Recht, unschuldige Menschen zu töten.

Für den Abschuss eines entführten Flugzeugs müsse noch nicht einmal feststehen, sondern lediglich den Umständen nach anzunehmen sein, dass mit der Maschine ein Anschlag verübt werden soll. Das sei ein "unglaublicher Präzedenzfall".

Hirsch fragte: "Sollten wir uns von Terroristen zwingen lassen, Kernsätze unseres Rechtsdenkens aufzugeben, oder zerstören wir damit das, was wir verteidigen wollen?"

Schily hielt dem entgegen, bei Flugzeugentführungen, Sabotageakten und Terroranschlägen sei der Staat verpflichtet, alles für die Sicherheit seiner Bürger zu tun und Gefahren zumindest zu begrenzen.

Dabei müsse Polizei, Bundeswehr und auch den Piloten Rechtssicherheit gegeben werden. In dem Gesetz gehörten dazu vorbeugende Maßnahmen, aber auch, die betreffende Maschine zur Landung zu zwingen oder Waffengewalt anzudrohen.

Natürlich werde es verfassungsgemäß ausgelegt und nicht einfach Leben gegen Leben abgewogen. Ein Verlust von Menschenleben solle so weit irgend möglich ausgeschlossen werden.

Der Minister wehrte sich gegen den Eindruck, das Luftsicherheitsgesetz sei unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September in den USA entstanden. Auslöser sei vielmehr der Irrflug eines geistig verwirrten Mannes über Frankfurt am Main im Januar 2003 gewesen.

Nachdem am 11. September klar war, dass die Flugzeuge ins World Trade Center fliegen, sei es für einen Abschuss ohnehin zu spät gewesen.

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