Verhaftung:Kairos langer Arm

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Die ägyptische Justiz lässt einen populären arabischen Journalisten in Berlin festnehmen - mit Zustimmung deutscher Behörden. Die Vorwürfe sind zweifelhaft, sein Sender Al-Jazeera fordert seine Freilassung.

Von Ronen Steinke, München

Vor wenigen Wochen erst wurden zwei Reporter des arabischen Fernsehsenders Al-Jazeera in Ägypten freigelassen, nach einem Prozess, der international als politisches Schauspiel kritisiert worden war, inszeniert, um Journalisten mundtot zu machen, die das Regime von Präsident Abdel Fattah al-Sisi kritisieren.

Seit Samstag nun ist wieder ein Al-Jazeera-Journalist in Haft. Diesmal aber nicht in Kairo, sondern in Berlin. Die deutsche Justiz, so war am Sonntag von Sicherheitsbehörden zu erfahren, hat damit einer Bitte aus Kairo entsprochen.

Der ägyptisch-britische Journalist Ahmed Mansour, 52, ist eines der prominentesten Fernsehgesichter der arabischen Welt, seine wöchentliche Live-Sendung "Bi La Hudud" ("Ohne Grenzen") läuft seit zehn Jahren und wird von 20 bis 30 Millionen Zuschauern verfolgt. Mansour ist bekannt für hochkarätige Interviewpartner - in der vorvergangenen Woche etwa war der Anführer der mit al-Qaida verbündeten Nusra-Front zu Gast - sowie für eine gewisse politische Nähe zu den Muslimbrüdern. "Natürlich hat er eine politische Agenda", sagt der deutsche Islamismus-Forscher Guido Steinberg, "so wie sein ganzer Sender", aber deshalb sei der Dialog mit den Journalisten noch nicht verkehrt.

Das Regime des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi schlägt wegen dieser politischen Nähe immer wieder heftig zu, es nennt die Muslimbrüder - die in Ägypten jahrzehntelang friedlich opponiert haben - eine Terrorgruppe und den aus Katar stammenden Fernsehsender Al-Jazeera dessen Propagandavehikel.

Staaten können einander bitten, bei der Fahndung zu helfen, entscheiden muss jeder für sich

In der vergangenen Woche war der Reporter Ahmed Mansour nach Deutschland gekommen, um sein wöchentliches Live-Interview zu führen - diesmal mit Guido Steinberg. Thema war die deutsche Außenpolitik, erst wenige Tage zuvor war Ägyptens Präsident Sisi in Berlin von der Kanzlerin empfangen worden, im Hintergrund zeigte der Sender nun eine Stunde lang das Brandenburger Tor im Abendlicht. Der Journalist Mansour ist ein vehementer Kritiker Sisis, der deutsche Experte, der während der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder als Terror-Berater im Kanzleramt saß, auch. Man war sich während des Interviews deshalb weitgehend einig, die Annäherung von Merkel und Sisi zu kritisieren.

Mansours Einreise nach Deutschland - am Dienstag über den Flughafen Berlin Tegel - hatte noch problemlos geklappt. Nach der Ausstrahlung des Interviews am Mittwochabend aber scheint sich etwas getan zu haben: Als Mansour ausreisen wollte, wiederum über Tegel, mit einer Maschine der Qatar Airways nach Doha, setzte ihn die Bundespolizei fest. Es liege ein "internationaler Haftbefehl" vor. Mansour weiß, dass ein Strafgericht in Kairo ihn im vergangenen Jahr in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt hat. Im Urteil steht, er habe im Frühjahr 2011 gemeinsam mit anderen Sympathisanten der Muslimbrüder einen Anwalt misshandelt, während der Proteste gegen den damaligen Langzeitherrscher Hosni Mubarak; ein Vorwurf, den er vehement bestreitet. Ähnlich geht es heute vielen Regimekritikern: Die Zahl derer, die seit der Machtübernahme durch die Sisi-Regierung in Abwesenheit verurteilt worden sind, geht Schätzungen zufolge in die Zehntausende. Der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo sowie dessen Stellvertreterin sind schon mit Verfahren überzogen worden, im Mai wurde auch der in Harvard lehrende ägyptische Politikprofessor Emad Shahin in Abwesenheit verurteilt - zum Tode. Ägyptens Justiz war nie so politisiert.

Von Kairo nach Berlin: Der Weg, den der Haftbefehl gegen den Al-Jazeera-Reporter Mansour genommen hat, lässt sich am Sonntag nicht zweifelsfrei nachzeichnen. Bei seiner Festnahme am Flughafen protestierte der Journalist noch per Videobotschaft an seine TV-Kollegen: Er sei sicher, dass er nicht über Interpol zur Fahndung ausgeschrieben sei. Interpol ist laut seinem Statut verpflichtet, von "politischen Strafprozessen" Abstand zu halten. Mansour vermutet stattdessen eine Absprache zwischen deutschen und ägyptischen Behörden. "Wenn das stimmt, wäre es eine Schande für Deutschland."

Nach Auskunft deutscher Sicherheitsbehörden ist aber genau dies der Weg, den die Sache genommen hat: Ägypten habe eine Bitte um Rechtshilfe gestellt, diese Bitte sei dann über den großen Verteiler von Interpol auch an das deutsche Bundeskriminalamt verschickt worden. Von dort sei die Sache zur Entscheidung an das Bundesamt für Justiz gegangen, sowie an das Auswärtige Amt in Berlin. Beide stimmten zu. So musste die Bundespolizei bei der Begegnung mit Mansour in Tegel zugreifen. Dieser Punkt ist politisch bedeutsam: Die Verhaftung Mansours beruht nicht etwa auf einem juristischen Automatismus, dem sich Deutschland fügen musste. "Internationale Haftbefehle" im Wortsinne gibt es nicht, stellt der Hamburger Rechtsprofessor Rainer Keller klar, Verfasser eines juristischen Standardkommentars zum Rechtshilferecht. Staaten können einander bitten, bei der Fahndung zu helfen - entscheiden muss aber jeder für sich. Nach deutschem Recht muss Ägypten dazu auch Beweismittel vorlegen, aus denen sich der Tatverdacht ergibt. Und: Deutschland darf nicht ausliefern, wenn die Menschenrechte des Verdächtigen in Gefahr sind. Die Justiz in Berlin hat die Verhaftung des Al-Jazeera-Reporters nicht initiiert, wie der Sprecher der dortigen Generalstaatsanwaltschaft, Martin Steltner, betont. Aber sie hat den Zustand am Sonntagabend abgesegnet. Nach 24 Stunden in Haft in Moabit wurde der Reporter dem Bereitschaftsrichter am Tempelhofer Damm vorgeführt, dieser hörte sich seine Beschwerden und die seines Anwalts an und erließ dann eine "Festhalteanordnung". Das heißt, Mansour bleibt vorerst in Haft. Die Mühlen des Auslieferungsverfahrens beginnen langsam zu mahlen, Ausgang ungewiss. Dem Reporter steht noch angstvolle Zeit in Moabit bevor.

Einst demonstrierte Ahmed Mansour (links) für die Freilassung von Kollegen. Nun ist der Redakteur selbst ins Visier der ägyptischen Justiz geraten. (Foto: N/A)
© SZ vom 22.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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