Verfassungsgericht prüft Neuwahl:Rätselhafter Deutschland-Achter

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Das Verfassungsgericht entscheidet, ob im Herbst neu gewählt wird. Ein Fünfer im Lotto wäre wahrscheinlich leichter zu tippen, als das Abstimmungsergebnis der Richter des Zweiten Senats - sie sind in ihren Entscheidungen ziemlich unberechenbar.

Helmut Kerscher

Alle wollen nur das eine wissen: Wie entscheidet das Verfassungsgericht die Causa Neuwahl? Es ist wahrscheinlich leichter, einen Fünfer im Lotto zu tippen, als das präzise Abstimmungsergebnis der acht Mitglieder des Zweiten Senats vorherzusagen.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts. Geklagt gegen die Auflösung des Parlaments haben die Abgeordneten Werner Schulz (Grüne) und Jelena Hoffmann (SPD). (Foto: Foto: ddp)

Auch die Richter dürften noch nicht viel mehr wissen als der Rest des Volkes, in dessen Namen sie urteilen werden. Denn der "Deutschland-Achter", wie man den Senat wegen seiner aktuellen Bedeutung nennen könnte, hat sich am Montag - wie es heißt - erstmals gemeinsam mit dem Thema befasst und eine Vorstellung von den Positionen gewonnen.

Die haben in solch einem außergewöhnlichen Prozess zwischen Recht und Politik vermutlich wenig mit der weltanschaulichen Orientierung der zwei Richterinnen und sechs Richter zu tun.

Das Links-Rechts-Schema bietet ohnehin bei Entscheidungen gerade dieses unberechenbaren Senats nur geringe Hilfe für eine Vorhersage. Fest steht nur, dass je vier Mitglieder von den beiden großen Parteien vorgeschlagen und mit Zwei-Drittel-Mehrheiten des Bundestags oder des Bundesrats gewählt wurden.

Auf Vorschlag der Union kamen nach Karlsruhe: der dienstälteste Richter Hans-Joachim Jentsch, Siegfried Broß, Udo Di Fabio und Rudolf Mellinghoff; Jentsch und Mellinghoff sind CDU-Mitglieder.

Auf dem "SPD-Ticket" fuhren: Gerichtsvize Winfried Hassemer, Lerke Osterloh, Gertrude Lübbe-Wolff und Michael Gerhardt; soweit bekannt, ist niemand von ihnen SPD-Mitglied. Kraft Amtes haben erst einmal zwei Männer das Sagen: der Senatsvorsitzende Winfried Hassemer und der Berichterstatter Udo Di Fabio.

Der 65 Jahre alte Hassemer leitet die internen Beratungen und die mündliche Verhandlung. Bei öffentlichen Auftritten dieser Art zeigte er sich stets als glänzender Moderator, der die Beteiligten humorvoll durch die Wirren eines kampfbetonten Rechtsgesprächs führte.

Hassemer, der seit 1973 einen Lehrstuhl an der Universität Frankfurt hat, ist als liberaler Strafrechtler bekannt geworden. Der frühere hessische Datenschutzbeauftragte war bei Entscheidungen sowohl auf der Seite der eher konservativen als auch der eher sozial-liberalen Senatsmitglieder zu finden.

Sein Kollege Di Fabio fiel bei gespaltenen Abstimmungen bisher noch nicht durch Sondervoten mit von der SPD vorgeschlagenen Gerichtsmitgliedern auf. Der 51-jährige Star der als konservativ geltenden Hälfte des Senats war gelegentlich, etwa im Kopftuch-Streit, mit seinen Kollegen Jentsch und Mellinghoff in der Minderheit.

Zumeist gehörte der eloquente und effektive Professor zur Mehrheit, insbesondere bei Verfahren unter seiner Zuständigkeit.

Richter Jentsch, der in diesem Jahr nach seinem 68. Geburtstag am 20. September ausscheiden wird, hat sich, soweit ersichtlich, als einziger öffentlich zur Neuwahl geäußert. Der sonst zurückhaltende Rechtsanwalt und frühere CDU-Politiker kritisierte Anfang Juli den "Druck" auf Bundespräsident Horst Köhler als "skandalös".

Der könne, schrieb Jentsch damals, "auch zu der Überzeugung kommen, dass der gewählte Bundestag durchaus noch in der Lage ist, eine handlungsfähige Regierung zu tragen".

Sein kommunikativer Kollege Mellinghoff ist einer der drei Bundesrichter, die jedem Senat angehören. Der 50 Jahre alte Spezialist für Steuerrecht, der intern für das Strafvollstreckungsrecht und das Kommunalrecht zuständig ist, kam vom Bundesfinanzhof. Er soll künftig auch das Parlamentsrecht bearbeiten, das derzeit bei Di Fabio angesiedelt ist.

Auch Siegfried Broß war früher Bundesrichter, nämlich Zivilrichter am Bundesgerichtshof. Der 59-jährige Schwabe mit einem beruflichen Werdegang in Bayern fiel mehrmals durch prononciert sozialstaatliche sowie EU-skeptische Äußerungen auf. Er stimmte auffallend oft gegen seine - von der Union vorgeschlagenen - Kollegen.

Die 60-jährige Lerke Osterloh gehört zu den wenigen Gerichtsmitgliedern, die auch in Karlsruhe in ihrem Spezialgebiet arbeiten dürfen, nämlich dem Finanz- und Steuerrecht. Sie schrieb gelegentlich "abweichende Meinungen" gegen konservativ geprägte Entscheidungen.

Noch häufiger tat dies ihre Kollegin Gertrude Lübbe-Wolff. Die 52-jährige Professorin ist eine vielseitige Wissenschaftlerin, die im Jahr 2000 den renommierten Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft bekam.

Der frühere Bundesverwaltungsrichter Gerhardt schrieb in seiner zweijährigen Amtszeit schon mehrere "Sondervoten" mit pointiert liberalem Profil. Der 57-Jährige stammt aus der bayerischen Verwaltung und Justiz, hat aber kaum noch Verbindungen zu seiner Heimat.

© SZ vom 9.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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