Verfassungsgericht:Kollektive Ruhelosigkeit

Warum der Karlsruher Spruch zum Karfreitag befremdlich ist.

Von Matthias Drobinski

In Deutschland gibt es, ausgerechnet in einer Zeit der vielfältig bedrohten Freiheit, eine merkwürdige Banalisierung des Freiheitsbegriffs: Freiheit ist, an 365 Tagen im Jahr Party machen zu können. Freiheit ist, jederzeit in einem Geschäft einkaufen gehen zu können, gerne noch am Karfreitag, wenn man nicht gerade zum Tanz beim Bund für Geistesfreiheit muss. Für diese Freiheit also wird gekämpft, bis hin zum Bundesverfassungsgericht.

Was die tapferen Kämpfer übersehen: Es geht schon lange nicht mehr um den Anspruch der Kirchen, den Leuten vorzuschreiben, wann sie stille sein sollen; das funktioniert, zum Glück, nicht mehr. Es geht um das Pausenlose des öffentlich sichtbaren Konsums und ums Verschwinden der kollektiven freien Zeit. Es sind Schutzbereiche des Gemeinsamen, welche die Feiertage bieten, Auszeitangebote gegen die totale Vertaktung des Lebens. Sie sind bedroht, diese Auszeiten, nicht durch höllenpredigende Pfarrer, sondern durch die kollektive Ruhelosigkeit.

Zu Recht betonen nun die Verfassungsrichter den Wert dieser kollektiven freien Zeit; es erstaunt eher, dass sie diesen Wert einschränken, wenn die Party am Karfreitag gewissermaßen ein Gegenbekenntnis zu den betenden Christen ist. Nein, die Freiheit leidet nicht, wenn das Geschäft und das öffentliche Vergnügen mal Pause machen. Und wer will, kann privat tanzen, bis die Sohle qualmt.

© SZ vom 01.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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