Verdi-Bundeskongress:Bsirske, wer sonst

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Frank Bsirske strebt in Leipzig seine fünfte Amtszeit an. (Foto: Maja Hitij/dpa)

Schlechtes Timing: Der Kita-Großkonflikt schwelt immer noch, und nun stellt sich Gewerkschaftschef Frank Bsirke in Leipzig zur Wiederwahl für eine fünfte Amtszeit. Ihm drohen unangenehme Debatten - und Fragen nach seinem Alter.

Von Detlef Esslinger, München

Alle vier Jahre veranstaltet jede Gewerkschaft ihren Bundeskongress, und dazu gibt es zwei Grundregeln: Erstens darf es in der Zeit keinen schwelenden Tarifkonflikt geben, der alles überlagert und zur Folge hätte, dass es nur für eine Berufsgruppe oder Branche dort Aufmerksamkeit gibt. Zweitens nimmt der oder die Vorsitzende vorher gern die Gelegenheit wahr, in ein paar großen Interviews die Delegierten einzustimmen auf die Messe, die ihnen gelesen wird. Am Sonntag beginnt in Leipzig der Bundeskongress von Verdi. Die Situation ist folgende: Es schwelt der Großkonflikt um den Kita-Tarifvertrag. Und der Vorsitzende Frank Bsirske war auf Vorab-Interviews alles andere als erpicht.

Er wird auch nicht damit rechnen, dass der siebentägige Kongress als Messfeier verlaufen wird. Das dominierende Gefühl davor in der Berliner Bundesverwaltung, aber auch in den Außenstellen ist: Nervösität. Bsirske verweist auf Terminprobleme, weshalb er sich vor dem Kongress nur in der DGB-Zeitschrift Einblick und in der Leipziger Lokalpresse geäußert hat. Wahr daran ist: Der Mann hatte in den vergangenen Monaten überreichlich zu tun. Vor allem der Kita- und zwischendurch der Post-Konflikt sowie die Aufsichtsratsmandate bei RWE und Deutscher Bank banden ungewöhnlich viel Zeit. Wahr ist aber auch, dass er mit öffentlichen Erklärungen diesmal nicht viel hätte gewinnen können. Schon das DGB-Blatt Einblick kam nicht umhin, wenigstens eine Frage zum Kita-Konflikt zu stellen. Er gab zur Antwort, auf den von den Mitgliedern abgelehnten Schlichtungsspruch anspielend: "In der Tat hatten wir das Ergebnis für anschlussfähiger gehalten, als es dann tatsächlich war." Andere Medien hätten noch viel ausführlicher auf dem Kita-Konflikt herumgeritten, und auch auf dem bei der Post. Die Gemeinsamkeit zwischen beiden Auseinandersetzungen ist, dass Verdi dort Ziele verfolgt (respektive verfolgte), die kaum zu erreichen waren: ein zehnprozentiges Plus bei den Erziehern; ein Einwirken auf die Art, wie die Deutsche Post ihren Konzern organisiert.

"Mangelhaftes Erwartungsmanagement und fehlende Ausstiegsstrategien bei erfolglosen Endlosstreiks" wirft Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) dem Verdi-Chef vor. Es wird Bsirske nicht groß interessieren, wie ein IW-Vertreter ihn kommentiert. Bemerkenswert ist die Kritik trotzdem - weil sie nahezu wortgleich ist mit dem, was man aus anderen DGB-Gewerkschaften hört. Nur mit dem Unterschied, dass sich die Kollegen dort natürlich keinesfalls zitieren lassen. Aus Bsirskes Sicht war es folglich wohl das Beste, was er vor dem Kongress tun konnte: sich öffentlich zurückhalten, um gar nicht erst in eine Lage zu kommen, in der er vorwiegend Selbstverteidigung hätte betreiben müssen. Lieber auf dem Kongress mit - wie immer - selbst geschriebenen Reden versuchen, die Debatte zu steuern, dem Gegrummel offensiv zu begegnen.

In Leipzig strebt Bsirske die Wiederwahl an, die fünfte Amtszeit. Seit Verdi 2001 als Zusammenschluss von fünf Gewerkschaften entstand, gab es nie einen anderen Vorsitzenden als ihn. Nach den ungeschriebenen, aber bei jeder Gelegenheit ausgesprochenen Gesetzen der DGB-Gewerkschaften ist diese Wiederwahl eigentlich ein Unding. Denn Frank Bsirske wird zum Ende der neuen Amtszeit 67 Jahre alt sein, und beim DGB ist sonst immer und überall mit 65 Schluss. "Ich habe noch eine Menge vor", hat er zu Jahresbeginn im SWR gesagt, "und fühle mich fit". Einen Nachfolger, der die 1000-Berufe-Organisation Verdi zusammenhalten könnte, hat er bisher nicht aufgebaut. Schon mangels Alternative gibt es an der Wiederwahl keinen Zweifel. Wohl aber daran, dass Bsirske nochmals ein Ergebnis wie 2011 erzielen wird. Damals kam er auf 94,7 Prozent.

© SZ vom 19.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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