USA:Unter der Herrschaft des Herrn

Lesezeit: 4 min

Die religiöse Rechte in den Vereinigten Staaten: Der Triumph George Bushs offenbart, wie stark christliche Gruppen das politische Verständnis in Amerika prägen.

Von Clemens Markus

Am Anfang steht das Gebet. Justitia mag blind sein, gottlos ist sie deswegen in der Welt von Professor Jeffrey C. Tuomala noch lange nicht. Und so lässt der Professor seine Studenten zu Beginn der Vorlesung in Zivilrecht an der Liberty University in Lynchburg, Virginia, beten.

Schließlich beginnt auch der Arbeitstag von Amerikas oberstem Gesetzeshüter, Justizminister John Ashcroft, im Kreis seiner engsten Mitarbeiter mit einer Zwiesprache mit dem Allmächtigen. "Das Gesetz des Herrn ist vollkommen, es erquickt die Seele", zitiert Tuomala aus Psalm 19. "Das Zeugnis des Herrn ist gewiss und macht die Unverständigen weise." Das treffe auf Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes der USA nicht zu, glaubt der Professor.

Professor Tuomala unterrichtet den ersten Jahrgang in Lynchburg nach der Gründung der juristischen Fakultät. Das Institut - vorerst notdürftig untergebracht in einer früheren Mobiltelefon-Fabrik - mag neu sein, der Gedanke, der ihm zugrunde liegt, ist es nicht. Die Universität, ins Leben gerufen von dem dogmatischen Fernseh-Prediger Jerry Falwell, soll nach eigener Auskunft "Ministers of Justice" ("Pastoren der Gerechtigkeit") ausbilden oder, wie es die New York Times formulierte, einen religiösen Blickwinkel auf die Gesetze ermöglichen und der Rechtspraxis eine moralische Komponente geben.

Ein alter Plan

Genauer gesagt, ist es ein weiterer, seit langem verfolgter Plan der religiösen Rechten, ihre fundamental-christlichen Vorstellungen als Grundlage juristischer und politischer Entscheidungen in den Vereinigten Staaten zu etablieren.

Die New York Times glaubt, dass es sich dabei um einen landesweiten Trend handelt. Dass die Zeitung damit nicht falsch liegt, belegen Umfragen. Nach der Präsidentenwahl am 2. November gaben mehr als ein Fünftel der Wähler an - das entspricht etwa 25 Millionen Amerikanern - "moralische Werte" hätten den Ausschlag für ihre Entscheidung gegeben.

Davon wiederum stimmten 80 Prozent für Präsident George Bush. Dass es sich hierbei nicht um eine Momentaufnahme handelt, sondern um eine sich seit langem abzeichnende Entwicklung, zeigt eine weitere Erhebung des Gallup-Instituts: War in den sechziger Jahren noch die Mehrheit der Amerikaner der Meinung, Kirchen sollten nicht in die Politik einbezogen werden, so stößt sich heute mehr als die Hälfte der Befragten nicht mehr daran.

Absolute Gültigkeit der Heiligen Schrift

Eigentlich ist das nur konsequent in einem Land, in dem sich laut Umfragen fast die Hälfte der Menschen wie Präsident Bush, nominell ein Methodist, als evangelikale Christen bezeichnen, welche mehr oder minder radikal Abtreibungen, Homo-Ehe und die Evolutionstheorie ablehnen.

Gemeinsame Basis der Evangelikalen ist die absolute Gültigkeit der Heiligen Schrift sowie der Glaube an die unbefleckte Empfängnis, den Sühnetod Jesu Christi am Kreuz, die leibhaftige Auferstehung und die Wiederkehr des Messias zum jüngsten Gericht.

"Das sind die fünf Fundamentals", sagt der deutsche Theologe und Buchautor Geiko Müller-Fahrenholz, der viele Jahre in den USA gelebt hat. Diese konservative Schule des Protestantismus sei im 19. Jahrhundert kirchenbildend gewesen in Amerika, vor allem im so genannten Bible Belt, den Südstaaten. Müller-Fahrenholz schätzt, dass etwa 30 Prozent der Evangelikalen dem liberalen Spektrum angehören, der Rest ist konservativ, mithin fundamentalistisch.

Allerdings: Amerikas christliche Fundamentalisten sind keine homogene Gruppe. Es gibt keine Organisation der Kirchen auf nationaler Ebene, welche Glaubenslehre und Lithurgie vorschreibt. Die einzelnen Gemeinden genießen weitgehende Freiheiten.

Die einen heißen technologischen Fortschritt gut, wollen gleichzeitig aber rigide bibeltreue Moralvorstellungen in der Gesellschaft umsetzen und bekämpfen deshalb Abtreibung und Homo-Ehe. Eine andere Gruppe sind die so genannten Kreationisten: Sie nehmen die Schöpfungsgeschichte wörtlich und wollen deshalb zum Beispiel auch den Schulunterricht von vermeintlich Gottlosem befreien.

Auf lokaler Ebene ist ihnen das bereits gelungen und es wurden Schulbücher geändert: In ihnen findet sich Charles Darwins Evolutionslehre nur noch als eine mögliche Theorie neben der biblischen Schöpfungsgeschichte wieder. Eine weitere einflussreiche Untergruppe sind die "Reconstructionists", die das weltliche durch ein biblisches Recht ersetzen wollen.

Nur Gläubige und Reuige werden errettet

Genaue Zahlen über die Stärke der einzelnen Kirchen und Glaubensgemeinschaften in den USA gibt es nicht, weil die Religionszugehörigkeit bei den Volkszählungen nicht abgefragt wird. Dass es sich bei dem christlichen Fundamentalismus in Amerika um ein Massenphänomen handelt, lässt sich zum Beispiel am Erfolg der Buchserie "Left Behind" ablesen. Das Werk von Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins stützt sich auf die Offenbarungen und beschreibt die letzten Tage der Menschheit.

Der Leser durchlebt die sieben schrecklichen Jahre, ehe Jesus auf die Erde zurückkehrt, um in Armageddon die letzte Schlacht gegen den Antichristen zu schlagen. Während natürlich die Gläubigen und Reuigen errettet werden, droht dem Rest die ewige Verdammnis.

Passenderweise muss für die Rolle des Fürsten der Finsternis ein Europäer herhalten, der in Babylon residierende UN-Generalsekretär. Seit Erscheinen des ersten von zwölf Bänden im Jahr 1995 wurden 60 Millionen Exemplare verkauft - die Kinderversion und die Filmauflage nicht mitgerechnet. Hauptabnehmer sind Frauen mittleren Alters im Süden und Mittleren Westen Amerikas sowie im Irak stationierte Soldaten.

Doch wer diese Bücher als krude Weltuntergangsphantasien christlicher Spinner abtun will, der verkennt die Realität. Die Endzeitvisionen amerikanischer Evangelikaler haben längst ihren zynischen Niederschlag in der realen Politik gefunden. 30 bis 50 Millionen US-Bürger, so schätzt Müller-Fahrenholz, glauben, dass die letzten Tage der Menschheit bereits angebrochen sind.

Einen Beleg dafür sehen viele in der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948. Denn erst wenn die Juden das Heilige Land wieder in Besitz genommen haben, kann laut Prophezeiung Christus auf die Erde zurückkehren. Genau darin sehen viele Experten einen Grund für die Unterstützung Washingtons für den rigorosen Kurs Israels gegenüber den Palästinensern: Die Evangelikalen können so bei Laune gehalten werden. Die Glaubenswelt der Fundamentalisten freilich sieht am Ende für die wenigsten Juden einen Platz im Himmelreich vor.

Eiferer vor der Kamera

Nicht minder auffällig ist der hohe Organisationsgrad der christlichen Rechten, der es ihr ermöglicht, aktiv in die Politik einzugreifen. Ein Heer von Lobbygruppen wie "Focus on the Family", "Family Research Council", "Every Home for Christ" oder "Traditional Values Coalition" trommeln in den USA für die rechte Sache.

Vor der Präsidentenwahl verschickte die einst von dem Pfarrer und Fernseh-Eiferer Pat Robertson geführte "Christian Coalition" Millionen E-Mails mit Wahlempfehlungen zugunsten Bushs. Dieselbe Organisation bewertet alle Kongressabgeordneten regelmäßig aufgrund ihrer Einstellung zu fundamentalistischen Schlüsselfragen wie Abtreibung oder Homo-Ehe.

Daneben können die Lobbyisten der christlichen Sache aber auch auf eigene Fernseh- und Radiostationen sowie Verlagsimperien zurückgreifen, um ihre Botschaften unter ein Millionenpublikum zu bringen. Der telegene Pfarrer James Dobson führte unlängst vor, dass seine Glaubensbrüder auch keine Scheu haben, ihre Forderungen offensiv zu formulieren. Der Präsident und die Republikanische Partei "haben zwei Jahre, um unsere Politik umzusetzen", andernfalls "müssen sie bei der nächsten Wahl den Preis bezahlen", sagte Dobson.

© SZ vom 26.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: