USA: Supreme Court:"Antithese einer Richterin"

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Sie wäre die erste Latina am Supreme Court: Die Republikaner sind gegen Sonia Sotomayor, wissen aber noch nicht, wie sie mit Obamas Kandidatin für das Oberste Gericht umgehen sollen.

Moritz Koch, New York

Hineingeboren in ein Minderheitenmilieu, aufgewachsen in einem Sozialbau, erzogen von einer alleinerziehenden Mutter - ihr Schicksal schien vorgezeichnet. Irgendwo zwischen Unterschicht und Mittelklasse hätte es sie hinführen sollen, nach aller Wahrscheinlichkeit.

Sonia Sotomayor (Foto: Foto: Reuters)

Aber Sonia Sotomayor entkam ihrer Herkunft, dem sozialen Brennpunkt in der New Yorker Bronx. Mit Fleiß, Begabung und Ehrgeiz arbeitete sie sich empor. Sie wurde ausgebildet an den Kaderschmieden der weißen Elite, machte als Anwältin Karriere, bekleidete angesehene Richterposten.

Nun wurde sie ausgewählt für eines der würdevollsten Ämter Amerikas. Sotomayor soll die Verfassung hüten. Präsident Barack Obama nominierte die 54-jahrige Latina am Dienstag für den freiwerdenden Posten am Supreme Court, dem Obersten Gericht der USA.

Der Lebensweg seiner Kandidatin und sein eigener Werdegang könnten kaum ähnlicher sein. Auch er, das schwarze Kind einer alleinerziehenden Weißen, gab sich nicht mit dem zufrieden, was er von seinem Leben realistischerweise erwarten konnte.

Ausreißer in der Sozialstatistik verleihen dem Ideal der amerikanischen Leistungsgesellschaft seine Strahlkraft. Ehrfrucht, nicht Neid, nicht Missgunst, erfüllt die meisten Amerikaner, wenn sie von Aufsteigern hören. Und so schien es fast, als habe die Nominierung Sotomayors selbst Rush Limbaugh die Sprache verschlagen.

"Ihre Geschichte ist sehr inspirierend"

Kaum hatte der heimliche Oppositionschef Amerikas von der Entscheidung des Präsidenten erfahren, raunte er in seiner Radioshow: "Meine Damen und Herren, ihre Geschichte ist sehr inspirierend." Damit wählte Limbaugh fast die gleichen Worte, die Obama fand, als er im Weißen Haus vor die Kameras trat und seine Kandidatin anpries.

Doch natürlich hielt der Wortführer der Erzkonservativen mit seiner wahren Meinung über Sotomayor nicht lange zurück. "Eine fürchterliche Wahl" sei sie, "die Antithese einer Richterin". Limbaugh will die Republikaner zum Widerstand mobilisieren, nicht wegen Sotomayors Herkunft, versichert er, sondern wegen ihrer Weltanschauung.

Und ja, einige Äußerungen von Sotomayor bergen Empörungspotential, jedenfalls für rechte Zuhörer. Mit der richterlichen Selbstbeschränkung etwa, die die Konservativen schätzen, nimmt es die Kandidatin nicht so genau. "An einem Berufungsgericht wird Politik gemacht", hat sie vor einigen Jahren behauptet und dann gescherzt: "Ich weiß, das wird auf Band aufgenommen, und ich sollte es nie sagen."

Zentrales Schlachtfeld im amerikanischen Kulturkampf

Schon lange werfen die Konservativen liberalen Richtern vor, dem Land ihre Werteordnung aufzwängen zu wollen, sei es bei der Homo-Ehe oder der Einschränkung des Waffenrechts. Der Supreme Court ist somit ein zentrales Schlachtfeld im amerikanischen Kulturkampf.

Einige von Sotomayors Urteilen sind in den Augen ihrer Kritiker nicht minder kontrovers. So entschied sie mit, dass die Stadt New Haven einen Test für Feuerwehrleute ignorieren durfte. Diesen hatten nur weiße Bewerber bestanden, keine Schwarzen. Weiße, die sich durch die Nichtbeachtung ihres Qualifikationsbeweises benachteiligt fühlten, protestierten. Nun soll der Fall vor dem Obersten Gericht verhandelt werden.

Und auch dieses Zitat dürfte den Republikanern nicht schmecken: "Ich würde hoffen, dass eine weise Latina mit ihrer reichen Lebenserfahrung häufig zu einem besseren Urteil kommt als ein weißer Mann, der dieses Leben nicht gelebt hat", sagte Sotomayor 2002 in einem Vortrag.

"Sie ist eine liberale Aktivistin, der ihre politische Agenda wichtiger ist als das Gesetz", polterte das rechte Judicial Confirmation Network. Dennoch wagten es die republikanischen Senatoren am Dienstag nicht, den Angriffen auf Sotomayor zu folgen. Sie wollen die Anhörungen im Senat abwarten, wo die Kandidatin bestätigt werden muss.

Die zweite Frau am Obersten Gericht - und die erste Latina

Es gilt den Anschein einer Vorverurteilung zu vermeiden. Denn Sotomayor wäre die erste Angehörige der Spanisch sprechenden Minderheit am Obersten Gericht und obendrein nur die zweite amtierende Frau. Auch die rechten Senatoren wissen: Entsteht der Eindruck, sie wurden Sotomayor ablehnen, weil sie eine Latina ist, wäre ein enormer Schaden angerichtet. Die Republikaner würden weiter zur Partei der weißen Männer schrumpfen, mehrheitsfähig nur im Bible Belt der Südstaaten.

Ohnehin verschiebt sich die Machtbalance im Supreme Court nicht. Sotomayor soll auf David Souter folgen. Der wurde zwar vom Republikaner George Bush Senior auserwählt, stimmte aber in der Regel mit seinen liberal gesinnten Kollegen. Es bleibt dabei: Vier Konservative stehen vier liberalen Richtern gegenüber, dazu gibt es einen moderaten. Und selbst wenn die Personalie Sotomayor zum Streitfall wird: Die Macht der Opposition ist begrenzt. Obamas demokratische Parteifreunde könnten republikanische Blockadeversuche mit ihrer überwältigenden Parlamentsmehrheit brechen.

Trotzdem könnte es dem Scharfmacher Limbaugh gelingen, die Opposition auf seine Linie zu bringen. Schon oft hat er die Partei gelenkt. Selbst Parteichef Michael Steele hielt dem Machtkampf mit Limbaugh nicht stand. Er musste sich entschuldigen, weil er es gewagt hatte, Rush Limbaugh einen Entertainer zu nennen.

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