US-Wahlkampf:Gottes Welt im Oval Office

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Jeder Vierte der US-Wähler gehört den Evangelikalen an. Sie werden die Präsidentschaftswahl entscheidend beeinflussen - aber zu wessen Gunsten?

Julia Troesser

Der Pastor war ein hartleibiger Moderator. Mit seinen Fragen bohrte er in die Inzenierungsfassaden der beiden amerikanischen Spitzenpolitiker neben ihm. Rick Warren wollte genau wissen, wie es die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten und Republikaner mit Liebe, Glaube, Hoffnung halten.

McCain und Obama mit Pastor Rick Warren. Mit ihren Auftritten wollten sie Evangelikaner für sich gewinnen. (Foto: Foto: ap)

Barack Obama und John McCain mühten sich an diesem Augusttag vor den Fernsehkameras und den Gläubigen in der kalifornischen Saddleback-Church um Festigkeit - schließlich ist Pastor Warren derzeit der Held der Evangelikalen in den USA. Und diese strenggläubige Gruppe ist enorm wichtig für den Ausgang der Präsidentschaftswahl am 4. November.

Die beiden Kontrahenten Obama und McCain eint, bei allen Bemühungen um die konservative Klientel, ein Problem: Der Favorit der Evangelikalen war ein anderer gewesen, der fundamentalistische Republikaner Mike Huckabee. Seit dieser aus dem Rennen ums Präsidentenamt ausgeschieden ist, hat sich die christliche Bewegung nicht geschlossen zu einem der Kandidaten bekannt.

Zwar stimmen in aktuellen Umfragen etwa zwei Drittel der Evangelikalen für McCain, ihre Loyalität gegenüber den Republikanern hat in den letzten Jahrzehnten jedoch stark nachgelassen.

Traditionelle Werte verteidigen

Im Mittelpunkt des Evangelikalismus steht die Auffassung, dass jeder Mensch ein Bedürfnis nach geistlicher Wiedergeburt und nach einer persönlichen Bindung an Jesus Christus hat. Die Evangelikalen zeichnen sich durch starke Bibeltreue aus, sie betrachten das Buch Gottes als unfehlbar und als Richtschnur für Glauben und moralische Werte.

Besonders die traditionellen Mitglieder der Glaubensbewegung lehnen sozialreformerische Ideen ab. Sie wollen klassische Werte gegen die Moderne und den Liberalismus verteidigen, dazu zählt auch die Ablehnung von Abtreibung und homosexuellen Beziehungen. Diese konservative Einstellung führte dazu, dass Evangelikale in ihrer Geschichte häufig mit Republikanern sympathisierten.

So konnte George W. Bush bei seinen Wahlsiegen vor acht und vier Jahren von der Unterstützung der Evangelikalen profitieren: Im Jahr 2004 stimmten knapp 80 Prozent der Mitglieder für den Republikaner. Auch Ronald Reagan konnte einst mit seiner klaren Haltung gegen das Recht auf Abtreibung die Stimmen der Evangelikaler für sich gewinnen.

Der Schutz von ungeborenen Embryonen ist im Evangelikalismus seit jeher von großer Wichtigkeit und trug vor 35 Jahren dazu bei, dass sich die religiöse Bewegung erstmals auf politisches Terrain und auf die Seite der Republikaner begab.

Wandel der Prioritäten

Als der Oberste Gerichtshof 1973 das "Roe gegen Wade"-Urteil sprach, das amerikanischen Frauen faktisch ein Recht auf Abtreibung zusprach, sahen die Evangelikalen die christlichen Werte der US-amerikanischen Gesellschaftsordnung in Gefahr. Und so unterstützten sie fortan Politiker, die sich im Wahlkampf gegen die Abtreibung aussprachen. Im "Oval Office" des Präsidenten in Washington kann nach Überzeugung der Fundamentalisten nur ein streng Gottgläubiger sitzen - oder zumindest einer, der sich so gibt.

Bei einer Umfrage im Jahr 2004 gaben 93 Prozent der Evangelikalen außerdem an, dass es für die Vereinigten Staaten "außerordentlich oder sehr wichtig" sei, eine starke Militärmacht zu sein. 74 Prozent der Befragten glaubten, dass vorbeugende Militärschläge gerechtfertigt seien.

Zu dieser Zeit hätte McCain die Stimmen der Evangelikalen vermutlich sicher gehabt. Doch die Prioritäten der Glaubensbewegung haben sich seitdem verschoben: Nächstenliebe, die Hilfe für Bedürftige und der Schutz der Umwelt - "Gottes Welt" - sind ins Zentrum des Interesses gerückt.

Diese veränderte Sichtweise machte sich politisch bemerkbar: Bei den Kongresswahlen im Jahr 2006 stimmten 41 Prozent der Evangelikalen für die Demokraten. Laut einer CBS-Umfrage im Folgejahr gaben 24 Prozent der Evangelikalen an, dass sich die Demokraten ihrer zentralen Anliegen annähmen. Von den Republikanern sagten das nur 10 Prozent.

Trotzdem hat McCain derzeit 61 Prozent der weißen Evangelikaler hinter sich, für Obama würden nur 25 Prozent stimmen. Das evangelikanische Lager ist gespalten.

Kein Kandidat ist fundamentalistisch genug

Für wen die Gläubigen am Ende stimmen werden, hänge vor allem von den vorherrschenden Wahlkampfthemen ab, glaubt Christian Lammert vom Zentrum für Nordamerika-Forschung der Goethe Universität Frankfurt am Main: "Wenn der Wahlkampf von Wertedebatten und moralischen Themen dominiert wird, können die Evangelikalen das Ergebnis stark beeinflussen" - vermutlich zu Gunsten McCains, der eher den Vorstellungen der Gläubigen entspricht als sein Kontrahent.

Sollten in den nächsten Monaten jedoch wirtschaftliche Themen im Vordergrund stehen, könnten die Evangelikalen nicht mehr als ein Wählerblock angesehen werden, da die Gruppe in diesem Bereich heterogene Ansichten vertrete, sagt Lammert.

Er prognostiziert in diesem Jahr viele Enthaltungen bei den konservativ-gläubigen Wählern, da "weder Obama noch McCain fundamentalistisch genug sind, um den Werten des Evangelikalismus zu entsprechen".

Der USA-Experte geht davon aus, dass die Kandidaten bis zum 4. November weiter versuchen werden, bei den Evangelikalen zu punkten - ohne dabei zu weit von ihren eigentlichen Werten abzurücken. "Besonders für Obama kann das ein schwieriger Spagat werden."

Vielleicht wird ja wieder Pfarrer Rick Warren ein Machtwort sprechen müssen.

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