US-Wahlkampf: Barack Obama:Anrennen gegen die Angst

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In Ohio haben Zigtausende wegen Bushs Politik ihre Jobs verloren - doch der subtile Rassismus erschwert Obamas Wahlkampf.

Reymer Klüver, Columbus

Joe ist ein drahtiger Kerl, ein zäher Mann, ein Kämpfer. Zügig schreitet er in der milden Herbstsonne voran, immer am Rand der holprigen Asphaltpiste entlang, die schweren Kohle-Trucks fest im Blick, die ihm ab und zu entgegenrumpeln.

Barack Obama bei einer Wahlveranstaltung in Columbus, Ohio. (Foto: Foto: AP)

Zwanzig Meilen will er an diesem Tag schaffen, gut dreißig Kilometer, meist in Sichtweite des träge dahingleitenden Ohio. Vorbei an den Werkstoren von nicht weniger als fünf Stahlschmieden, die in den vergangenen Monaten und Jahren Mitarbeiter zu Tausenden entlassen haben.

Ohio rettete Bush die Wahl

Joe Rugola, 58 Jahre alt, weißer Schnauzbart, weiße Haare, weiße Baseballkappe, ist AFL-CIO-Präsident, ein mächtiger Gewerkschaftsboss im US-Bundesstaat Ohio.

Er ist unterwegs, um seinen "Brüdern und Schwestern", wie Amerikas Gewerkschafter sich anreden, überhaupt allen Arbeitnehmern in Ohio ins Gewissen zu reden: "Wenn Sie für John McCain stimmen, bekommen Sie nur noch mehr dessen, was Sie ohnehin schon im Übermaß haben", sagt er druckreif, ohne seinen Schritt auch nur einen Deut zu verlangsamen, "mehr Betriebe, die dichtmachen, mehr Arbeitsplätze, die verlorengehen, mehr Familien ohne Auskommen und Hoffnung."

Joe gibt den Republikanern die Schuld an der Wirtschaftsmisere in Ohio. Deshalb macht er eine Wandertour für Barack Obama, sein Beitrag zum Wahlkampf.

Ohio hat bei den beiden vorangegangenen Präsidentschaftswahlen den Ausschlag gegeben. Jeweils knapp gewann George W. Bush den Bundesstaat im Nordosten der USA und zog deshalb ins Weiße Haus ein. Auch diesmal ist es eng in Ohio.

Barack Obama und John McCain ringen heftig um den nach Florida größten der umkämpften Staaten. Die Strategen sind sich einig: McCain muss Ohio gewinnen, sonst kommt er nicht ins Weiße Haus. Obama könnte es indes auch so schaffen, sich die Mehrheit von 270 Stimmen im Wahlmännerkolleg zu sichern - ohne die 20 Stimmen aus Ohio.

Tatsächlich wählen die Amerikaner ihren Präsidenten nicht direkt. Das macht vielmehr das Wahlmännergremium. Bei der Wahl am 4. November wird im eigentlichen Sinn nur die Mehrheit in diesem Zirkel von 538 Elektoren bestimmt.

Dem Kandidaten, der in einem Bundesstaat die Mehrheit erlangt, werden die Wahlmännerstimmen des Staats zugeschlagen. Seit dem Bürgerkrieg ist es erst zwei Präsidenten gelungen, das Amt zu erlangen, ohne Ohio für sich gewonnen zu haben: Franklin D. Roosevelt und John F. Kennedy. Beide waren Demokraten.

Auf der nächsten Seite: Ohio bekam wie kein anderer Staat die Globalisierungspolitik von George W. Bush zu spüren

Ohio hat wie kaum ein anderer Bundesstaat die Folgen der Globalisierungspolitik der Bush-Regierung zu spüren bekommen. Und erst recht leidet der Staat, seitdem die Konjunktur einbricht. Es sind verheerende Daten. Nur ein paar Beispiele: 200.000 Arbeitsplätze in der Industrie sind hier verlorengegangen in den acht Jahren unter George W. Bush, meist in Autozulieferbetrieben und der metallverarbeitenden Industrie. 1100 Betriebe haben geschlossen; viele Firmen haben ihre Produktion nach Mexiko verlagert oder nach China.

Arbeitslosigkeit ohne Einfluss aufs Stimmverhalten

Die Arbeitslosenquote liegt bei 7,2 Prozent, die zweithöchste unter allen 50 Bundesstaaten. Knapp ein Drittel aller Schulkinder erhält inzwischen Zuschüsse zum Schulessen oder bekommt es ganz umsonst, weil ihre Eltern unter der Armutsgrenze leben. 1,3 Millionen Menschen in Ohio haben keine Krankenversicherung, fast ein Zehntel der Bevölkerung. Und doch: Barack Obama liegt in den Umfragen im Schnitt nicht einmal drei Prozent vor John McCain, dem Kandidaten der Partei des Präsidenten. Der Vorsprung liegt innerhalb der Fehlermarge der Meinungsforscher.

Deshalb ist Joe Rugola unterwegs. Geradeso wie der tragikomische amerikanische Held Forrest Gump im Film zieht der hagere Wandersmann mit der weißen Baseballmütze stoisch seine Bahn, vorbei an Ohios Industrieruinen. "Wir wollen die Nachricht an die Arbeitnehmer-Familien im Land senden", sagt er, "dass wir kämpfen. Und wenn wir dafür ein bisschen gehen müssen, ist das schon okay." Aber Rugola hat noch eine zweite Botschaft: Dass sich Ohios Arbeitnehmer von ihren Interessen leiten lassen sollen - und nicht von ihren Ängsten. Seitdem klar ist, dass Obama für die Demokraten antritt, hat der Gewerkschaftsmann über die Hautfarbe des Kandidaten gesprochen, "ganz direkt", wie er sagt, "mit dem Wissen, dass noch nie ein Afroamerikaner als Präsidentschaftskandidat nominiert, geschweige denn ins Weiße Haus gewählt wurde." Deshalb also ist Joe Rugola auch unterwegs. Er will den weißen Arbeitern in Ohio, den blue collar voters, wie sie in den USA genannt werden, den weißen Wählern im Blaumann, den Rassismus ausreden.

Untergründiger Rassismus

Keiner weiß wirklich, wie sehr der untergründige Rassismus weißer Wähler die Entscheidung am 4. November beeinflussen wird. Alle wissen nur, dass es ihn gibt. Er ist der "800-Pfund-Gorilla" in der Wahlkabine, wie Joe Hallett sich ausdrückt, der Politikchef beim Columbus Dispatch, dem konservativen Lokalblatt. Das eigentliche Thema seien inzwischen zwar eindeutig die wirtschaftlichen Nöte, die Sorgen um den Arbeitsplatz, die Krankenversicherung, die Rente. Es gebe in Ohio unter den Menschen viel "angst", sagt Hallett - die Amerikaner benutzen das deutsche Wort. Aber trotzdem, der Politprofi, der seit drei Jahrzehnten im Geschäft ist, wagt es nicht, eine Prognose abzugeben. Obwohl die Themen die Demokraten eindeutig beflügeln. Obwohl Obama Ohio mit einem Netz von 89 Wahlkampfbüros mit mehr als 300 fest angestellten Wahlhelfern überzogen hat. McCain hat nur 40 Organisatoren. Obwohl allein in der vergangenen Woche 6500 Freiwillige 443000 potentielle Wähler angerufen und an 391.000 Wohnungstüren geklingelt haben. Obwohl Obama auch in Ohio wesentlich mehr Geld für Wahlspots im Fernsehen ausgibt als McCain. Trotz alledem bleibt es eng.

Auf der nächsten Seite: "Ich kann Obama nicht trauen"

"Wir werden nicht alle überzeugen können, ich weiß es", sagt Rugola, "daran gibt es nichts zu deuteln." Er sei aber stolz auf seine Gewerkschafter. In Tausenden Gesprächen habe er festgestellt, "dass sie viel toleranter sind, als viele von uns gedacht haben. Ich bin sicher, dass diesmal die wirtschaftlichen Sorgen stärker sein werden als irgendwelche rassistischen Vorbehalte." Dennoch, gesteht Rugola zu, es werde es genug geben, die für McCain stimmen, nur weil Obama schwarz ist.

So wie vielleicht die drei von der Werkstatt. Orins Werkstatt. Sie liegt direkt an Rugolas Weg in Mingo Junction, einer Kleinstadt am Ohio, die es nur gibt, weil sie hier seit 100 Jahren Stahl produzieren, also eigentlich immer schon. Doch der Gewerkschaftsmann hat nicht die Zeit für ein Schwätzchen in dem niedrigen, dunklen Backsteinschuppen gleich hinter der gewaltigen Stahlschmelze von SeverStal Wheeling. 800 Leute hat SeverStal Mitte des Monats gefeuert. Stahl hat gerade mal wieder schwankende Konjunktur.

Obama in Libyen

Orin Diomedi sitzt hinter seinem Büroschreibtisch, in dessen mittlerer Schublade er stets einen 38er-Revolver mit glänzend silbrigem Lauf verwahrt. Man weiß ja nie in dieser Gegend, wer unangemeldet vorbeischauen könnte, wenn er mal wieder ein Auto für zwei-, drei-, vielleicht auch fünftausend Dollar verkauft. Was selten genug vorkommt dieser Tage. 90 Gebrauchtwagen hat er vergangenes Jahr verhökert. 50 werden es dieses Jahr, wenn er Glück hat. Dominic Chappano ist auch da, der Bürgermeister des Ortes. Und später schaut noch Frank vorbei, der es beim Vornamen belässt. Die drei Alten sind alle Demokraten, ihr Leben lang waren sie es. Und zwei von ihnen, wenn am Ende nicht alle drei, werden diesmal den Republikaner John McCain wählen.

Oh ja, sie haben ihre Gründe. Frank sagt, Obama sei doch mit drei Jahren nach Libyen gegangen, und wer da in den Kindergarten wolle, müsse seine US-Staatsbürgerschaft aufgeben. Es war Indonesien, und Obama kam dort mit sechs in die Grundschule, und Amerikaner ist er trotzdem geblieben. Aber das macht nichts. Frank überzeugen die Fakten nicht: "Ich kann Obama nicht trauen", brummelt der Mann mit dem schmal rasierten, weißen Oberlippenbart.

Und Dom, der Bürgermeister, sagt: "Obama ist nicht qualifiziert genug." Aber wenn selbst Colin Powell, der im Land noch immer hochgeschätzte General und ehemalige Außenminister, ihn für geeigneter hält als McCain? Dom winkt ab. Seine Tochter und sein Schwiegersohn, ein Arzt und die Rechtsanwälte, die er kennt, alle finden, "dass Obama nur sagt, was die Leute hören wollen." Was er wirklich will, sagt Obama nicht. Findet der Bürgermeister. Misstrauen, Unerfahrenheit, fremdländische Herkunft - das sind die neuen Chiffren für das alte Unbehagen an einem schwarzen Kandidaten.

Einzig Orin denkt ein wenig anders. "Er ist kein Dummie", sagt er über Obama. Und McCains Krankengeschichte (er musste sich in den vergangenen 15 Jahren zwei Hautkrebsoperationen unterziehen) mache ihm Angst. "Mit der Frau als Nachfolgerin kommen wir in Schwulitäten." Sarah Palin schätzt der Autohändler im Gegensatz zu seinen Freunden nicht. Doch auch Orin ist sich bei Obama nicht restlos sicher: "Er hat gute Ideen. Aber er wird viel Hilfe brauchen."

Joe Rugola, der Gewerkschafter, glaubt, dass Obama Ohio am Ende gewinnen wird, klar sogar, mit drei, vier Punkten. Joe ist ein Optimist.

© SZ vom 25.10.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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