US-Raketenabwehr:Teure Fliegenklatsche

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Sündteures System, hilflos im Kampf gegen all die Stechmücken dieser Welt: Forscher halten die Abwehr für nicht einsatzfähig.

Von Patrick Illinger

Wenn Amerikas Regierung über ihre Raketenabwehrpläne spricht, klingt es, als solle eine große Käseglocke über die USA gestülpt werden. Einen scheinbar undurchdringbaren Abwehrschild aus Radarstationen und Abfangraketen, der das eigene Territorium gegen feindliche Langstreckenraketen abschirmen soll, baut die US-Regierung mit massiven Finanzmitteln.

Hört man jedoch die Kritik unabhängiger Wissenschaftler an dem von George W. Bush gepriesenen Abwehrsystem, entsteht eher das Bild einer sündteuren Fliegenklatsche, die kaum eine Chance haben wird, im Kampf gegen all die Stechmücken dieser Welt.

Der Plan klingt zunächst einfach: Feindliche Langstreckenraketen im Anflug auf die USA (und eventuell auch auf Verbündete) sollen mit Radarstrahlen entdeckt und mit Abfangraketen abgeschossen werden. Zu diesem Zweck hatte die US-Regierung bereits unter der Präsidentschaft von Bill Clinton mit den Planungen für ein verzweigtes Raketenabwehrnetz begonnen.

Wissenschaftler besorgt

In der aktuellen ersten Ausbaustufe werden mehr als ein Dutzend Abfangraketen in Fort Greely, Alaska stationiert und weitere vier auf dem Luftwaffenstützpunkt Vandenberg in Kalifornien. Das System wird von der Norad-Zentrale gesteuert, wo schon im Kalten Krieg die Verteidigung koordiniert wurde. Auch seegestützte Abfangraketen sind vorgesehen, ebenso wie Laserkanonen in Flugzeugen.

Doch unabhängige Wissenschaftler, unter ihnen vor allem Physiker, äußern sich weiterhin skeptisch zu den Versprechungen des amerikanischen Militärs. Vor einigen Wochen hat die "Vereinigung besorgter Wissenschaftler", unter ihnen auch Mitglieder des US-Kongresses, eine Liste technischer Schwächen des Systems veröffentlicht. So beginnt das Problem bereits mit der Erkennung der gegnerischen Flugkörper.

Der zurzeit leistungsfähigste Radar, Cobra Dane auf der Alaska-Insel Shemya, stammt noch aus dem Kalten Krieg und ist vorwiegend auf Russland gerichtet. Ein neuer Radar steht frühestens im kommenden Jahr zur Verfügung.

Für den Fall, dass die anfliegenden Raketen rechtzeitig entdeckt werden, ist vorgesehen, dass die Abfangraketen (interceptor missiles) die feindlichen Gefechtsköpfe möglichst noch während ihrer Flugphase im Weltraum rammen und zerstören. Das ist offiziellen Angaben zufolge in acht Tests bislang fünfmal gelungen. Die Versuche fanden jedoch nicht unter realistischen Bedingungen statt.

Raketen, leicht zu verwirren

Sie fanden stets zur gleichen, für den Gegenangriff günstigen Tageszeit statt, die simulierten Feindraketen waren stets identisch, und das Abwehrsystem wurde künstlich mit Zusatzdaten über die Flugbahn des gegnerischen Projektils gefüttert, die im Ernstfall nicht zur Verfügung stünden. Ein solches Vorgehen macht in der Entwicklungsphase Sinn.

Es lässt jedoch zweifeln, dass das Abwehrsystem für den Kampfeinsatz taugt. Eine der größten Schwächen des bodenbasierten Abfangsystems (ground-based midcourse defense, GMD) ist zudem, dass sich die Abfangraketen mit verhältnismäßig primitiven Mitteln verwirren lassen. "Hierzu gibt es hunderte, erprobte Möglichkeiten", erklärt der Physiker Götz Neuneck vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg.

Das Spektrum reicht von heißen Täuschkörpern, die die Infrarotlenkung der Abfangraketen ablenken, bis zu Staubwerfern, die den Luftraum großflächig vernebeln. "Ein Land, das ballistische Interkontinentalraketen bauen kann, kennt auch die technischen Finessen der Täuschung", sagt Neuneck. Ein weiteres Konzept der Raketenabwehr beruht auf der Idee, die feindlichen Flugkörper bereits in der Startphase abzufangen.

Zu diesem Zeitpunkt sind die Raketen noch vollständig und haben ihre Sprengköpfe nicht verstreut. Das macht sie theoretisch verletzlich. Jedoch haben namhafte Physiker im vergangenen Jahr gezeigt, dass die eigenen Abfangraketen innerhalb von etwa einer Minute zum Gegenangriff aufsteigen müssten. Das ginge nur mit einem vollautomatisierten Abwehrsystem, was seine Entscheidungen ohne menschliches Zutun treffen würde. Sämtliche zivilen Raketenstarts müssten mit den USA abgesprochen werden, um eine Katastrophe zu vermeiden.

Namhafte Organisationen, unter ihnen die Vereinigung Amerikanischer Wissenschaftler (FAS) haben wiederholt ihre Bedenken bezüglich der Raketenabwehr geäußert. Philip Coyle, ehemaliger Cheftester im Pentagon, vergleicht den aktuellen Zustand des Systems mit einem Kampfjet, der ohne Flügel, ohne Leitwerk und ohne Räder ausgeliefert wurde.

© Mitarbeit: Kosta Schinarakis - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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