Urteil:Recht auf tödliche Arznei

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Die Verweigerung eines Medikaments zur Selbsttötung - hier das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital- sei im konkreten Fall rechtswidrig gewesen, urteilte das Bundesverwaltungsgericht. (Foto: Gaetan Bally/dpa)

Das Bundesverwaltungsgericht stärkt die Selbstbestimmung Schwerstkranker in "unerträglichen Lebenssituationen".

Schwerkranke Menschen können Anspruch auf Medikamente zur schmerzlosen Selbsttötung haben. "In extremen Ausnahmesituationen" dürfe ihnen dies nicht verwehrt werden, entschied am Donnerstag das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. (Az: 3 C 19.15) Geklagt hatte ein Mann aus Braunschweig im Namen seiner inzwischen verstorbene Ehefrau.

Seit einem Unfall im Jahr 2002 war sie vom Hals abwärts komplett gelähmt. Sie musste künstlich beatmet werden und war ständig auf medizinische Betreuung und Pflege angewiesen. Häufige Krampfanfälle verursachten ihr starke Schmerzen. Ihren Zustand empfand die Frau als unerträglich und entwürdigend. 2004 beantragte sie daher beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Erlaubnis zum Kauf einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung. Das Bundesinstitut lehnte eine solche Genehmigung ab. Daraufhin reiste die Frau 2005 in die Schweiz und nahm sich dort mit Hilfe des Sterbehilfevereins Dignitas das Leben. In der Schweiz sind die gesetzlichen Vorschriften zur Sterbehilfe wesentlich lockerer als in Deutschland.

Mit seiner Klage verlangte ihr Ehemann die Feststellung, dass die Verweigerung der tödlichen Arzneidosis durch den deutschen Staat rechtswidrig war. Bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht meinten allerdings die deutschen Gerichte, der Mann könne nicht klagen, weil er nicht selbst betroffen gewesen sei. Seine Klage sei deshalb nicht zulässig. Erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg entschied 2012, der Mann habe Anspruch auf eine Entscheidung. Auch wenn seine Frau tot sei, bestehe ein legitimes Interesse an der Klarstellung fort, dass ihr Leid durch eine möglicherweise rechtlich falsche Entscheidung des deutschen Staates vergrößert worden sei. In dem daraufhin wieder aufgenommenen Verfahren blieb der Ehemann in den Instanzen zunächst erneut ohne Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht hob diese Urteile nun auf.

Die Verweigerung eines Medikaments zur Selbsttötung sei hier rechtswidrig gewesen. Zur Begründung verwiesen die Leipziger Richter auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das im Grundgesetz verankert ist. Dieses umfasse "auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Patienten, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll". Voraussetzung sei, dass der Patient "seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln kann". Zwar könne nach den gesetzlichen Vorschriften der Kauf tödlicher Medikamente "grundsätzlich" nicht erlaubt werden. Einen Automatismus in diese Richtung könne es in Deutschland nicht geben. Wegen des Selbstbestimmungsrechts müsse es in Extremfällen aber Ausnahmen für unheilbar kranke Menschen geben können, "wenn sie wegen ihrer unerträglichen Lebenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen" und wenn es keine palliativmedizinischen Alternativen gebe. Dies hätte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte prüfen müssen, urteilte das Bundesverwaltungsgericht. Hier sei dies nachträglich allerdings nicht mehr möglich.

© SZ vom 03.03.2017 / AFP, SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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