Urteil in Berlin:Hartz-Wurst

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Weil eine Verkäuferin gesünder essen will, lehnt sie die Verpflegung des Arbeitgebers ab. Dafür darf ihr Hartz IV nicht gekürzt werden, sagt nun ein Gericht.

Von Thomas Öchsner

Das deutsche Hartz-IV-Recht ist wohl weltweit einmalig. Wer sich etwa mit einem Boiler getrennt von der Heizung elektrisch mit Warmwasser versorgen muss, erhält 9,18 Euro monatlich extra. Muss ein Hartz-IV-Empfänger in Düsseldorf 45 Quadratmeter Wandfläche tapezieren, werden ihm dafür unter anderem zwei Pakete Kleister ersetzt - das Stück für 2,20 Euro. Es scheint nichts zu geben, was nicht geregelt ist. Das komplexe Regelwerk führt jedoch immer wieder zu Klagen. Vor dem Berliner Sozialgericht ging es nun im wahrsten Sinne des Wortes um die Wurst.

Klägerin war eine Wurstverkäuferin. Weil ihr Verdienst für sie und ihr Kind nicht reichte, erhielt sie vom Jobcenter Reinickendorf zusätzlich Hartz IV. Bei solchen Aufstockern wird aber genau gerechnet: Stellt ein Arbeitgeber für seine Mitarbeiter eine Verpflegung in den Pausen kostenlos zur Verfügung, wird dies berücksichtigt. Die Hartz-IV-Ansprüche fallen dann geringer aus. Konkret geht es dabei um eine Pauschale zwischen 35 und 50 Euro pro Monat.

Die Wurstverkäuferin trug vor Gericht aber vor, dass sie die gestellten Speisen gar nicht gegessen habe. Das Essen - viel Fleisch, Wurst, Salate mit Mayonnaise - sei ihr zu fett und zu kohlenhydratreich gewesen. Sie habe auf eine gesunde Ernährung achten und abnehmen wollen. Dass die Pauschale angerechnet werde, verletze daher ihre Persönlichkeitsrechte.

Die Berliner Sozialrichter gaben der Frau recht - und wurden bei ihrer Urteilsbegründung sehr grundsätzlich: Danach ist die Anrechnung der Pausenverpflegung nicht mit höherrangigem Recht vereinbar. Die Hartz-IV-Regelleistung sei bewusst als Pauschale gestaltet. Diese nach individuellen Umständen zu kürzen, sei gesetzlich nicht vorgesehen. Bedürfnislosigkeit dürfe nicht zum Leistungsentzug führen. Das Jobcenter müsse es vielmehr respektieren, "wenn Leistungsempfänger auf angebotene Verpflegung verzichteten, zum Beispiel aufgrund religiöser Speisevorschriften, aus gesundheitlichen oder ethisch-moralischen Gründen".

Andernfalls würden die Behörden das Selbstbestimmungsrecht und die Handlungsfreiheit der Hartz-IV-Empfänger verletzen.

© SZ vom 26.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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