Unruhen in Frankreich:"Wir sind im Krieg"

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Seit zehn Nächten gibt es in Frankreichs Städten schwere Unruhen. Jetzt wird der Ruf nach einem Einsatz der Armee laut. Die Regierung will Härte zeigen, doch Präsident Jacques Chirac hat bisher geschwiegen.

Rudolph Chimelli

Brennt Paris? Jene Stadt, durch die derzeit Zehntausende Touristen flanieren, sicher nicht. Für das politische Paris hingegen ist der Flächenbrand in den Vorstadt-Ghettos bedrohlich. Premierminister Dominique de Villepin musste einen Besuch in Kanada verschieben, Innenminister Nicolas Sarkozy blies eine Reise nach Pakistan ab, wo er über ein gemeinsames Vorgehen gegen radikale Islamisten beraten wollte. Nach den ersten Feuernächten hatte es den Premier wenig gestört, dass sich Sarkozy, sein Rivale um die Präsidentschaftskandidatur des Jahres 2007, die Finger versengen könnte. Inzwischen hat der Aufruhr ein Ausmaß angenommen, vor dem die Reihen geschlossen werden müssen.

Weiter positive Meinung über Innenminister Sarkozy

Die Regierung sei "einig in Festigkeit", sagte der Innenminister nach einer Sitzung des Kern-Kabinetts am Samstag. Ferner kündigte er an, es werde weiterhin "mit großer Stärke vorgegangen". Dutzende Beschuldigte würden der Justiz zugeführt. Oberste Priorität sei die Wiederherstellung der Ordnung, bestätigte die Staatssekretärin für Einwanderer, Catherine Vautrin.

In einer Meinungsumfrage der Sonntagszeitung des Parisien bringen 57 Prozent der Franzosen eine positive Meinung über Sarkozy zum Ausdruck, nur 39 Prozent eine negative, auch wenn 63 Prozent einschränken, der Minister gebrauche manchmal "schockierende Ausdrücke". Auch in den Vorstädten überwiegt das positive Meinungsbild mit 56 gegen 42 Prozent.

Offensichtlich fühlt sich Sarkozy gestärkt und bleibt offensiv. Er hatte zu Beginn der Unruhen von "Gesindel" gesprochen sowie von Säuberung mit einem Hochdruckreiniger. "Ein Minister redet wie alle und benutzt Worte wie alle", ließ er am Wochenende aus seiner Umgebung mitteilen. Es war klar, dass Sarkozy Randalierer und Brandstifter gemeint hatte. Nur wer seine Worte übel auslegen wollte, konnte unterstellen, er habe die Bewohner der betroffenen Viertel insgesamt beleidigt. Jedes angezündete Auto, jede demolierte Schule, jeder zerstörte Laden lassen den Überdruss der Einwohner wachsen und das Verlangen nach wirksamen Maßnahmen lauter werden.

"Worte des Friedens"

Vor Journalisten rufen Geschädigte gelegentlich nach der Armee. "Wir sind im Krieg", sagte ein Bistrowirt vor einer Fernsehkamera. Solche Forderungen werden freilich nur vom Ultrakonservativen Philippe de Villiers oder von Marine Le Pen, der Vizepräsidentin der rechtsextremen Nationalen Front unterstützt. Die Regierung - soviel scheint für den Moment sicher zu sein - wird zu diesem Mittel nicht greifen. Aber die Zeichen stehen auf Härte. Dass Sarkozy zurücktreten könnte, um die Stimmung zu besänftigen, ist äußerst unwahrscheinlich.

Die Kommunisten verlangen dies, gleichfalls der grüne Abgeordnete Noel Mamère, der den "Sheriff Sarkozy gefährlich" findet. Einzelne Linke in der Sozialistischen Partei preschen noch weiter vor. So nennt der Abgeordnete André Vallini den Minister "einen brandstiftenden Feuerwehrmann, der die Vorstädte anzündet".

Doch die Führung der Sozialisten zieht nicht mit. Sie verlangt "für den Augenblick" keinen Rücktritt. Vielmehr wollen sie eine Debatte der Nationalversammlung über die Situation der Vorstädte, die notwendigen Konsequenzen und eine andere Politik. Dem Journal du Dimanche sagte der Erste Sekretär der Sozialisten, François Hollande, zwar trage Sarkozy wegen seiner "verbalen Provokationen" große Verantwortung. Die tiefere Ursache sei jedoch die gesamte Politik der Regierung und des Präsidenten Jacques Chirac.

Chirac will sich erst "zu gegebener Zeit" äußern

Der Premierminister hatte vergangene Woche junge Leute aus den Vorstädten zu sich geladen, noch bevor die Unruhen ihren bisherigen Höhepunkt erreichten. Ihre Klagen über Diskriminierung, ihre aussichtslose Lage auf dem Arbeitsmarkt und das Misstrauen der Polizei hörte sich Villepin mit Verständnis an. Dass eventuelle Zusagen beschleunigter Sozialmaßnahmen zur Beruhigung beitragen können, ist zweifelhaft. Seit 25 Jahren produzieren alle Regierungen Sonderprogramme für die Banlieue, während deren Situation immer explosiver wurde.

Unter den Besuchern im Hôtel Matignon war auch der Rektor der Pariser Moschee, Dalil Boubakeur. Er sagte anschließend, er erwarte von den Behörden, Sarkozy und dem Regierungschef "Worte des Friedens". Ob Villepin den Imam ersucht hat, seinen besänftigenden Einfluss geltend zu machen, ob er dazu überhaupt in der Lage wäre, kann nur Gegenstand von Spekulation sein. In Clichy-sous-Bois, dem ersten Brandherd, konnte die Moschee immerhin dazu beitragen, dass dort seither relative Ruhe eintrat. Chirac will sich zu der Krise nach Mitteilung aus dem Elysée erst "zu gegebener Zeit" äußern. Bisher stellt sich der Präsident tot.

© SZ vom 7.11.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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