Union:Fremde Schwestern

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Die CSU glaubt wegen ihrer guten Umfragewerte: Sie hat recht - und die CDU nicht. Aber die beiden Parteien trennt inzwischen noch viel mehr.

Von Robert Roßmann und Wolfgang Wittl, Berlin/München

Die CSU ist ohnehin keine Partei, die zu Minderwertigkeitskomplexen neigt. Wenn die Auguren dann aber auch noch Zahlen wie diese verkünden, ist es mit den letzten Selbstzweifeln vorbei. Am Donnerstag präsentierte das Meinungsforschungsinstitut GMS seine neueste Umfrage. Demnach käme die CSU in Bayern auf 48 Prozent der Stimmen und eine absolute Mehrheit im Landtag. "Die CSU ist löwenstark und koppelt sich weiterhin vom Negativtrend der Union im Bund ab", erklärte die Partei stolz. Für Horst Seehofer ist die Umfrage eine Bestätigung dafür, dass die Kanzlerin im ewigen Streit mit der CSU unrecht hat. Schließlich liegt die CDU in den restlichen 15 Bundesländern in manchen Umfragen sogar schon unter der 30-Prozent-Marke.

Es sind diese Zahlen, welche die CSU im Streit mit ihrer Schwesterpartei so unerbittlich machen. Die Bayern sind fassungslos darüber, dass die CDU ihren Absturz in den Umfragen beinahe stoisch hinzunehmen scheint. "Die CDU hat keine Strategie, es gibt noch nicht einmal eine ernsthafte Debatte über den Kurs", klagt ein CSU-Vize. Deshalb rennen die Christsozialen immer wütender gegen Angela Merkel an. Gute Voraussetzungen für die geplante Klausur der beiden Parteispitzen sind das nicht. Am Donnerstag konnten sich die Generalsekretäre wenigstens auf eine gemeinsame Erklärung verständigen. Doch die geriet - wie immer, wenn man sich in den Details nicht einig ist - ziemlich wolkig. Im Mittelpunkt der Klausur sollten "langfristige globale Entwicklungstrends stehen", verkündeten Peter Tauber (CDU) und Andreas Scheuer (CSU). Man wolle bei dem Treffen Ende Juni einen "inhaltlichen Arbeitsprozess einleiten". Dabei dürfte es bei dem Treffen doch vor allem darum gehen, dass CDU und CSU wieder zu zivilisierten Umgangsformen finden.

In der CDU mokiert man sich auch darüber, dass die CSU austeilen, aber nicht einstecken könne

Einfach dürfte selbst das nicht werden. Zu tief ist die Entfremdung der Schwestern, zu groß ist der Vertrauensverlust zwischen Seehofer und Merkel - und zu gewaltig ist der Unterschied in der Analyse, wer am Aufstieg der AfD schuld ist. In Bayern liegt die AfD unter dem Bundesschnitt, in der neuen Erhebung kommt sie nur noch auf acht Prozent. Welcher Kurs ist da wohl richtig?, fragen die CSU-Strategen.

In der CDU will man solche Betrachtungen nicht gelten lassen. Zu den acht Prozent müsse man doch die sechs Prozent für die Freien Wähler dazuzählen, heißt es in der CDU-Spitze. Insgesamt sei die rechte Konkurrenz in Bayern damit genauso groß wie im Rest Deutschlands. Außerdem habe die Union bei den Bundestagswahlen 2005 und 2009 auch nur etwa 35 Prozent erreicht. Da liege man derzeit doch kaum schlechter. Angesichts der schwierigen Weltlage und der ständigen Angriffe der CSU auf die Kanzlerin sei momentan kaum mehr zu holen.

In München reagieren sie fassungslos auf diese "Ambitionslosigkeit". So schlimm wie im Moment sei es mit der CDU noch nie gewesen, sagen sie in der CSU-Zentrale. Dass die CDU vor allem auf die Kanzlerin vertraut und sich auch mit schlechten Umfragewerten begnügt, solange sie nur stärkste Kraft bleibt, macht Seehofer wütend. Entsprechend genervt reagiert er auf Ratschläge der CDU. Für den CSU-Chef ist der Satz von Franz Josef Strauß, man dürfe keine Partei rechts von der Union zulassen, immer noch Dogma - auch im Umgang mit der AfD. Doch Merkel hielt das nicht davon ab, den Satz in einem Interview mit der FAS zu relativieren. Der Satz von Strauß sei "einerseits richtig", weil die Union tatsächlich immer "zur Mitte hin integrieren" müsse, indem sie sich zum Beispiel als "Partei der Sicherheit" profiliere, sagte Merkel. Der Satz von Strauß gelte für sie aber nicht, wenn er so verstanden werden würde, dass die Union eigene Kernüberzeugungen relativieren oder gar aufgegeben sollte, um eine neue Konkurrenz von rechts zu verhindern.

Horst Seehofer gibt gern den starken Mann - nicht zum Wohlgefallen von Angela Merkel. (Foto: Sean Gallup/Getty Images)

In der CSU brach daraufhin eine Welle der Entrüstung los, die bis heute nicht abgeebbt ist. Ausgerechnet die Partei, deren Protagonisten seit Monaten beinahe täglich die CDU attackieren, gab sich zutiefst beleidigt. Wie könne sich die Kanzlerin erlauben, die CSU derart anzugehen, hieß es in München. Dabei hatte Merkel die Schwesterpartei gar nicht direkt und schon gar nicht hart kritisiert. Die CSU-Spitze, allen voran Seehofer, sah in der Äußerung Merkels aber nicht nur einen Verrat an Strauß, sondern auch eine ungehörige Attacke auf die CSU. Schließlich würde die CSU doch kein einziges der Kernprinzipien der Union verraten. Wie käme die Kanzlerin also dazu, dies zu insinuieren.

In der CDU-Spitze macht man sich über dieses "Mimimi" der CSU lustig. Die Schwester könne offenbar nur gewaltig austeilen, aber nicht einmal leiseste Kritik einstecken, heißt es. Außerdem gebe es sehr wohl Bereiche, in denen die CSU gemeinsame Grundsätze über Bord werfe, wenn sie glaube, damit in der Auseinandersetzung gegen die AfD punkten zu können. Das zeige etwa der Europawahlkampf 2014, in dem die CSU mit Peter Gauweiler in der ersten Reihe mit EU-Kritik Stimmen holen wollte. Auch in der Flüchtlingspolitik habe die CSU nicht auf die nötige europäische Lösung gesetzt.

Genau solche Einschätzungen sind es, welche die CSU aufregen. Merkel entschwebe mehr und mehr, sei inzwischen eine europäische Kanzlerin, klagen sie in der CSU. Bei allen globalen Verpflichtungen, die man natürlich auch in Bayern respektiere: Das eigene Land müsse schon auch noch regiert werden, man müsse sich mehr um die Menschen hier kümmern. Die Kanzlerin denkt an den Zusammenhalt Europas, Industrie 4.0 und die Flüchtlinge - Seehofer eher an die Nöte von Milchbauern im Chiemgau, so sehen sie es in der CSU.

In der CDU-Spitze halten sie dagegen das Suggerieren der CSU, dass auch nachhaltige nationale Lösungen möglich seien, für ziemlich naiv. Außerdem hätten die ständigen Attacken der CSU nichts mit Anstand zu tun - "unsere Leute sind davon angewidert", sagt einer aus der CDU-Führung. Man hoffe aber immer noch auf eine gewisse innere Einsicht der CSU.

Immerhin darin sind sich beide einig: Auf eine innere Einsicht der Schwesterpartei hofft auch die CSU.

© SZ vom 03.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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