UN-Abhör-Affäre:"Jeder spioniert gegen jeden"

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Diplomaten und Mitarbeiter der Vereinten Nationen geben sich schockiert über den angeblichen Lauschangriff Großbritanniens gegen UN-Generalsekretär Kofi Annan. In Wahrheit dürften die Empörten keineswegs überrascht sein. Lauschangriffe - vor allem durch Briten und Amerikaner -sind bei den UN offenbar an der Tagesordnung.

Von Stefan Ulrich

"Meiner Meinung nach spioniert jeder gegen jeden, und wenn es eine Krise gibt, dann spionieren die großen Länder viel", zitiert die Washington Post den spanischen UN-Botschafter Inocencio Arias. Auch kann es niemand verwundern, dass die Briten dabei eng mit den Amerikanern zusammenarbeiten.

Über diese Kooperation können besonders die EU-Partner viel berichten. "Die Vertraulichkeit der innereuropäischen Abstimmung ist nicht mehr gewährleistet", sagte ein europäischer Diplomat der Süddeutschen Zeitung. "Die Briten klicken jede interne europäische Korrespondenz nach Washington durch."

Nach Ansicht des Diplomaten muss daher bei EU-Treffen besonders vorsichtig mit allem umgegangen werden, was irgendwie als Kritik an Amerika gedeutet werden könnte. "Denn man muss immer fürchten, dass das einen Mausklick später in Washington landet. So schlimm ist das mittlerweile."

Hierzu passt eine Einschätzung des englischen Analysten Anthony Glees vom "Brunel Center for Intelligence and Security Studies" gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: "Wir wissen seit mehreren Jahren, dass die britischen Geheimdienste unsere EU-Partner ausspioniert haben."

"Ich gehe davon aus, dass die Amerikaner grundsätzlich alles abhören"

Dass die Amerikaner beim Ausspionieren des UN-Sicherheitsrats die Briten um Hilfe gebeten haben sollen, wie derzeit in Großbritannien behauptet wird, wäre allerdings verwunderlich. Denn auf solche Hilfe sind die US-Geheimdienste kaum angewiesen. "Ich gehe davon aus, dass die Amerikaner grundsätzlich alles abhören", sagte ein europäischer Botschafter in New York der SZ während der Irak-Krise im vergangen Jahr.

Auch angeblich abhörsichere Telefonanlagen böten keinen Schutz. Wenn die europäischen Ratsmitglieder wirklich vertraulich sprechen wollten, würden sie sich daher gerne in den 11.Stock der deutschen UN-Botschaft in Manhattan zurückziehen. Dort gibt es eine "Laube", einen als Faradayschen Käfig konstruierten abhörsicheren Raum. Doch auch dort sitzen ja die Briten mit am Tisch.

Selbst Lauschangriffe auf den UN-Generalsekretär, den höchsten Repräsentanten der Staatengemeinschaft, haben in New York bereits Tradition. In deutschen Diplomatenkreisen heißt es, ein Vorgänger von Kofi Annan habe sich bitter darüber beschwert, seine Telefone würden abgehört. Wenn er ungestört telefonieren wollte, verließ der Generalsekretär daher sein Büro und suchte sich irgendeine Telefonzelle in der Nähe der United Nations Plaza.

Annans Vorgänger Boutros-Ghali gewarnt

Annans Vorgänger Boutros Boutros-Ghali enthüllte nun in einem Interview, er sei bereits am Tag seines Amtsantritts gewarnt worden, dass sein Büro und seine Wohnung abgehört würden. Dabei sei er nicht nur von Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats, sondern auch von anderen Ländern belauscht worden.

Auch die früheren Chef-Waffeninspekteure der UN für den Irak, Richard Butler und Hans Blix, wurden offenbar ausspioniert. Butler sagte dazu jetzt in einem Rundfunkgespräch, ihm sei bewusst gewesen, dass sein Büro in New York verwanzt gewesen sei. Für vertrauliche Gespräche sei er daher in den Central Park oder in eine laute Cafeteria gegangen.

Andere wichtige UN-Institutionen werden offenbar ebenfalls permanent Ziel von Lauschangriffen. So heißt es beim Internationalen Jugoslawientribunal in Den Haag, man sei sich sicher, abgehört zu werden. "Für geheime Gespräche benutzen wir daher notfalls seltsame Sprachen", scherzt ein Führungsmitglied des Gerichtshofs.

Die Vereinten Nationen wollen nun erst einmal den Abhörschutz für Kofi Annan stärken, kündigte dessen Sprecher Fred Eckhard an. "Wir möchten dass diese (Abhör-)Praxis aufhört, falls sie tatsächlich angewandt worden ist." Schon bisher wurden die Büros im UN-Hochhaus am East River allerdings immer wieder entwanzt. Viel genutzt hat es offenbar nicht.

© SZ vom 28.2.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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