Umweltministerin:Sieh' an!

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Barbara Hendricks ist Umweltministerin nicht aus Leidenschaft, sondern aus Pflichterfüllung. Das macht die Frau von der SPD effizient.

Von Michael Bauchmüller, Berlin/Tel Aviv

Barbara Hendricks ist ratlos: Soll sie das Jackett für den Fototermin nun anlassen oder ausziehen? "Ministermäßig sehe ich besser aus mit Jackett", murmelt sie. Einerseits. Andererseits ist es ziemlich heiß. Am Ende siegt, wie so oft, ihr Pragmatismus. Ein paar Fotos mit, ein paar ohne. Und so wird die Bundesumweltministerin später auf Fotos zu sehen sein: Vor dem Berliner Stadtschloss hält sie eine Gießkanne in eine Plakatwand, aus der in großen Jutesäcken Blumen wachsen. Ministermäßig mit Jackett, wie eine Hausfrau auf dem Balkon ohne. "Eine Klimaanlage, die wirklich gut für das Klima ist", steht groß über den Jutesäcken. "Was man nicht alles macht", sagt Hendricks, als die Fotos fertig sind.

Besuch im Freizeitpark, der sich Wunderland Kalkar nennt: Im ehemaligen Schnellen Brüter schwebt Barbara Hendricks im Kettenkarussell. (Foto: Caroline Seidel/dpa)

Ja, was macht man nicht alles? Seit gut anderthalb Jahren beschäftigt sich Barbara Hendricks von Amts wegen mit dieser Frage - auf einem Posten, der von Anfang an weder auf sie zugeschnitten war noch andersrum. Wie kaum ein anderes Bundesministerium ist das Umweltministerium das Ressort der Überzeugungstäter und Engagierten. Hendricks, einst Schatzmeisterin der SPD, davor Staatssekretärin im Finanzministerium, wirkte wie ein Fremdkörper, wie ein unvorhergesehener Meteorit im Universum der Ökologie. Einerseits.

Hendricks beim Endlager Asse: Im Gespräch mit besorgten Bürgern zeigt sich ihr Pragmatismus. (Foto: Jochen Luebke/Reuters)

Tel Aviv, diesen Dienstag. Das israelische Umweltministerium lädt zu einer Klimakonferenz, ausgerechnet in der Börse. Auf der Leinwand läuft einer von diesen Fünf-vor-zwölf-Filmen, in denen erst Fabrikschlote qualmen und dann die Meeresspiegel steigen. Traurige Kindergesichter tauchen auf, dann Kolonnen von Autos und ein übervölkerter Strand. An den Wänden zeigen derweil Leuchtbänder die aktuellen Börsenkurse. In einem Nachbarraum berät sich Israels neuer Umweltminister Avi Gabbay mit seiner Kollegin aus Deutschland. Erst geht es um Klimaschutz und die maue Bilanz Israels, dann fasst sich Gabbay ein Herz. "Sie sind schon seit anderthalb Jahren im Amt. Können Sie einem neuen Minister einen Rat geben?"

Ihre polititsche Laufbahn begann früh. 1972, zwei Jahre nach dem Abitur, trat sie in die SPD ein. Seit 1994 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages. (Foto: dpa)

Schwierige Frage.

Hendricks druckst herum. Für die nationale Politik könne sie keine Ratschläge geben, sagt sie, dann tut sie es aber doch. Israels Wirtschaft sei innovativ, risikofreudig, alles sei bereit für einen ökologischen Umbau. "Seien Sie mutig."

Hendricks' Mut heißt Pragmatismus. Sie kann besorgten Bürgern beim absaufenden Endlager Asse unumwunden erklären, dass sie alle die Lösung dieses Problems nicht mehr erleben werden. Sie kann dem Freistaat Bayern cool ein halbes Dutzend Castoren mit Atommüll zuschanzen, weil sonst keiner sie nähme. Und sie kann Tage nach einem wachsweichen Kompromiss zur Zukunft der Kohle sagen, dass Klimaschutz und Kohlekraft auf Dauer nicht zusammenpassen. Für eine Genossin aus dem Kohleland Nordrhein-Westfalen ist so viel Pragmatismus mutig. Zumal für eine, die sich mit klimatischen Bedingungen lange allenfalls rund um die Urlaubsplanung befasst hat.

Sie kann Bayern cool ein halbes Dutzend Castoren zuschanzen

Was Hendricks so sagt und will, entsteht an Dienstagabenden. Dann ruft sie jede Woche ihr "Kollegium" zusammen. Acht Leute, Staatssekretäre, enge Mitarbeiter. Ihnen gehört ihr Vertrauen. Anders als ihr Parteichef und Vorvorvorgänger Sigmar Gabriel zählt Hendricks nicht zu den Ministern, die am liebsten alles selbst machen wollen. Anders als ihr CDU-Vorgänger Peter Altmaier setzt sie auch nicht nächtens am heimischen PC Grundsatzpapiere auf, die das Ministerium dann umsetzen muss. Hendricks ist ein Gegenentwurf zu beiden. Statt politischer Leidenschaft folgt sie kühler, mitunter auch kalter Rationalität. Wo andere den großen Auftritt suchen, will sie Pflichten erledigen.

Was bei Hendricks passiert, geschieht still. Aber es geschieht. In Tel Aviv sind die Erwartungen noch viel höher. Hendricks hat eine Rede mitgebracht, sie trägt den knackigen Titel "Politikinstrumente für eine kohlenstoffarme Wirtschaft" und wird auch genau so vorgetragen. "Wir arbeiten in Deutschland an der Energiewende, um den Klimawandel aufzuhalten", liest Hendricks vor. Es ist der Satz, auf den die Leute von Greenpeace Israel gewartet haben. Sie stellen sich vors Rednerpult, mit einer Botschaft auf großen Papierbögen. "Hi Barbara", steht da, "wir bitten um deine Hilfe, unserem Umweltminister zu erklären, wie man eine Solarrevolution bewerkstelligen kann." Israel mache zu wenig aus der Sonne. Doch die Ministerin aus dem Energiewende-Land hält sich stur ans Manuskript. Durch die Blume, findet sie später, habe sie das dem Kollegen doch gesagt. Nur ist sie eben für Revolutionen nicht zu haben, auch nicht für solare. Wo die Leidenschaft fehlt, ist auch für Revolutionäres kein Raum.

Dabei hätte sie nicht viel zu verlieren. Aller Voraussicht nach ist das Umweltministerium ihr letzter großer Job in der Politik. Hendricks ist 63. Allerdings findet sie sich in einer deutlich unangenehmeren Lage wieder als alle ihre Vorgänger. Noch jeder Umweltminister konnte sich mühelos gegenüber dem Wirtschaftsminister profilieren, schließlich gehörte der immer zum anderen Lager. In den schwarz-gelben Koalitionen von Helmut Kohl und Angela Merkel waren alle Umweltminister Christdemokraten, die Wirtschaftsminister stets Liberale. Der Grüne Jürgen Trittin konnte gegen den Sozialdemokraten Wolfgang Clement wettern, der sozialdemokratische Umweltminister Sigmar Gabriel gegen den Christsozialen Michael Glos. Und Barbara Hendricks? Der sitzt im Wirtschaftsministerium ihr Parteichef gegenüber, also der Mann, der sie erst zur Ministerin gemacht hat: Sigmar Gabriel. Das macht es Hendricks schwer, sich abzugrenzen. Zumal das Ministerium die wichtige Energiewende mitsamt Ökostrom an Gabriels Energieministerium verlor - und im Gegenzug nur den unspektakulären Bau übernahm. Mitsamt dem Stadtschloss in Berlin.

Berühmt wird man so nicht. Nach den Fotos an der Blumenwand fällt Hendricks einer Gruppe Schüler in die Hände. Wie sie den Neubau denn finde, wollen sie wissen, sie machten eine Umfrage. Die Ministerin antwortet fachkundig und ausufernd. Als sie fertig ist, bedanken sich die Schüler artig: Bisher seien die meisten Passanten einfach weitergegangen. "Dafür habt ihr jetzt die zuständige Ministerin getroffen", lacht Hendricks. "Besser kann es doch gar nicht kommen." Die Schüler blicken ratlos.

© SZ vom 16.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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