Umsturz in Libyen:Übergangsrat benennt neuen Regierungschef

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Neustart nach dem Tod Gaddafis: Der libysche Übergangsrat hat den Akademiker Abdel Rahim al Keeb zum neuen Ministerpräsidenten gekürt. Der Elektroingenieur soll in den kommenden Tagen ein neues Kabinett benennen, das den Weg für allgemeine Wahlen bereiten soll.

Der libysche Übergangsrat hat Abdel Rahim al Keeb zum neuen Ministerpräsidenten gekürt. Er sei mit 26 der 51 Stimmen im Übergangsrat gewählt worden, teilte ein Sprecher des Gremiums mit.

Abdel Rahim al Keeb gilt als bekannter Vertreter der Oppositionsbewegung gegen Gaddafi und habe nie mit dem Regime des früheren libyschen Machthabers zusammengearbeitet, teilte die libysche Revolutionsbewegung des 17. Februar auf ihrem Twitter-Account mit. Al Keeb hält derzeit eine Professur für Elektroingenieurwissenschaften in Abu Dhabi. Die Revolutionsbewegung schätze ihn für seine bescheidene und höfliche Art, aber auch für seine Intelligenz und seine große Hingabe an sein Land, heißt es auf Twitter weiter.

Neben al Keeb kandidierten der Öl- und Finanzminister des Übergangsrats, Ali Tarhuni, der langjährige Oppositionelle Idris Abu Fajed, der Vertreter des Übergangsrats in Europa, Ali Sidan, und der Wissenschaftler Mustafa el Rodschbani. Mit 19 Stimmen landete Rodschbani auf dem zweiten Platz, auf Tarhuni dagegen entfielen nur drei Stimmen. Der aus Tripolis stammende Elektroingenieur al Keeb war bisher wenig bekannt und spielte keine bedeutende Rolle in der Politik.

"Wir werden uns dafür einsetzen, eine Nation aufzubauen, welche die Menschenrechte beachtet und deren Verletzung nicht hinnimmt", sagte Kib auf einer Pressekonferenz nach seiner Wahl. Zugleich betonte er, dafür brauche es Zeit. Er würdigte auch die "revolutionären" Milizen, deren Entwaffnung "mit dem nötigen Respekt" angegangen werde. Sie teilten die Überzeugung, dass die "Stabilität des Landes" extrem wichtig sei.

Der aus Tripolis stammende Elektroingenieur al Keeb hat einen Großteil seiner Karriere im Ausland verbracht. Laut einer ihm gewidmeten Facebook-Seite ist Kib 1950 geboren und hat Abschlüsse von Universitäten in Tripolis, Kalifornien und North Carolina. Er lehrte an der Universität Alabama, wo er 1996 Professor wurde. Später lehrte er auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten, bevor er 2005 in Libyen eine eigene Firma gründete.

Ein weiterer Schritt in Richtung freie Wahlen

"Diese Abstimmung beweist, dass die Libyer fähig sind, ihre Zukunft zu gestalten", sagte der Präsident des Übergangsrates Mustafa Abdel Jalil. Von den zehn Kandidaten, die noch am Sonntag zur Wahl hatten wollten, zogen am Montag fünf ihre Kandidatur zurück, darunter auch der Vizepräsident des Übergangsrats, Abdel Hafes Ghoga. Dschibril hatte eine Kandidatur von vornherein ausgeschlossen.

Der Übergangsrat hatte nach dem Tod des früheren Machthabers Muammar al-Gaddafi bei den offiziellen Feierlichkeiten zur Befreiung des Landes angekündigt, eine neue Regierung bilden zu wollen. In den kommenden Tagen soll al Keeb ein neues Kabinett benennen, das die Regierungsarbeit übernehmen und den Weg für allgemeine Wahlen bereiten soll.

Nach dem Fahrplan für den Übergangsprozess in Libyen soll bis Ende November eine Übergangsregierung gebildet werden. Binnen höchstens acht Monaten sollen Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung stattfinden und spätestens ein Jahr darauf Parlamentswahlen.

Sicherheitsrat sorgt sich um Waffen in Libyen

Derweil hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine neue Resolution zu Libyen einstimmig angenommen. Darin fordert das Gremium die libysche Regierung auf, zu verhindern, dass mobile Flugabwehrraketen und andere Waffen in die Hände Terroristen fallen.

Zudem drängt die Resolution die Libyer dazu, sämtliche Chemiewaffen im Land zu registrieren und sich mit der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) in Den Haag abzustimmen. Auch die Nachbarstaaten wurden ermahnt, den Schmuggel von Waffen zu unterbinden. Dazu sollen die Grenzkontrollen verstärkt und die Transportwege besser überwacht werden.

Der Entwurf war vor allem von Russland initiiert worden. Ziel sei die Vernichtung der Waffen und auch ihrer Grundstoffe. Besondere Sorgen bereiten den Staaten die Kleinst-Flugabwehrraketen, so genannte "Manpads", die von einem Einzelnen von der Schulter abgefeuert werden können. In Libyen soll es sie zu Tausenden geben. Der Resolutionsentwurf fordert, den Schmuggel dieser Raketen zu verhindern, damit sie nicht Terroristen in die Hände fallen.

Bekannt sind die amerikanischen "Stinger" oder die russischen "Strela". Laut UN gibt es in keinem Land der Erde, außer den Herstellerländern, so viele Manpads.

An diesem Montag wurden zwei geheime Chemiewaffenlager Gaddafis entdeckt, wie der Regierungschef des Nationalen Übergangsrats, Mahmud Dschibril mitteilte. Jussef Safi el Din, der unter Gaddafi als Offizier für die Chemiewaffen zuständig war, sagte, in beiden Lagern befinde sich verwendungsfähiges Senfgas. Im einen Fall stehe es sogar bereits in Waffen zum Einsatz bereit.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) begrüßte die Resolution "als weiteren Schritt, damit der erhoffte demokratische Neuanfang in Libyen nicht durch die unkontrollierte Verbreitung von Waffen erschwert wird". Deutschland unterstütze Libyen bereits bei der Räumung und Zerstörung von Landminen und werde sich auch an den Bemühungen zur Sicherung und Zerstörung von Kleinwaffen und den Beständen von Chemiewaffen beteiligen, hieß es in der Erklärung des Ministers.

"Dieses Kapitel ist von größter Wichtigkeit", sagte der deutsche UN-Botschafter Peter Wittig. Die C-Waffen müssten in Absprache mit internationalen Organisationen beseitigt werden. "Deutschland bietet dazu technische Unterstützung an und kann Inspektoren entsenden", sagte Wittig.

Nato beendet Libyen-Einsatz

Zuvor hatte die Nato ihren Einsatz in dem nordafrikanischen Land für beendet erklärt. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen reiste dafür eigens in die Hauptstadt Tripolis. Er sehe künftig keine tragende Rolle für die Allianz in Libyen, sagte Rasmussen bei dem Besuch, da die Unterstützung der neuen Führung in erster Linie Sache der UN sei. Das Flugverbot und die Seeblockade, deren Durchsetzung die Nato am 31. März übernommen hatte, sollten gemäß dem Beschluss des UN-Sicherheitsrats an diesem Montag um Mitternacht (23.59 Uhr Ortszeit, 22.59 Uhr MEZ) zu Ende gehen.

Die Maßnahmen beruhten auf den Resolutionen 1970 und 1973 des UN-Sicherheitsrats. Diese sahen Sanktionen gegen die Regierung des gestürzten Machthabers Muammar al-Gaddafi vor und erlaubten den Einsatz von Gewalt zum Schutz der Zivilbevölkerung.

Der Nationale Übergangsrat in Libyen hatte die Nato am vergangenen Mittwoch gebeten, ihren Einsatz noch bis zum Ende des Jahres fortzusetzen. Das Bündnis entschied am Freitag jedoch, dass die Zivilbevölkerung nach dem Tod Gaddafis und dem Sturz seiner letzten Bastion Sirte am 20. Oktober nicht länger des Nato-Militärschutzes bedürfe.

Bei seinem Besuch in Tripolis erklärte Rasmussen, er sehe künftig keine tragende Rolle mehr für die das Militärbündnis in dem Land. Jetzt sei es an den Vereinten Nationen, die Führung bei der internationalen Unterstützung zu übernehmen, sagte Rasmussen.

Nach eigenen Angaben flog die Nato mehr als 26.300 Lufteinsätze und bombardierte fast 6000 Ziele, darunter auch den Militärkonvoi in Sirte, in dem sich auch Gaddafi befand. Der langjährige libysche Machthaber war anschließend getötet worden. Die Todesumstände sind noch immer nicht geklärt.

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