Umstrittenes Geschichtsbild in Israel:Das Schulbuch des Anstoßes

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Israels Erziehungsministerin hat dafür gesorgt, dass künftig auch die arabische Sicht der Staatsgründung 1948 geschildert wird. Israels Rechte schäumt - und spricht von politischem "Masochismus".

Johannes Kuhn

Die israelische Erziehungsministerin Yuli Tamir hat mit ihrer Unterschrift für ein Novum gesorgt: Erstmals wurde ein Schulbuch genehmigt, in dem die arabische Sicht zur Gründung des Staats Israel im Jahr 1948 geschildert wird. In dem Buch wird der Unabhängigkeitskrieg als "Katastrophe" für die arabische Bevölkerung bezeichnet.

Verärgert nicht das erste Mal die israelische Rechte: Erziehungsministerin Tamir (Foto: Foto: AP)

Die Passage in dem Schulbuch für Drittklässler wird allerdings nur in den arabischen Schulen des Landes zu lesen sein - in der hebräischen Version fehlt sie weiterhin. Das Erziehungsministerium teilte mit, die neuen Stellen seien eingefügt worden, um der arabischen Kultur und deren Sensibilitäten Rechnung zu tragen.

In der arabischen Variante heißt es nach Angaben des Ministeriums: "Einige Palästinenser flohen, einige wurden nach dem Unabhängigkeitskrieg vertrieben und viel arabisches Land wurde beschlagnahmt." Es steht dort auch, dass die Palästinenser die Gründung als "al nakba", "die Katastrophe", bezeichnen.

Das Buch gibt aber auch die offizielle israelische Sichtweise der Gründungsgeschichte wieder und hält fest, dass die arabischen Führer 1947 den Zweistaatenplan der UN ablehnten, während die israelische Führung diesen billigte.

Etwa 20 Prozent der sieben Millionen Bürger Israels sind Araber. Die Bevölkerungsgruppe stellt auch einige Abgeordnete im Parlament - die zeigten sich erfreut über die Entscheidung der Erziehungsministerin. So erklärte der Abgeordnete Ahmed Tibi, der Mehrheit dürfe es nicht gestattet sein, in "ihrer eigenen narrativen Seifenblase" zu existieren.

Parteichef fordert Entlassung der Ministerin

Kritik musste die Politikerin der Arbeitspartei hingegen von ihrem Kabinettskollegen Avigdor Lieberman einstecken, der dem Strategieministerium vorsteht. Lieberman, Mitglied der nationalgerichteten Partei Jisra'el Beitenu ("Unser Haus Israel"), beschimpfte den Schritt in einem Radiointerview als Resultat des "Masochismus und Defätismus der israelischen Linken".

Auch die ehemalige Erziehungsministerin Limor Livnat, die dem rechtsgerichteten Likud-Block angehört, verurteilte die Entscheidung Tamirs als "miserabel", da das Schulbuch junge Araber zum Kampf gegen Israel ermutigen könnte.

Zevulun Orlev, Vorsitzender der Nationalreligiösen Partei, rief Premierminister Olmert gar dazu auf, die Erziehungsministerin wegen ihres "antizionistischen" Beschlusses zu entlassen.

Tamir rechtfertigte die Erlaubnis zur Verwendung des Buches: Dieses gehöre zu einem Unterrichtsprogramm, an dem das Ministerium bereits seit 2002 gearbeitet habe. "Das Buch ist von einem professionellen Ausschuss begutachtet worden", erklärte die Ministerin, "Dutzende Personen hatten es gelesen, bevor wir es genehmigt haben."

Dass Tahir ihre Entscheidung zurücknimmt, ist unwahrscheinlich. Schließlich hat die Ministerin sich in einer ähnlichen Causa gegen alle Widerstände durchgesetzt.

Im Dezember 2006 genehmigte sie Schulbücher, in denen erstmals Israels Grenze vor dem Sechstagekrieg 1967 eingezeichnet war.

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