Ukraine:Tote reden nicht

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In Kiew vermutet man, dass die Morde an Janukowitsch-Vertrauten im Zusammenhang mit dem Wahlbetrug vom November zu sehen sind. Eine Reportage von Thomas Urban

Ein Priester kam aus dem Haus, die Nachbarn haben es genau gesehen. Damit ist für die Kiewer klar: Heorhij Kirpa, der Minister für Transport- und Telekommunikation, den Mitarbeiter am Montagabend in seiner Datscha bei Kiew tot aufgefunden haben, ist ermordet worden. Denn Selbstmördern verweigert die orthodoxe Kirche den letzten Segen. Die Staatsanwaltschaft hüllt sich in Schweigen. Nur so viel wurde mitgeteilt. Kirpa ist Schussverletzungen erlegen.

Wenige Stunden später verbreitet sich die Nachricht, dass der frühere Vizepremier Andrij Klujew mit Vergiftungserscheinungen im Krankenhaus liegt. Klujew war eine wichtige Figur im politischen Kiew. Zuletzt war er stellvertretender Leiter des Wahlkampfstabs des Regierungschefs Viktor Janukowitsch. Sein Name war in den letzten Wochen wiederholt durch die Medien gegangen. Der Presse waren Mitschnitte von Telefongesprächen Klujews zugespielt worden, in denen es um die Manipulation der Stichwahl am 21. November ging. Nach dieser Wahl hatte der Leiter der Zentralen Wahlkommission, Sergej Kiwalow, Janukowitsch bereits zum Sieger erklärt. Doch kassierte das Oberste Gericht ein paar Tage später wegen massiver Fälschungen das Ergebnis. Die Stichwahl wurde an diesem Sonntag wiederholt. Und Sieger ist der liberale Oppositionsführer Viktor Juschtschenko.

Der Name Kiwalows kommt in den Mitschnitten wiederholt vor, aber auch der Viktor Medwedtschuks, des Leiters des Präsidialamts, der als graue Eminenz Kiews gilt. Es ergibt sich nach Meinung von Kiewer Journalisten daraus folgendes Szenario: Medwedtschuk und Klujew könnten die Schlüsselfiguren bei den groß angelegten Fälschungen zugunsten Janukowitschs gewesen sein. Sie hätten versucht, so der Verdacht, den zunächst widerstrebenden Kiwalow als Leiter der Wahlkommission dazu zu bewegen, ihren Experten den Zugriff auf den Zentralcomputer zu erlauben. Kiwalow aber habe das entscheidende Passwort erst herausgegeben, nachdem eine Überweisung von 21 Millionen Dollar auf das Konto seiner Tochter bestätigt worden sei. "Das Paket ist angekommen", heißt es in den Telefonmitschnitten.

Kiwalow bestreitet selbstverständlich alles. Mit 146 zu acht Stimmen wurde er vor ein paar Tagen zum Dekan der Juristischen Fakultät von Odessa gewählt, einer Stadt, deren Verwaltung nach Meinung der Kiewer Presse zu einem großen Teil von der Russenmafia kontrolliert wird. Ihm hat also nicht geschadet, dass Staatspräsident Leonid Kutschma ihn nach den Massenprotesten gegen die Fälschungen als Leiter der Wahlkommission absetzen musste. Immerhin ist er jetzt Dekan bei den Juristen.

Für die Abwicklung der Überweisung der 21 Millionen sei der Bankier Jurij Ljach verantwortlich gewesen, neben Präsidialamtschef Medwedtschuk einer der Köpfe des mächtigen Kiewer Oligarchenclans. Doch der erst 38-jährige Ljach habe die Transaktion nur kurze Zeit überlebt. Ende November wurde er tot in seinem Büro in Kiew aufgefunden, erstochen mit einem Brieföffner. Von sieben Stichwunden berichtete die Presse, die Staatsanwaltschaft aber befand: Selbstmord. Schon am nächsten Tag wurde er bestattet - normalerweise sieht die orthodoxe Tradition die Beerdigung erst mehrere Tage nach dem Tod vor. Immerhin gab es jetzt einen Mitwisser des möglichen Komplotts weniger.

Nun also hat es den Transportminister Kirpa getroffen. Es habe, so die Hauptstadtpresse, einige Gründe gegeben, ihn ins Jenseits zu befördern. Da gab es viele Fragezeichen bei der letztlich gescheiterten Privatisierung der Ukrainischen Telekom und bei einem großen Brückenbauprojekt, bei dem Millionen verschwunden sein sollen. Doch Kirpa soll auch verantwortlich gewesen sein für den Transport mehrerer Zehntausend Janukowitsch-Anhänger, die bis zu einem Dutzend Mal an verschiedenen Orten gewählt haben. Das frühere Wahlgesetz hatte nämlich die Ausgabe von Wahlscheinen erlaubt, die die Stimmabgabe außerhalb des Wohnortes ermöglichten. Auf diese Weise sollen im November mehrere Hunderttausend zusätzliche Stimmen für Janukowitsch ergaunert worden sein. Der Premier aber soll nach der ersten Wahlrunde mit der Arbeit Kirpas nicht zufrieden gewesen sein und ihm ein paar Zähne ausgeschlagen haben, hieß es in Kiew. Ob es wirklich so war, weiß man nicht. Nur so viel ist bestätigt, dass Kirpa nach einer Aussprache mit Janukowitsch krank geschrieben wurde.

Zwei Todesfälle und zwei Giftanschläge - die Staatsanwaltschaft hat viel zu tun. Präsident Kutschma hatte vor drei Wochen, als ausländische Experten bekannt gaben, dass man Juschtschenko Dioxin ins Essen gerührt hatte, düster gesagt: "Es kann jeden von uns treffen." In Kiew fragt man sich nun, wen er meinte. Alle, die an den Fälschungen vom 21. November beteiligt waren?

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