Ukraine:Patriotische Konkurrenz

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Der Samopomich-Partei geht das Minsker Abkommen zu weit. Sie holt immer mehr auf und wird der amtierenden Regierung gefährlich.

Von Cathrin Kahlweit, Kiew

Wahlkampf in der Ukraine, das bedeutet TV-Dauertalk und einen Krieg der Flugblätter, verteilt von bezahlten Babuschki, die auf den Straßen in zeltartigen Buden Unterschlupf gegen die Kälte finden und seitenstarkes Propagandamaterial verteilen. Kandidaten, die reiche Unterstützer im Hintergrund haben, plakatieren die Straßen im Meter-Abstand mit ihren Konterfeis. Sergij Gusovskij, der in der Hauptstadt zahlreiche Restaurants besitzt, ist in Kiew allgegenwärtig: edle Fotos in schwarz-weiß, Anzug und Krawatte vom Feinsten, der Bart akkurat ausrasiert.

Gusovskij hat seine Restaurants in die Hände von Mitarbeitern übergeben und sich ins Rennen um Kiew geworfen. Weil der Maidan für ihn ein "Schlüsselmoment" gewesen sei. Angesichts eines Staates, der auf seine Bürger geschossen habe, habe er vor der Frage gestanden: gehen - oder verändern. Er hat sich fürs Bleiben entschieden, nun will er Kiew eine "Vision" geben. Gusovskij kandidiert für die Samopomich-Partei (Selbsthilfe), die ihre Klientel lange vor allem im Westen des Landes hatte, wo Partei-Gründer Andrij Sadovij, Bürgermeister von Lwiw (Lemberg) wirkt. Aber Samopomich holt landesweit auf.

Sadovij selbst gilt als Nachfolge-Kandidat, sollte Präsiden Petro Poroschenko nach dem kommenden Wochenende stürzen. Was in Kiew nicht wenige für möglich halten, wenn die Kommunal- und Regionalwahlen allzu desaströs für die regierende Vierer-Koalition ausgehen. Der Samopomich-Gründer hatte sich in Lemberg früh einen Namen als unerschrockener Reformer gemacht - schon zu einer Zeit, als Ex-Präsident Viktor Janukowitsch noch an der Macht war und Kritik an der Regierung als illegitim galt.

Als Kiewer Bürgermeister habe Klitschko wenig vorzuweisen, sagt der Samopomich-Mann

Samopomich ist patriotisch bis nationalistisch, gleichzeitig aber westorientiert - eine für Europa bisweilen schwer verständliche Mischung. Die Konzessionspolitik des Präsidenten im Rahmen des Minsker Abkommens geht Samopomich zu weit. Wahlen im Donbass bei Gewährung eines vorerst nur provisorischen Sonderstatus' für die besetzten Gebiete, wie es sich westliche Diplomaten ausgedacht haben, grenzt für die Partei an Landesverrat. Samopomisch ist also für den Präsidenten und die Regierungskoalition ein gefährlicher Partner. Bei vielen Ukrainern finden die radikalen Positionen aber starken Anklang, zu denen auch eine Ablehnung der Dezentralisierung des Landes gehört, von der die Separatisten letztlich profitieren könnten.

Aber von den großen Fragen, vom Donbass und vom Krieg, ist im Regionalwahlkampf selten die Rede - nicht einmal davon, dass die Bewohner der Frontlinie sowie Binnenflüchtlinge nicht wählen dürfen. Kiews Bürgermeisterkandidat Gusovskij spricht lieber über seinen Gegner: Vitali Klitschko. Der Ex-Boxer und Amtsinhaber geht nämlich erneut ins Rennen, seine Chancen auf eine Wiederwahl sind recht hoch. Klitschko habe wenig vorzuweisen außer der Anschaffung von ein paar Schneeräumfahrzeugen und Straßenkehrmaschinen, lästert Gusovskij, der es bis in die Stichwahl schaffen könnte. Kann schon sein, sagen die Kiewer. Aber zumindest habe er keine eklatanten Fehler gemacht und sei nicht offen korrupt. Das sei doch schon mal was.

© SZ vom 20.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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