Ukraine:Kutschmas Kalkül

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Ein Verlierer steht mit dem bisherigen Ministerpräsidenten Janukowitsch schon fest. Möglich auch, dass die orange Revolution für Juschtschenko einfach verpufft. Staatspräsident Kutschma spielt auf Zeit und hofft, dass die Massenproteste bald bröckeln. Thomas Urban kommentiert.

Von Thomas Urban

Zwar ist der Misstrauensantrag gegen die Regierung im Kiewer Parlament gescheitert, doch ändert das Votum wohl nichts mehr daran, dass Ministerpräsident Viktor Janukowitsch jetzt schon als Verlierer des Kampfes um die Macht in der Ukraine dasteht.

Denn längst gibt es im Lager des Staatspräsidenten Leonid Kutschma Überlegungen, wer bei Neuwahlen auf den Schild gehoben werden soll. Kutschma setzt ganz offensichtlich auf Neuwahlen von Anfang an und nicht auf die Wiederholung der Stichwahl vom 21. November, bei der es zu massiven Fälschungen zugunsten Janukowitschs kam.

Dieser ist schon wegen der internationalen Proteste als Kandidat verbrannt. Gegen Oppositionsführer Viktor Juschtschenko, der die Gesellschaft demokratisieren und die Wirtschaft reformieren will, wäre er chancenlos.

Die Chemie stimmt nicht

Kutschma wird Janukowitsch nicht sonderlich nachtrauern, denn die Chemie zwischen beiden stimmt nicht. Überdies vertritt Janukowitsch den Donezker Oligarchenclan, der in der Vergangenheit immer mit der von Kutschma geführten Gruppe aus Dnjepropetrowsk um Einflusszonen und Staatsämter gekämpft hat.

Immer wieder machten auch in Kiew Gerüchte über Schlägereien zwischen dem leicht erregbaren Janukowitsch und Beratern Kutschmas die Runde. Schließlich hat sich die aus der Umgebung des Premiers kommende Drohung, die Industrieregion Donbass im Osten könnte sich abspalten, rasch als Eigentor erwiesen: Diese Drohung hat nicht nur Kutschma und die Parlamentsmehrheit aufgebracht, sondern fand auch wenig Beifall bei anderen Oligarchen der Region.

Denn die würden sich damit noch abhängiger von Russland machen, und das wollen sie nicht. Sie werben zwar um die Russen als Verbündete im Kampf um die Macht in Kiew. Doch möchten sie selbst das Sagen haben und nicht Weisungen aus Moskau ausführen.

Neuwahlen statt einer Wiederholung der Stichwahl liegen allerdings nicht im Interesse Juschtschenkos. Denn diese würden erst im neuen Jahr stattfinden, möglicherweise erst im Frühjahr. Die Zeit aber könnte gegen Juschtschenko arbeiten. Das große Volksfest auf dem Unabhängigkeitsplatz überdeckt, dass die Opposition ein sehr heterogenes Lager ist.

Und die Aufbruchstimmung von Kiew kann auch schnell wieder verfliegen. Kutschma spielt auf Zeit. Der Präsident hat dabei einen starken Verbündeten: Väterchen Frost.

Es werden nicht wochenlang Hunderttausende auf die Straßen gehen können, die Massenproteste werden bald bröckeln.

Gleichzeitig könnte Kutschma einen attraktiveren Kandidaten als Janukowitsch für die Neuwahlen mit Hilfe der nach wie vor vom Präsidialamt kontrollierten staatlichen Medien aufbauen. Er dürfte dabei zweifellos wieder auf die Hilfe des Kremls setzen.

Die Russen aber werden sich dabei geschickter als bisher anstellen. Es ist nach wie vor alles offen. Möglich, dass die orange Revolution einfach verpufft.

© SZ vom 1.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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