Ukraine:Kiews Kampf um Blauhelme

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Damit die Kämpfe im Donbass endlich aufhören, fordert die ukrainische Seite seit 2015 gegen den Protest Russlands eine UN-Friedensmission. Im Bild: Ukrainische Soldaten in der Region Donezk. (Foto: Anatolii Stepanov/AFP)

Der neue Vorstoß der ukrainischen Regierung zur Stationierung von UN-Friedenstruppen im Donbass stößt bei den USA offenbar auf offene Ohren. Auch Waffenlieferungen werden erwogen.

Von Florian Hassel, Kiew

Der Tod eines Amerikaners verlieh einer alten Idee neuen Schwung: Joseph Stone, der für eine Sondermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) den Krieg in der Ostukraine protokollierte, starb am 23. April durch eine Mine. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko rief daraufhin US-Außenminister Rex Tillerson an, sprach dem US-Chefdiplomaten sein Beileid aus und schlug vor, die "Frage einer Entsendung einer Friedensmission unter Ägide der UN in den Donbass" wieder auf die politische Tagesordnung zu setzen.

Kiew warb nicht zum ersten Mal für eine UN-Blauhelmmission im seit 2013 von prorussischen Freischärlern und russischen Soldaten kontrollierten Donbass. Die ersten Versuche unternahmen das ukrainische Außenministerium und Präsident Poroschenko schon im März 2015 mit Briefen an den UN-Generalsekretär und Aufforderungen, der UN-Sicherheitsrat möge sich mit dem Thema befassen. Dazu aber kam es 2015 ebenso wenig wie nach weiteren Kiewer Vorstößen 2016.

Moskau werde im Sicherheitsrat sein Veto einlegen, stellte Kiews UN-Botschafter Wladimir Jeltschenko schon Ende 2015 fest. "Und andere ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sind ebenfalls nicht begeistert", ergänzte er. Kein Wunder: Schätzungen zufolge müsse eine UN-Blauhelmtruppe für den Donbass und seine zwei Millionen Menschen sowie der Kontrolle der russisch-ukrainischen Grenze mindestens 25 000 UN-Soldaten umfassen und werde jährlich mehrere Milliarden Dollar kosten, so Jeltschenko damals.

Seit dem Frühjahr aber hat die Ukraine ihre Initiative wieder aufgenommen - nicht nur bei den UN, sondern auch im Weißen Haus. Poroschenko warb am 25. Juni bei einem Treffen mit Präsident Donald Trump, dessen Sicherheitsberater Herbert McMaster und Verteidigungsminister James Mattis nicht nur für eine Blauhelmmission, sondern wiederholte seine während der Obama-Präsidentschaft erfolglosen Bitten um moderne Anti-Panzer-Waffen oder Flugabwehrraketen aus dem US-Arsenal. Ende August bestätigte Mattis bei einem Besuch in Kiew, die USA erwögen nun Waffenlieferungen an die Ukraine. Außerdem begann die Ukraine, eine Resolution zur Einrichtung einer Blauhelmmission für den UN-Sicherheitsrat zu entwerfen.

Anfang September, kurz bevor die Ukrainer ihren Resolutionsentwurf vorlegen konnten, konterte Russlands Präsident Wladimir Putin mit der Ankündigung eines russischen Resolutionsentwurfes. Die Idee Putins: UN-Einheiten, deren einzige Aufgabe der Schutz einiger Hundert unbewaffneter OSZE-Beobachter sein solle - und die sich nur an der "Kontaktlinie" genannten faktischen Front aufhalten dürften. Jeder andere Schritt in den Regionen Donezk und Lugansk müsse mit den "Regierungen" der selbstausgerufenen "Volksrepublik Donezk" und "Volksrepublik Lugansk" abgesprochen werden. Zwar legte Putin am 11. September in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel nach, die UN-Soldaten dürften den OSZE-Beobachter im gesamten Konfliktgebiet begleiten - von einer großen UN-Mission mit weitgehendem Mandat aber ist im Kreml nach wie vor keine Rede.

Doch nicht nur für die Ukrainer ist ein weitreichendes Mandat, die Stationierung im ganzen Donbass und an der gesamten ukrainisch-russischen Grenze und der Abzug russischer Truppen, Voraussetzung für eine UN-Blauhelmmission im Donbass. Diese Idee müsse im Rahmen einer kompletten Umsetzung des 2014 geschlossenen Abkommens von Minsk stehen, das die Herstellung der territorialen Integrität der Ostukraine vorsehe, sagte Kurt Volker, ehemaliger US-Botschafter bei der Nato und neuer Ukraine-Sonderbeauftragter des US-Außenministeriums, auf der Konferenz "Jalta - Europäische Strategie" in Kiew. Vor allem mache eine UN-Friedensmission im Donbass nur Sinn, "wenn eine solche Friedensmission die russischen Einheiten ersetzt, die sich jetzt dort aufhalten".

"Es gibt keine Separatisten in der Ostukraine, sondern eine russische Invasion."

Das sind eine ganze Menge: Die Kyiv Post berichtete, der ukrainischen Aufklärung zufolge betrage die Zahl der von Moskau gestützten oder dorthin geschickten Soldaten in Donezk und Lugansk mindestens 30 000, hinzu kämen mindestens 390 Kampfpanzer, 800 Schützenpanzer und andere gepanzerte Fahrzeuge und gut 1200 Raketensysteme, Granatwerfer oder Flugabwehrgeschütze. "Die ukrainischen Zahlen sind recht genau", sagte Will Hurd, langjähriger CIA-Agent und heute republikanischer Abgeordneter und Mitglied des Geheimdienstausschusses im US-Repräsentantenhaus der SZ. "Es gibt keine Separatisten in der Ostukraine, sondern eine russische Invasion. Etliche der Zehntausenden Soldaten in der Ostukraine sind Russen", sagte Hurd. Er sprach gar von "920 Panzern, die Putin abziehen" müsse, wenn der Konflikt gelöst werden solle.

Der Abgeordnete stellte auf der Kiewer Konferenz zudem in Aussicht, dass US-Waffenlieferungen an die Ukraine schon im Oktober beschlossen würden. "Sie können hierzu schon in den kommenden Wochen Änderungen in den USA erwarten." Gespräche mit den von Moskau installierten "Regierungen" der "Volksrepublik Donezk" oder "Volksrepublik Lugansk", wie von Putin gefordert, lehnt der Ukraine-Sonderbeauftrage Volker ab. Er spreche lieber mit "den Leuten, die Donezk und Lugansk kontrollieren". Im August habe er Wladislaw Surkow getroffen, rechte Hand Putins für die Ostukraine. Ein weiteres Treffen sei für Oktober angesetzt.

© SZ vom 18.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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