Ukraine:Heftigste Kämpfe seit Monaten

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Auf der gesamten sogenannten Kontaktlinie wird wieder geschossen -angeblich auch auf zivile Ziele. (Foto: Aleksey Filipov/AFP)

Im Konflikt in der Ostukraine rüsten beide Seiten wieder auf - mit Worten und mit Waffen.

Von Daniel Brössler und Cathrin Kahlweit, Wien/Brüssel

Der reale Krieg, aber auch der Kampf mit Worten und Bildern in der Ostukraine geht weiter. Am Dienstag hatte die ukrainische Regierung Alarm geschlagen, weil "Provokationen und gezielte Attacken vonseiten der Separatisten wieder signifikant" zunähmen. Sowohl militärische als auch zivile Ziele würden angegriffen, heißt es. Insbesondere der Ort Staronatiwka im Südosten des seit anderthalb Jahren umkämpften Gebietes sei von Panzern und Artillerie attackiert worden. Mehr als 500 Mal, so das Kiewer Außenministerium, hätten die Separatisten den Waffenstillstand in den vergangenen fünf Tagen verletzt und ihre schweren Waffen näher als die vereinbarten 15 Kilometer an die Frontlinie heranbewegt. Die Kämpfe seien die schwersten seit der Schlacht um Debalzewe im Frühjahr. Man habe die Angriffe des Gegners aber zurückgeschlagen, heißt es triumphierend.

Auf der Landkarte der sogenannten Antiterrorzone, die das ukrainische Militär regelmäßig veröffentlicht und die den aktuellen Frontverlauf sowie die aktuellen Kampfhandlungen zeigt, wird in der Tat die drastische Zunahme der Zwischenfälle sichtbar: Entlang der gesamten "Kontaktlinie" östlich von Luhansk, vorbei an Donezk bis hinunter nach Mariupol, wird derzeit wieder gekämpft. Die ukrainische Seite hat daher angekündigt, dass auch sie taktische Waffen an die Front zurückverlegen werde, die im Rahmen des Minsk-Abkommens vom Frühjahr abgezogen wurden.

Vonseiten der prorussischen Separatisten werden ebenfalls intensive Kämpfe gemeldet. Die Schilderungen gleichen sich, die Siegesmeldungen nicht: Die Pressestelle der Donezker Volksrepublik (DNR) meldet die Befreiung von Dörfern rund um Krasnij Lutsch und die Zerstörung feindlicher Kräfte bei Ilowajsk. Als Fotobeweise werden gefangene Soldaten und erbeutete Panzer präsentiert. Angreifer sind aber laut DNR die ukrainischen Militärs.

Am Montagabend hatte der Führer der Neurussland-Bewegung, Igor Girkin (Kampfname: Strelkow), allerdings per Twitter angekündigt, man habe Raketenwerfer an vielen Orten entlang der Front aufgestellt. Ein Großangriff werde stattfinden; die "Schmach von Minsk" werde bald vorbei sein. Zeitgleich sagte in Moskau ein ehemaliges Mitglied des russischen Generalstabs, General Ewgenij Buschinsky, der BBC, sollte die Ukraine ihre "Provokationen ausweiten" und versuchen, die Ostukraine zurückzuerobern, könne dies in eine volle russische Intervention münden.

In Brüssel werden die schlechten Nachrichten sehr ernst genommen. Groß ist die Angst, im Falle eines Scheiterns von Minsk diplomatisch vor dem Nichts zu stehen. Die neue Eskalation als Folge der Angriffe auf von der Regierung kontrollierte Gebiete verletze "Geist und Buchstaben der Minsker Vereinbarung", warnte der Auswärtige Dienst in einer Erklärung. Das gelte auch für die Attacken auf die Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). "Die Minsker Vereinbarungen müssen in gutem Glauben umgesetzt werden - beginnend mit der vollständigen Einhaltung der Waffenruhe und einem wirklichen Abzug der schweren Waffen", heißt es.

Die Mahnung richtet sich klar an die Adresse der Separatisten. Russland wird nicht erwähnt, ist aber, wie in Brüssel betont wird, ebenfalls gemeint. "Russland muss mehr tun", sagt ein EU-Diplomat. Keinesfalls will die EU den Eindruck erwecken, sie werde sich mit einem von Moskau geduldeten oder sogar befeuerten Wiederaufflammen des Krieges abfinden. Nachdem schon im Juni die Wirtschaftssanktionen gegen Russland bis Ende Januar verlängert worden sind, ist allerdings nicht ganz klar, welche neuen Druckmittel die EU derzeit in die Hand nehmen könnte.

Schon vergangene Woche hatte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko in Kiew das Kriegskabinett einberufen. Er unterzeichnete zudem ein Gesetz, mit dem die Militärausgaben um umgerechnet 217 Millionen Euro erhöht werden. Die zusätzlichen Mittel seien vor allem für die "Anti-Terror-Operation" gegen pro-russische Aufständische im Donbass vorgesehen, hieß es. Angesichts der jüngsten Eskalation schickte Poroschenko nun seinen Außenminister Pawlo Klimkin vor, der die Entwicklung als "gezielte, geplante Operation der russischen Seite" bezeichnete und ein Treffen der Staatschefs Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine im sogenannten Normandie-Format forderte. Die Entwicklung beweise, wie Moskau zusammen mit den Separatisten die Minsk-Vereinbarung zu entwerten versuche. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin diskutierte die Gewalt in der Ostukraine mit seinen Sicherheitsberatern, wie die Agentur Interfax berichtet.

In Kiew hat derweil am Mittwoch der Oberste Verwaltungsgerichtshof eine Klage gegen Poroschenko abgewiesen. Ein Anwalt hatte geklagt, weil Poroschenko durch die Weigerung, das Kriegsrecht einzuführen, die Verteidigungsfähigkeit des Landes gefährde. Der Kläger hatte auch gefordert, das Parlament müsse ein Amtsenthebungsverfahren gegen Poroschenko einleiten.

© SZ vom 13.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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