Ukraine:Chefermittler unter Beschuss

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Behindert er die Justiz? Viktor Schokin, oberster Ermittler der Ukraine. (Foto: AFP/Michail Palinchak)

Generalstaatsanwalt Schokin geht zu wenig gegen die Korruption im Land vor.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Der ukrainische Generalstaatsanwalt Viktor Schokin lebt gefährlich. Wenn er sich in Kiew aufhält, schläft er nach eigenen Aussagen an unterschiedlichen Plätzen und nutzt eine gepanzerte Limousine, deren Nummernschilder sein Fahrer regelmäßig austauscht. Er befürchtet Mordanschläge. Einen solchen gab es tatsächlich vor wenigen Tagen: Auf das Büro des obersten Ermittlers des Landes wurde scharf geschossen, allerdings kam niemand zu Schaden. Schokins Behörde ermittelt.

Der im Februar von Präsident Petro Poroschenko ernannte Generalstaatsanwalt ist allerdings nicht nur physisch, sondern auch politisch schwer unter Druck. Mehr als 120 Parlamentarier haben mittlerweile eine Resolution unterschrieben, die Schokins Absetzung fordert. Eine Abordnung des sogenannten Auto-Maidan, der vor anderthalb Jahren mit Protesten gegen Ex-Präsident Viktor Janukowitsch berühmt wurde, fuhr unlängst zur Villa des Präsidenten, um dort gegen einen Verbleib des Juristen im Amt zu protestieren. Am Mittwoch wurde bekannt, dass die Anti-Korruptions-Plattform Transparency International Schokin kritisiert: Er sei mitverantwortlich dafür, dass die Korruptionsbekämpfung im Land so langsam vorangehe.

Die renommierte Kyiv Post brachte neulich eine ganze Beilage über Schokins Untätigkeit im Kampf gegen alte Janukowitsch-Freunde, die gestohlenes Geld im Ausland lagern und waschen, über die Untätigkeit seiner Behörde bei der Aufklärung des Maidan-Massakers vom Februar 2014 - und über die mangelnde Verfolgung aktueller Korruptionsfälle unter der neuen Regierung. Der Titel der Beilage: "Behinderung der Justiz". Selbst Schokins beide Stellvertreter, der Georgier Davit Sakvarelidze und der Ukrainer Vitali Kasko, stellen sich öffentlich gegen ihren Chef. Der behindere auch ihre Arbeit: die Reform der ukrainischen Staatsanwaltschaft, die einen schlimmen Ruf als verlängerter Arm der Politik und als Anklageverhinderungsmaschine für Oligarchen hat.

Mittlerweile ist der politische Krieg in der Strafverfolgungsbehörde völlig eskaliert: Schokin wird vorgeworfen, eine Schmutzkampagne gegen seinen Vize Kasko gestartet zu haben, als er behauptete, dieser habe in seiner Zeit als Jurist in einer Rechtsanwaltskanzlei eine russische Ölfirma beraten und sich dabei bereichert. Der Beschuldigte weist das empört zurück.

Tatsächlich ist Schokin der dritte von Poroschenko ernannte Generalstaatsanwalt seit dem Maidan. Jeder von ihnen hatte wortreich verkündet, er werde die Untersuchung der Vergehen des Janukowitsch-Clans vorantreiben und das System der Anklage auf neue Füße stellen. Geschehen ist bisher nichts, kein einziger großer Korruptionsfall ist vor Gericht gekommen. Mutmaßliche Maidan-Schützen wurden in den Hausarrest entlassen und verschwanden, Rechtshilfeersuchen aus dem Ausland wurden nicht beantwortet, eigene Untersuchungen so lange verschleppt, dass sie zum Teil eingestellt werden mussten.

Trotz alledem hält Präsident Poroschenko an seinem Generalstaatsanwalt fest. Politische Beobachter interpretieren das als Versuch, über Schokin einen Zugriff auf die Rechtsprechung zu behalten und Verfahren in seinem Sinne beeinflussen.

Am Mittwoch wurde auch der Bericht des Europarates zur Brandkatastrophe von Odessa vom Mai 2014 bekannt: Die Ermittlungen der Behörden seien schleppend, unvollständig und unprofessionell gewesen.

© SZ vom 05.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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